Reise ohne Wiederkehr

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Reise ohne Wiederkehr

Jedes Jahr im Herbst ziehen Millionen heimischer Vögel in wärmere Gefilde. Ihr Weg in den Süden ist lang, kräftezehrend und steckt voller Gefahren. Einblicke in eine Reise, von der immer weniger Tiere zurückkehren.

  • Autor: Nina Himmer, freie Autorin

Sie fliegen Tausende Kilometer, überqueren Wüsten, Meere und Ländergrenzen und orientieren sich dabei mit verblüffender Genauigkeit. Kein Wunder, dass sich unter den Zugvögeln einige Rekordhalter des Tierreichs tummeln: Gänse zum Beispiel fliegen auf ähnlichen Höhen wie Passagierflugzeuge. Mauersegler erreichen Geschwindigkeiten von bis zu 160 Kilometern pro Stunde und können im Flug schlafen. Und Küstenseeschwalben sammeln im Laufe ihres Lebens rund eine Million Flugkilometer an.

Ein Bienenfresser ist in einer Vogelfalle in Zypern gefangen.

Ein Bienenfresser ist in einer Vogelfalle in Zypern gefangen.

Zweimal im Jahr packt die Zugvögel das Reisefieber. Im Herbst ziehen sie gen Süden, im Frühling zurück in ihre heimischen Brutgebiete. „Der Grund für den Vogelzug sind nicht frostige Temperaturen, sondern das knappe Nahrungsangebot im Winter. Die meisten Zugvögel sind nämlich Insektenfresser“, sagt Lars Lachmann, Referent für Ornithologie und Vogelschutz beim Naturschutzbund (NABU).

Von den 250 Vogelarten, die in Deutschland brüten, sind etwa die Hälfte Zugvögel. Die Kurzstreckenzieher unter ihnen fliegen bis nach Westeuropa oder in den Mittelmeerraum.Die Ziele von Langstreckenziehern wie Weißstorch, Kuckuck, Mauersegler, Rauchschwalbe, Neuntöter oder Nachtigall liegen hingegen südlich der Sahara. „Ob kurz oder lang, jede Reise ist für die Tiere anstrengend und gefährlich“, so Lachmann.

Allerdings bergen lange Routen mehr Risiken für die Vögel. Aufzeichnungen des Dachverbandes Deutscher Avifaunisten (DDA) über knapp 20 Jahre zeigen, dass die Bestände deutscher Zugvögel bei den Langstreckenziehern zurückgehen. Laut James Brückner, Abteilungsleiter für Arten- und Naturschutz beim Deutschen Tierschutzbund, unterscheiden Vogelkundler zwei große Routen, auf denen die meisten Langstreckenzieher aus Europa unterwegs sind: Die Südwest- und die Südostroute.

Erstere führt von Deutschland über Frankreich, Spanien und die Straße von Gibraltar nach Nordafrika. Letztere über Österreich, Ungarn und das ehemalige Jugoslawien zunächst nach Griechenland. In der Nähe von Istanbul überqueren die Vögel den Bosporus, überfliegen die Türkei und rasten später in Israel. Von dort aus geht es weiter nach Nordafrika. In Ägypten und im Sudan überqueren viele Vögel die Sahara, andere wählen Äthiopien, Uganda oder andere ostafrikanische Länder als Ziel. Segelflieger halten sich strikt an ihre Routen und fliegen nur über Land. Kleinere Singvögel folgen weniger klar definierten Strecken und scheuen sich nicht, über Wasser zu fliegen. „Insbesondere auf der Südostroute kommen viele Vögel in Bedrängnis“, so Brückner.

Klimawandel macht den Vögeln zu schaffen

Mitarbeiter des "Komitees gegen den Vogelmord" halten nach Vogeljägern Ausschau.

Mitarbeiter des „Komitees gegen den Vogelmord“ halten nach Vogeljägern Ausschau.

Mit welchen Gefahren müssen die Tiere rechnen? Vogelkundler sind sich einig, dass die rasante Veränderung der Landschaft und der Klimawandel für die Vögel am problematischsten sind. „In Afrika passiert gerade dasselbe wie bei uns vor 100 Jahren“, sagt Alexander Heyd, Geschäftsführer des Vereins „Komitee gegen den Vogelmord“, Mitgliedsverein des Deutschen Tierschutzbundes. Die Bevölkerung wachse, die Landwirtschaft werde industrialisiert. In der Folge entstehen mehr besiedelte Gebiete und riesige Ackerflächen, gemacht für große Maschinen statt traditionelle Ochsenpflüge. Hecken, Obstbäume und Sträucher verschwinden, es werden massiv Pestizide verspritzt. Darunter oft Mittel wie DDT, die in Europa nicht zugelassen sind und in Afrika in unkontrollierten Mengen eingesetzt werden. Andernorts verschärfen zunehmende Versteppung, das Verschwinden von Mooren und Feuchtgebieten, Brandrodung und Überweidung die Lage noch.

„Das raubt den Vögeln Millionen Hektar Lebensraum und verknappt ihr Nahrungsangebot“, sagt Heyd. Durch den Klimawandel gerät zudem der Terminplan der Tiere durcheinander: „Gegenläufige Klimatrends in Afrika und Europa, Dürren und Unwetter machen den Tieren zu schaffen. Weil der Frühling in Europa immer früher beginnt, kehren viele zu spät zurück, um noch gute Brutplätze und genug Nahrung zu finden“, weiß Brückner.

