Autor: Nina Himmer, freie Autorin
Die Bilder sind schwer zu ertragen: Marder und Waschbären, die wie von Sinnen in Drahtkäfigen umherrasen. Katzen und Füchse, die mit zerquetschten Gliedmaßen qualvoll in Fallen verenden. Tierschutzorganisationen laufen immer wieder Sturm gegen die Jagd mit Lebend- und Totschlagfallen und fordern ein gesetzliches Verbot. „Viele Menschen wissen gar nicht, dass diese Fangjagd auch in Deutschland gängige Praxis ist“, sagt James Brückner, Referent für Artenschutz beim Deutschen Tierschutzbund, der sich klar gegen solche Jagdpraktiken ausspricht: „Die Bejagung mit Fallen ist aus unserer Sicht grausam und ineffektiv.“ Tatsächlich zeigt die Forschung, dass Bestände von Beutegreifern nicht wesentlich sinken. In der Praxis gehen viele Tiere in den Fallen elendig zugrunde.
Mit dem Bundesjagdgesetz ist das eigentlich nicht vereinbar: Zumindest auf dem Papier ist es verboten, Fallen einzusetzen, die ein Tier nicht unversehrt fangen oder sofort töten. „Zwischen Anspruch und Wirklichkeit klafft eine gewaltige Lücke“, sagt Brückner. Dass Fallen mehrmals täglich kontrolliert werden, nur bei bestimmten Tieren zuschnappen und schnell und schmerzfrei töten, sei in der Praxis keinesfalls die Regel. „Bestimmte Fallen machen keinen Unterschied zwischen Fuchs, Waschbär, Marder oder einer Wild- oder Hauskatze – daher werden mitnichten immer nur die anvisierten Tiere getötet.“ Zwar werden die Fallen technisch ausgefeilter und sind teils mit Apps verknüpft, die den Jäger beim Auslösen informieren. Doch eine unabhängige Kontrolle, etwa durch Behörden, gibt es nicht.
Viele Tiere verletzen sich schwer, wenn die Falle ihnen nicht wie vorgesehen das Genick bricht oder den Schädel zertrümmert. Wird zum Beispiel die Pfote oder die Wirbelsäule eingeklemmt, beginnt ein langer und qualvoller Todeskampf. Das passiert, weil sich die jeweiligen Tiere dem Köder unterschiedlich nähern. Waschbären tasten mit der Pfote danach, Füchse oder Marder schnuppern daran. Auch in Lebendfallen sterben die Tiere oft, bevor ein Jäger sie erlöst: Bekannt ist, dass Panik und Stress zum Beispiel bei Mauswieseln häufig zu Herzversagen führen.
Dass in Deutschland noch viel mit Fallen gejagt wird, ist in der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt. Die meisten Menschen verbinden die Jagd mit dem Schießen vom Hochsitz, doch die sogenannte Ansitzjagd macht nur einen Teil aus. Hinzu kommen Treib-, Stöber- und Drückjagden, bei denen das Wild von Menschen und/ oder Hunden in großer Zahl aufgescheucht und erlegt wird. Wildschweine werden zudem mancherorts mit sogenannten Saufängen gefangen. Diese können wie ein Bretterverschlag aussehen, haben einen größeren Zugang und bieten so gleich ganzen Wildschweinrotten auf einmal Platz. Sind die Tiere in die Falle getappt, schließt sich die Falltür und damit der einzige Ausweg. Daraufhin erschießen die Jäger die gesamte Gruppe. Dies kann durchaus mehrere Minuten dauern.
Hinzu kommen Methoden wie das sogenannte Frettieren, bei dem Frettchen auf Wildkaninchenbauten angesetzt werden, oder die Beizjagd, also das Jagen mit Greifvögeln. Auf all diese Arten werden in Deutschland jedes Jahr rund fünf Millionen Wildtiere getötet. Das sei nötig, um das ökologische Gleichgewicht zu wahren und die Artenvielfalt zu erhalten, heißt es vonseiten der Jäger. Auf dem ersten Blick leuchtet das ein: Beutegreifer wie Wölfe spielen hierzulande kaum eine Rolle und mitunter machen gebietsfremde Arten den heimischen Tieren das Leben schwer. Trotzdem halten viele Experten die Argumentation für ein Märchen.
