Mehr Platz? Von wegen!

Hinter den Kulissen

Mehr Platz? Von wegen!

Bis zu 17 Jahre – so viel Zeit gewährt das Bundeslandwirtschaftsministerium Sauenhaltern, damit sie ihre Schweineställe minimal tiergerechter gestalten. Aus Sicht des Deutschen Tierschutzbundes sind solche Zugeständnisse an die Fleischlobby absolut inakzeptabel.

  • Autor: Nadine Carstens, Redakteurin DU UND DAS TIER

Ein tierschutzgerechterer Umbau der konventionellen Schweinehaltung ist lange überfällig. So sieht das auch der Berliner Senat, der vor ein paar Monaten einen Normenkontrollantrag eingereicht hat – das Bundesverfassungsgericht muss nun die bundesrechtlichen Vorschriften zur Haltung von Schweinen prüfen. Auf den ersten Blick löblich scheinen auch die neuen Pläne des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft zu sein – es gibt vor, die Lebensbedingungen für Sauen in Deutschland verbessern zu wollen. Doch wer die geplanten Änderungen der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung unter die Lupe nimmt, stellt fest: Es handelt sich mal wieder um Augenwischerei. Denn Landwirte bekommen bis zu 17 Jahre Zeit, um die Vorgaben umzusetzen und ihre Betriebe entsprechend umzubauen – aus Tierschutzsicht eine Ewigkeit. Noch dazu sind die Änderungen absolut ungenügend.

In der Realität verbringen die meisten Muttersauen einen Großteil ihres Lebens im Kastenstand.

In der Realität verbringen die meisten Muttersauen einen Großteil ihres Lebens im Kastenstand.

Nachdem die Große Koalition in Berlin bereits das Verbot der betäubungslosen Ferkelkastration um zwei Jahre verschoben hat, stellt dies erneut ein Zugeständnis an die Agrarlobby dar, das zulasten von Millionen Schweinen geht. Der Bund plant nun, speziell die Haltung von Sauen zu ändern. In konventionellen Betrieben verbringen diese derzeit noch einen Großteil ihres Lebens in Kastenständen – das sind viel zu enge Käfige, in denen die Tiere sich kaum bewegen, höchstens aufstehen und sich hinlegen können. Sauen sind bis zu vier Wochen nach der künstlichen Besamung, eine Woche vor Geburt ihrer Ferkel und während des Säugens auf diesem engsten Raum gefangen.

„Kastenstände werden vor allem wegen der Arbeitserleichterung und Produktionssteigerung genutzt“, schildert Christina Höbel, Referentin für Tiere in der Landwirtschaft beim Deutschen Tierschutzbund. Indem die Tiere fixiert werden, muss zum Beispiel weniger Zeit für das Besamen und für die Trächtigkeitsuntersuchung aufgewendet werden. Zudem ist es möglich, mehr Sauen im Stall zu halten, da weniger Platz benötigt wird.

Deutschland hinkt hinterher

„Bei durchschnittlich 2,3 Würfen pro Jahr verbringen Sauen jährlich etwa fünf Monate im Kastenstand“, schildert Höbel. In der Enge verletzen sie sich und werden krank – verbreitet sind beispielsweise Wunden an den Schultern, Entzündungen der Gebärmutter und Infektionen des Harntrakts. „Auch Verhaltensstörungen wie Stangenbeißen und Leerkauen sind vorprogrammiert.“ Jetzt will die Bundesregierung die maximale Dauer, in der Sauen im Kastenstand im Deckzentrum für die künstliche Besamung fixiert werden dürfen, von derzeit 35 auf acht Tage reduzieren. „Hierbei ist allerdings nicht ersichtlich, worauf sich diese Zeitspanne begründet, denn Sauen können nur an zwei bis drei Tagen trächtig werden“, erläutert Höbel.

BEI DURCHSCHNITTLICH 2,3 WÜRFEN
PRO JAHR  VERBRINGEN SAUEN JÄHRLICH
FÜNF MONATE IM KASTENSTAND.