Glück gehabt: Ein Helfer schneidet eine Vogelfalle vom Baum.

Ein Helfer schneidet eine Vogelfalle vom Baum.

Ein zweites Problem sind Hindernisse wie ungesicherte Stromleitungen, Windkraftanlagen, Hochhäuser und Leuchttürme. Vor allem großen Segelfliegern werden Stromleitungen und Windräder oft zum Verhängnis. „Diese Vögel folgen ihren Routen strikt. Hindernisse an wichtigen Knotenpunkten kosten deshalb vielen Tieren das Leben“, sagt Lachmann. Obwohl die absoluten Zahlen auf dem Papier nicht dramatisch aussehen, so ist es die Realität doch. „Für die Population mancher Arten ist schon der Verlust weniger Tiere gravierend“, erklärt der NABU-Experte. Das liegt am Überlebensprinzip der Tiere: Störche, Pelikane, Reiher oder Adler haben eine hohe Lebenserwartung, bekommen aber nur wenige Junge. Sterben zu viele Tiere frühzeitig, gefährdet das ihre Art. „Deshalb lohnt es sich, Stromleitungen durch einfache Maßnahmen abzusichern und keine Windkraftanlagen an Knotenpunkten zu bauen – oder diese in der Zugzeit abzuschalten“, betont Lachmann.

Ein Beispiel aus Deutschland verdeutlicht das: In Brandenburg starben noch vor zwei Jahren 98 Weißstörche durch Strom. Durch einfache Umrüstungen sank diese Zahl im vergangenen Jahr auf zwei tote Störche. Weit oben auf der Liste der Gefahren steht außerdem der illegale Vogelfang. Ein von der Organisation BirdLife International veröffentlichter Report belegt sein Ausmaß: Jährlich fallen allein im Mittelmeerraum rund 25 Millionen Vögel der illegalen Jagd zum Opfer. Addiert man die legal getöteten Tiere hinzu, kommt man – optimistisch geschätzt – schnell auf rund 40 Millionen. Sie werden mit riesigen Netzen und Leimfallen gefangen oder mit Waffen direkt vom Himmel geschossen. Manchmal zum Verzehr und Verkauf, häufig aber auch aus traditionellen Gründen oder einfach zum Spaß und Zeitvertreib.

Der Vogelfang gefährdet viele Arten

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Spitzenreiter dieser traurigen Liste ist Ägypten: Dort werden jährlich 5,7 Millionen Singvögel gefangen. Noch ist es für die Experten schwierig, verlässliche Zahlen zu nennen. Wahrscheinlich ist aber: Der Vogelfang ist für bestimmte Arten ein Problem und dezimiert die Bestände mancher Zugvögel. „Der Blutzoll dürfte sich zum Beispiel bei Turteltauben, Wachtelkönigen, Pirolen, Nachtigallen, Neuntötern, Schreiadlern, Mauerseglern und Weißstörchen bemerkbar machen“, so Lachmann. Neben Ägypten ist der Fang auch im Libanon, Syrien, Jordanien, Saudi-Arabien und Libyen verbreitet, außerdem in Frankreich, Griechenland, Zypern, Malta, Italien und Spanien.

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Die europäischen Länder sind der Grund dafür, dass Alexander Heyd vom „Komitee gegen den Vogelmord“ nicht glücklich darüber ist, dass Ägypten im Mittelpunkt der Debatte steht. „Bevor wir mit dem Finger auf andere zeigen, sollten wir vor der eigenen Türe kehren. Ein erheblicher Teil der Vogeljagd findet schließlich innerhalb der EU statt.“ Dort gilt eigentlich seit 1979 eine umfassende Vogelschutzrichtlinie, die allerdings von einigen Staaten mit Verweis auf ihre Traditionen und eine starke Jagdlobby ausgehöhlt wird. „Frankreich, Malta und Italien sind wahre Könige im Erteilen von Sondergenehmigungen und im Fälschen von Zahlen“, sagt Heyd, dessen Verein gegen das illegale Töten kämpft.

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Die Organisation betreibt Vogelschutzcamps vor Ort, schult und unterstützt lokale Behörden, dokumentiert Missstände, klagt vor Gericht und betreibt Lobbyarbeit in Brüssel. Deutschland ist nicht außen vor. Auch dort gibt es immer weniger Insekten und Lebensräume für Vögel. Die Brutgebiete werden knapper, Gärten sind so akkurat angelegt, dass Vögel und Insekten sich dort nicht mehr wohlfühlen und bei der Sanierung von Häusern wird zu wenig auf den Vogelschutz geachtet. Außerdem nimmt die illegale Verfolgung von Greifvögeln stetig zu. Was also kann man tun? Oft helfen den Tieren schon kleine Maßnahmen wie eine wilde Ecke im Garten oder ein spezieller Dachziegel, der ihnen Nistmöglichkeiten bietet. „Zugvögel sind dreifach anfällig. Sie brauchen geeignete Brut-, Rast- und Überwinterungsgebiete – alle müssen besser geschützt werden, aber zumindest bei ersteren kann jeder aktiv mithelfen.“