Rabenvögel

Hochbegabte Schönheiten

Hinter den Kulissen
Rabenvögel

Hochbegabte Schönheiten

Wurden Rabenvögel früher von verschiedenen Kulturen als gottgleiche Gestalten verehrt, werden sie in Deutschland heute zu Hunderttausenden abgeschossen. Dabei zählen sie zu den faszinierendsten und intelligentesten Tieren überhaupt, und sie zu jagen ist weder notwendig noch sinnvoll.

  • Autor: Verena Jungbluth, Chefredakteurin DU UND DAS TIER

Tausende Eichelhäher und …

Wenn etwas glitzert, ist die Elster nicht weit – so das allgemeine Urteil. Sie gilt als Diebin unter den Rabenvögeln. Doch was ist dran an der Anziehungskraft funkelnder Gegenstände und der Diebeslust der schwarz-weißen Vögel? Nichts, sagt die Wissenschaft. Die Elster ist nicht Täter, sondern Opfer – und zwar von Vorurteilen. Gemeinsam mit Kolkraben oder Krähen steht sie überdies immer wieder unter Verdacht, Nester auszurauben und andere Tier- und Vogelarten auszurotten. Dabei gibt es keinerlei Beweise, die diesen massenhaften Mordverdacht belegen. „Eier und Jungvögel anderer Arten, kleine Säugetiere und Reptilien machen nur einen kleinen Teil der Nahrung von Rabenvögeln aus. Hauptsächlich ernähren sie sich von Samen, Früchten, Beeren, Getreide sowie Würmern, Schnecken und Insekten“, erklärt James Brückner, Leiter der Abteilung Artenschutz beim Deutschen Tierschutzbund. Vielmehr ist das seit jeher gespaltene Verhältnis vom Menschen zu den geheimnisvollen rabenschwarzen und schwarz-weißen Vögeln der Grund allen Übels.

Während die Tiere sowohl in der Antike als auch von den Germanen als göttliche Gestalten mit magischen Kräften verehrt wurden, kamen sie im Mittelalter unter anderem als Galgenvögel in Verruf. „Die Intelligenz und Sprachbegabung der Rabenvögel, aber auch ihre Eigenschaft als Aasfresser und ihr Ruf als vermeintliche Erntevernichter führten schon immer zu einer ambivalenten Rolle in vielen Kulturen weltweit“, sagt Brückner. „Einerseits wurde ihnen Weisheit, biblisches Alter und Gewitztheit unterstellt, andererseits wurden sie als Unheilsbringer und Schädlinge verfolgt.“ Ein Zwiespalt zwischen Gefühl und Vernunft, der sich bis heute hartnäckig hält. Denn während die gesamte Familie der Rabenvögel Wissenschaftler und Laien mit ihren Fähigkeiten regelmäßig ins Staunen versetzt, schießen Jäger die Tiere jedes Jahr aufs Neue zu Hunderttausenden ab. Mit Krähenattrappen und Lockrufen geködert, fallen ihren Gewehrkugeln oft bis zu hundert Vögel auf einmal zum Opfer. Allein im Jagdjahr 2018/2019 tötete die Jägerschaft bundesweit über 300.000 Rabenkrähen und mehr als 85.000 Elstern. In Bayern zusätzlich über 15.000 Eichelhäher.

… Elstern werden Jahr für Jahr bejagt. Tausende Eichelhäher und Elstern werden Jahr für Jahr bejagt. Dabei nehmen sie in der Natur eine wichtige ökologische Rolle ein und dienen als Gesundheitspolizei. Außerdem ist ihr Bestand bei Weitem nicht so hoch, wie viele Menschen schätzen.

Zu Unrecht verfolgt

Die Diskussion rund um die Jagd auf die größten einheimischen Singvögel erstreckt sich schon seit Jahren. 1987 wurden Elstern, Rabenkrähen und Eichelhäher in Deutschland über das Naturschutzrecht unter Schutz gestellt – eine verspätete Umsetzung der EU-Vogelschutzrichtlinie von 1979. Was für Tier- und Artenschützer ein längst überfälliger Schritt war, löste unter der traditionellen Jägerschaft heftigen Protest aus und führte schließlich zu einem Antrag mehrerer europäischer Mitgliedsstaaten, die Richtlinie zu verändern, was 1994 auch erfolgte. Daraufhin erließen trotz erheblichem Protest von Tier- und Naturschutzverbänden mehrere Bundesländer Jagdzeiten für Krähen und Elstern, die vom Verfassungsgerichtshof schließlich im Dezember 2000 als verfassungskonform bestätigt wurden. Ein Erfolg für die Jäger, ein schwarzer Tag für die Tiere.