Aus Sicht des Deutschen Tierschutzbundes sollten die Sauen während der Deckzeit nur individuell zum Vorgang der Besamung oder zur tierärztlichen Behandlung fixiert werden. „Eine Fixierung über drei bis fünf Tage hinaus ist nicht akzeptabel“, so die Expertin. Um nach dem Decken mögliche Kämpfe der Schweine um die Rangordnung zu vermeiden, wäre es zudem am besten, die Sauen schon vor dem Besamen zu gruppieren. Dann wäre die Rangordnung bereits geklärt, sodass die trächtigen Sauen in dieser sensibleren Phase weniger unter Stress ständen.

Auch wenn die Sauen ihre Ferkel zur Welt bringen, im Fachjargon spricht man von „Abferkeln“, sollen sie zukünftig nur noch maximal fünf Tage statt wie bisher bis zu 35 Tage fixiert werden. Der Deutsche Tierschutzbund ist aber grundsätzlich dagegen, Sauen in diesem Zeitraum überhaupt im Kastenstand zu halten. „Die Muttertiere sind gestresster, da sie natürliche Verhaltensweisen nicht ausleben können“, sagt Höbel. „Zum Beispiel können sie kein Nest bauen, den Liege- vom Kotbereich nicht trennen, und auch der wichtige Sau-Ferkel-Kontakt während der Säugezeit ist stark eingeschränkt.“ In der Schweiz, in Schweden und Norwegen werden die Muttersauen schon seit Jahren nicht mehr fixiert. Deutschland hinkt also hinterher.

Verstoß gegen ein Gerichtsurteil

Die Größe der Kastenstände will das Ministerium ebenfalls anpassen – sowohl im Deckzentrum als auch im Abferkelbereich. Doch auch hier kommt die Politik den Sauenhaltern unverhältnismäßig weit entgegen und streicht sogar eine wichtige Vorgabe aus der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung. Die besagt eigentlich, dass eine Sau, die im Kastenstand auf der Seite liegt, ihre Gliedmaßen ungehindert ausstrecken können muss. Ist dies nicht möglich, muss der Kastenstand nebenan frei bleiben – das stellte das Oberverwaltungsgericht Magdeburg bereits 2015 klar. Ein Jahr später bestätigte das Bundesverwaltungsgericht dieses Urteil.

Weitere Informationen

Lesen Sie zusätzliche Hintergrundinformationen zum Thema Schweinehaltung auf der Website des Deutschen Tierschutzbundes:
www.tierschutzbund.de/schweine

Anstatt dafür zu sorgen, dass Landwirte dieses Rechtsurteil zügig umsetzen, streicht das Ministerium diesen Satz nun einfach aus der Verordnung. „Indem die Rechtsprechung missachtet wird, sollen die gesetzlichen Vorgaben an die aktuellen Gegebenheiten angepasst werden“, kritisiert Thomas Schröder, Präsident des Deutschen Tierschutzbundes. Aus wirtschaftlichen Gründen mag es zwar nicht realistisch sein, dass Landwirte die Forderung sofort umsetzen – beispielsweise indem sie jeden zweiten Kastenstand frei lassen. „Trotzdem ist eine Übergangsfrist von bis zu 17 Jahren nicht akzeptabel – die Sauen sollten nur noch so kurz wie möglich in den tierschutzwidrigen Kastenständen verbleiben“, so Schröder. Zumal das Urteil des Oberverwaltungsgerichtes bereits mehr als drei Jahre zurückliegt.

Verbesserungen erforderlich

Das Agrarministerium muss aus Sicht des Verbandes die gesamten geplanten Vorgaben dringend noch einmal überarbeiten und diesmal zusätzliche Anforderungen berücksichtigen, die bislang außer Acht gelassen wurden. „Zum Beispiel ist es wichtig, dass das Ministerium neben der Abschaffung des Kastenstandes weitere Änderungen hinsichtlich Platzangebot, Bodengestaltung und Buchtenstrukturierung in der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung vornimmt“, erläutert Höbel. Wichtig wären zudem betriebsindividuelle Lösungen mit verbindlichen Umstellungsplänen, die auch Sofortmaßnahmen enthalten, um das Leid der Sauen in der Übergangszeit, bis auf die Gruppenhaltung umgestellt wird, zu verringern. Ein Ende der Käfighaltung in der Landwirtschaft fordert unterdessen auch die Initiative „End the Cage Age“ von 150 Organisationen in Europa, darunter der Deutsche Tierschutzbund. Wie Sie diese unterstützen können, lesen Sie hier.

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