Tierschutzprobleme in der Eierproduktion bleiben auch nach dem Verbot des Kükentötens

Die Übriggebliebenen

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Tierschutzprobleme in der Eierproduktion bleiben auch nach dem Verbot des Kükentötens

Die Übriggebliebenen

Seit dem 1. Januar 2022 ist das Kükentöten in Deutschland endlich gesetzlich verboten – dafür hat der Deutsche Tierschutzbund lange gekämpft. Doch wer denkt, dass es damit keine Tierschutzprobleme mehr in der Eierproduktion gibt, liegt leider falsch. Denn auch die Alternativen haben ihre Tücken.

  • Autor: Verena Jungbluth, Chefredakteurin DU UND DAS TIER

Kaum das Licht der Welt erblickt, führte der erste und damit letzte Weg von circa 45 Millionen frisch geschlüpften männlichen Küken in Deutschland bis Ende Dezember 2021 jedes Jahr direkt in den Tod. Unzählige Videoaufnahmen zeigen, wie die piepsenden, flauschigen Küken auf Fließbändern saßen, wenige Minuten später dicht gedrängt in Kisten landeten, in mit CO2 geflutete Bereiche transportiert wurden und dort erstickten. Zuvor war auch das Töten der Tiere in großen Industrie-Häckslern erlaubt, die sie bei vollem Bewusstsein geschreddert haben.

Landwirtschaftliches System ist aus dem Ruder gelaufen

Wer jetzt denkt, dass er so etwas Grausames nicht ertragen kann, muss sich leider bewusst machen, dass das jahrelang die Realität und im gleichen Moment der Preis für den Konsum von Eiern war. Die Ursache dafür liegt in dem allein auf Masse und Profit ausgerichteten und damit völlig aus dem Ruder gelaufenen landwirtschaftlichen System. Der männliche Nachwuchs der Legehennen war einfach – so hart es klingt – wirtschaftlich gesehen nutzlos. An dieser Tatsache ändert leider auch das neue Gesetz nichts, das das Kükentöten seit dem 1. Januar in Deutschland verbietet.

Männliche Küken der Legerassen wachsen deutlich langsamer

Denn die Hähne legen nun einmal keine Eier und setzen in der Mast gleichzeitig nicht genügend Fleisch an – eine der vielen Folgen der extremen Hochleistungszucht. „Im Vergleich zu den Hühnern der Mastrassen, die in Rekordgeschwindigkeit an Gewicht zulegen, wachsen die männlichen Küken der Legerassen deutlich langsamer, was die Mast der Tiere bis zu fünfmal teurer macht“, erklärt Annika Lange, Referentin für Tiere in der Landwirtschaft beim Deutschen Tierschutzbund. „Dabei sind die Tiere nicht nur insgesamt magerer, sondern insbesondere ihr Brustmuskel ist auch deutlich kleiner – gerade der Körperteil, auf den der Verbraucher besonders großen Wert legt.“

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Der Wahnsinn der Hochleistungszucht bleibt

Das Thema Kükentöten ist sehr komplex und zieht sich schon seit Jahren durch die politische, landwirtschaftliche und wissenschaftliche Debatte. Unter anderem urteilte das Bundesverwaltungsgericht Leipzig bereits 2019, dass das Töten von Küken aus wirtschaftlichen Gründen nicht mit dem Tierschutzgesetz vereinbar ist. Der Deutsche Tierschutzbund hatte das Vorgehen schon lange zuvor kritisiert. „Dass das Verbot nun endlich in Kraft getreten und die Vergasung von 45 Millionen Küken pro Jahr illegal ist, war lange überfällig“, kommentiert Thomas Schröder, Präsident des Deutschen Tierschutzbundes. Doch das Grundproblem sei damit nicht vom Tisch: der Wahnsinn der Hochleistungszucht und der Effizienzdruck auf Kosten der Tiere. „Zugleich bleiben wichtige Fragen ungeklärt und das Verbot spekuliert auf unausgereifte Scheinlösungen, während dem Verbraucher auf dem Eierkarton bereits vorgegaukelt wird, das Töten sei endgültig vorbei“, so Schröder. Schon einige Zeit vor Inkrafttreten des Gesetzes warben die Hersteller mit Slogans wie „Ohne Kükentöten“, „Schütz mich“, „Ein Herz für Küken“ oder „Nicht ohne mein Brüderchen“.

Das Töten findet nun im Inneren der Eier statt

Die Wahrheit ist jedoch, dass das neue Gesetz das Töten der Küken lediglich von außerhalb in das Innere der Eier verlagert. Denn als alternative Lösung zum Töten der Eintagsküken wird vor allem die Geschlechtsbestimmung im Ei und damit das Töten der Embryos vor dem Schlupf forciert. „Grundsätzlich ist die Geschlechtsbestimmung im Ei ein erster wichtiger Schritt, um das Töten männlicher Küken relativ kurzfristig beenden zu können. Hierbei ist aber natürlich essenziell, dass die Küken zum Zeitpunkt der Geschlechtsbestimmung noch über kein Schmerzempfinden verfügen“, so Lange.