Heute dürfen die imposanten Vögel in fast allen Bundesländern pauschal innerhalb der jeweiligen Jagdzeit getötet werden – lediglich Berlin, Bremen und das Saarland bilden eine Ausnahme. Die Begründung für den massenhaften Abschuss: Jäger fürchten um den Bestand von sogenanntem Niederwild wie Feldhasen, Rebhühnern oder Wachteln. Darüber hinaus seien die Tiere für massive Ernteschäden verantwortlich. „Diese angeblich immensen Schäden in der Landwirtschaft ließen sich mit Studien bisher ebenso wenig nachweisen wie die erhebliche Gefahr für das Niederwild. Auch für eine zunehmende Artenvielfalt unter den Singvögeln, dadurch dass durch die Jagd jedes Jahr Hunderttausende Rabenvögel als vermeintliche Feinde wegfallen, gibt es keinerlei Hinweise“, kritisiert Brückner. Arten wie Kiebitz, Bekassine oder Brachvogel sind selten geworden, weil ihre Lebensräume durch die immer intensivere Landwirtschaft verschwinden, nicht weil sie durch Rabenvögel bedroht sind. „Das ist der Punkt, wo wir ansetzen müssen. Wir müssen die Lebensbedingungen der gefährdeten Arten wieder verbessern und ihre Lebensräume schützen. Rabenvögel zu bejagen, hilft hier nicht“, so Brückner.

Auch das Argument der Jäger, Elstern und Co. würden sich zu sehr vermehren, würden sie nicht von Menschenhand dezimiert, hält nicht stand. „Dadurch, dass die Vögel durch die Auswüchse der heutigen Landwirtschaft in den letzten Jahren vermehrt vom ländlichen Raum in Wohngebiete umsiedeln, entsteht der Eindruck, dass es insgesamt sehr viele Tiere gibt“, erklärt Brückner. „Die Bestände von Rabenkrähen und Elstern werden aber oft überschätzt.“

Wunderschön und faszinierend

Der Deutsche Tierschutzbund lehnt das sinnlose Abschießen von Rabenvögeln grundsätzlich ab. Vielmehr setzt sich der Verband für den Schutz der Tiere ein. Denn Rabenkrähen, Elstern und auch Eichelhäher erfüllen in der Natur wichtige ökologische Aufgaben. So entfernen sie als Allesfresser zum Beispiel Aas und damit Infektionsquellen für andere Tiere und dienen als Gesundheitspolizei. Dadurch, dass sie Feldmäuse sowie Drahtwürmer und andere Larven fressen, sorgen sie sogar dafür, dass in der Landwirtschaft weniger Insektenschutzmittel eingesetzt werden müssen. Darüber hinaus dienen ihre Nester sogenannten Folgebrütern wie Baumfalken, Turmfalken und Waldohreulen regelmäßig als Nistquartier. „Beobachtungen in Baden-Württemberg zeigen unter anderem, dass im Laufe der Jahre zehn Vogelarten von Kohlmeise über Wespenbussard bis hin zur Stockente in unverändert übernommenen Krähennestern brüteten“, berichtet Brückner.

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Abgesehen davon beeindrucken die wunderschönen Tiere mit ihren überdurchschnittlich hohen kognitiven Fähigkeiten. Sie benutzen Werkzeuge, auch einige verschiedene hintereinander, und stellen diese immer wieder auch aus mehreren Teilen selbst her. „Rabenvögel lernen unheimlich schnell, sind in der Lage, vorausschauend zu planen, verstehen das Prinzip von Ursache und Wirkung und begreifen auch versteckte Zusammenhänge“, so Brückner. So zeigen Beobachtungen unter anderem, wie einige von ihnen Nüsse auf die Straße werfen, um diese dort von darüber fahrenden Autos knacken zu lassen – nur ein Beispiel, das zeigt, wozu die Tiere in der Lage sind. Sie erkennen und merken sich Gesichter, unterscheiden dabei zwischen Freund und Feind und teilen diese Erfahrung anschließend auch mit ihren Artgenossen.

Die gesamte Familie der Rabenvögel zeichnet sich durch eine sehr hohe Intelligenz, eine beeindruckende Gedächtnisleistung und zudem durch ein stark ausgeprägtes Sozialverhalten aus. Denn auch das mit den „Rabeneltern“ ist ein menschengemachtes Vorurteil. „Rabenvögel leben in der Regel ihr ganzes Leben mit dem gleichen Part ner zusammen und kümmern sich jedes Jahr fürsorglich um zwei bis fünf Junge“, erklärt Brückner. Auch wenn Jungtiere scheinbar verlassen auf dem Boden herumhüpfen, kann sich jeder sicher sein, dass die Eltern in der Nähe sind und die Kleinen beschützen. „Die flächendeckende Jagd auf die Tiere entbehrt einfach jeder ökologischen oder wissenschaftlichen Grundlage und ist weder begründet noch gerechtfertigt“, kritisiert Brückner.

Bildrechte: Artikelheader: Unsplash – Roy Kasturi; Fotos: Unsplash – Piotr Makowski (Eichelhäher), Natasha Miller (Elster), Zoe Gayah Jonker (Rabe)