„Allerdings ermöglicht keines der momentan marktreifen Verfahren eine Geschlechtsbestimmung vor dem siebten Bruttag. Und zu diesem Zeitpunkt ist ein Schmerzempfinden der Küken im Ei nicht ausgeschlossen.“

– Annika Lange

Der Deutsche Tierschutzbund lehnt alle Methoden ab, die nach dem sechsten Bruttag angewendet werden, und macht auf die Irreführung der Verbraucher aufmerksam. Den meisten von ihnen ist durch die Kommunikation der Werbemaschinerie nicht bewusst, dass für Eier, die der Handel mit der Angabe „Ohne Kükentöten“ vermarktet, schmerzempfindliche Embryonen sterben mussten. Laut dem neuen Gesetz bleibt das auch noch bis Ende 2023 erlaubt. „Nach aktuellem Wissensstand ist es zudem sehr unwahrscheinlich, dass danach Methoden zur Verfügung stehen, die die Geschlechtsbestimmung im Ei vor dem siebten Bruttag möglich machen. Trotzdem dürfen Verfahren, die erst ab dem siebten Bruttag greifen, auch 2024 nicht erlaubt werden“, so Lange.

Aufzucht der Bruderhähne ist problematisch

Die zweite Alternative ist die Aufzucht der männlichen Küken. Was auf den ersten Blick vielversprechend klingt, bringt auf den zweiten Blick ebenfalls verschiedene Tierschutzprobleme mit sich. Denn bis auf einzelne, vorwiegend Bio-Initiativen, die bereits Regelungen zur Aufzucht von Bruderhähnen erlassen haben, gibt es in Deutschland derzeit keine gesetzlichen Vorgaben, die die Aufzucht und die Schlachtung dieser Tiere regeln würden. Das ist jedoch dringend nötig. „Sonst besteht die Gefahr, dass die Hähne mit viel zu vielen Tieren auf zu engem Raum, ohne Auslauf, Tageslicht und Beschäftigungsmaterial gehalten werden“, so Lange. „Die Bruderhähne unterscheiden sich in ihrem Verhalten und ihren Bedürfnissen stark von konventionellen Masthühnern und brauchen andere Haltungsbedingungen. Auch körperlich gibt es große Unterschiede – für die aktuellen Schlachtsysteme, die auf die deutlich kräftigeren Masthühner ausgelegt sind, sind die Bruderhähne zu klein.“ Die Tierschützer befürchten lange Lebendtiertransporte zur Tötung der Tiere im Ausland, da es in Deutschland an geeigneten Schlachthöfen fehlt.

Abkehr von der Hochleistungszucht nötig

Für den Deutschen Tierschutzbund sind aus all diesen Gründen weder die Aufzucht der Bruderhähne noch die Geschlechtsbestimmung im Ei langfristige tierschutzgerechte Lösungen. Denn zusätzlich zu den genannten Problemen krankt die Geflügelindustrie auch an allen anderen Ecken und Enden. „Die konventionelle Legehenne bleibt ein auf maximale Eierproduktion ausgerichtetes Tier, das an Eileiterentzündungen und Knochenschwäche leidet, während Masthühner in ihrem kurzen Leben so rasant an Masse zunehmen, dass Skelett und Herz-Kreislauf-System nicht mitkommen und die Tiere schließlich kaum mehr laufen können“, so Schröder. „Statt wie die ehemalige Ministerin Klöckner nur Fassaden aufzuhübschen, muss die neue Regierung schnellstmöglich eine politische Gesamtstrategie erarbeiten und die Förderung von gesünderen und robusteren Hühnerrassen vorantreiben.“

Zucht von Zweinutzungstieren ist aus Tierschutzsicht der beste Weg

Der aus Tierschutzsicht beste Weg ist die Rückkehr zu Zweinutzungstieren, also Hühnern, die sowohl Eier legen als auch Fleisch ansetzen. Die Etablierung dieser sogenannten Zweinutzungshühner muss direkt in der Kombination mit tiergerechten Aufzucht-, Haltungs-, Transport- und Schlachtstandards erfolgen. Das erfordert natürlich einige strukturelle Änderungen in der deutschen Geflügelwirtschaft, die nicht ohne gesetzliche Rahmenbedingungen und Förderungen für umstellungsbereite Landwirte auskommen. „Dabei ist es wichtig, dass die hiesigen Landwirte vor Wettbewerbsverzerrungen durch ausländische Erzeuger geschützt werden“, so Lange.

Verbraucher brauchen klare Produktkennzeichnung

„Es muss dringend verhindert werden, dass die Anforderungen umgangen werden, indem Brütereien zum Beispiel ins Ausland verlegt und Küken, Jung- oder Legehennen anschließend importiert werden.“ Für eine bewusste Kaufentscheidung der Verbraucher sind darüber hinaus klare Produktkennzeichnungen unerlässlich, mit deren Hilfe sie erkennen können, unter welchen Bedingungen und wo die Tiere gelebt haben.

Da das Töten von Eintagsküken im Rest der Welt
nach wie vor Gang und Gäbe ist,
steckt das Leid auch hierzulande immer noch
in Produkten wie Kuchen oder Nudeln,
in denen verarbeitete Eier aus dem Ausland enthalten sind.

Auch die Kommunikation, welche Verfahren zur Geschlechtsbestimmung im Ei angewendet beziehungsweise unter welchen Bedingungen die Bruderhähne aufgezogen wurden, muss transparent sein. „Deutschland muss eine Vorreiterrolle einnehmen und durch rechtliche, bundesweite Vorkehrungen zeigen, wie eine EU-weite Lösung aussehen könnte“, fordert Lange.

Bildrechte: Artikelheader: stock.adobe.com – Aleksandar (Küken); Foto: Pixabay – Myriams-Fotos (Ei)