Professor Josef Reichholf zum Beispiel, Zoologe und Dozent an der TU München. Er ist überzeugt: „Raubtiere haben die Wildbestände in Deutschland nie nennenswert reguliert. Dafür haben Krankheiten, Winterhärte und Nahrungsmangel gesorgt“, sagt er. Genau diese Faktoren aber schalten Jäger systematisch aus, indem sie das Wild hegen – es etwa im Winter füttern oder medizinisch versorgen und impfen. Durch die Wildhege steigen die Bestände nachweislich an. Mit der Wahrung des ökologischen Gleichgewichts habe das nicht viel zu tun, meint Artenschutz-Experte Brückner: „Gepäppelt wird vor allem das für den Abschuss gedachte Rot- und Rehwild. Beutegreifer wie Marder oder Füchse hingegen werden systematisch verfolgt, zum Teil sogar ganzjährig bejagt, weil sie den Jägern Konkurrenz machen. So wird das Verhältnis zugunsten bestimmter Arten verschoben, von Gleichgewicht kann keine Rede sein.“
Beide sind der Ansicht, dass die Bestände des Schalenwilds, also Reh, Hirsch und Wildschwein, künstlich hochgehalten werden, um entsprechenden Jagderfolg zu sichern. Schließlich sei die Pacht für Jagdgebiete oft teuer und das Schießen für viele nach wie vor ein prestigeträchtiges Hobby. Auch eine wachsende Zahl von Jägern sieht die einseitige Wildhege kritisch. Elisabeth Emmert vom Ökologischen Jagdverband etwa verweist auf die Leitlinien des Verbands. „Wir sprechen uns konsequent gegen die Fütterung von Wildtieren aus, weil sie an alle Nahrungsengpässe und Wildkrankheiten angepasst sind.“ Der Verein macht sich für ausgedehnte Schonzeiten, stressfreie und effiziente Jagdmethoden, regelmäßige Fortbildungen und Schießkontrollen für Jäger, die Ausbildung von Jagdhunden ohne lebende Tiere sowie ein klares Abschussverbot für Hunde und Katzen stark. „Wir wollen eine zeitgemäße Jagd, die Wert auf Ökologie und Tierschutz legt, sich offen mit wissenschaftlichen Erkenntnissen auseinandersetzt und die Jagd nicht als Selbstzweck ansieht“, so Emmert.
Tatsächlich ist die Jagd in Deutschland alles andere als zeitgemäß: Das Bundesjagdgesetz stammt zu wesentlichen Teilen aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, größere Anpassungen sind seit Ende der 1970er-Jahre ausgeblieben. Der Deutsche Tierschutzbund macht sich daher seit Langem für eine umfassende Novellierung des Gesetzes stark. Dabei geht es vor allem um drei Ziele: die Kürzung der Liste jagdbarer Arten, eine Verkürzung der Jagdzeiten und ein Verbot tierschutzwidriger Jagdmethoden. Doch die Verhandlungen gestalten sich schwierig: „Jäger haben eine große Lobby, bekleiden viele Ämter und lassen nicht gern an ihren Privilegien rütteln“, sagt Brückner.
Dabei gehe es in erster Linie nicht darum, die Jagd ganz zu verbieten. „Das wäre illusorisch. Aber der Ist-Zustand ist so einfach nicht tragbar.“ Dass die Landesjagdgesetze sich teilweise massiv unterscheiden, macht den Kampf für die Tierschützer nicht einfacher. Nicht einmal die Schonzeiten sind bundesweit einheitlich geregelt. Durch die ganzjährigen Jagdzeiten für manche Wildarten ist das Wild hierzulande extrem scheu und schwer zu beobachten. Das ist auch für Spaziergänger und Wanderer schade: Dass es auch anders geht, zeigen Tiere in jagdfreien Zonen, die sich problemlos beobachten lassen und mehr Vertrauen zu Menschen haben. Forscher sprechen deshalb von einem „Nationalparkeffekt“.
Brückner ärgert vor allem, dass die Jagd oft als alternativlos dargestellt wird, etwa für den Arten- und Naturschutz. Seine Bedenken lassen sich gut am Beispiel des Waschbären verdeutlichen: Die Art stammt ursprünglich aus Nordamerika und vermehrt sich hierzulande so stark, dass sie nach Ansicht der Jägerschaft heimische Arten gefährdet. Daher werden Waschbären massiv bejagt. Da sich allerdings schon große Bestände etabliert haben, verpufft die Jagd ohne Wirkung – denn Reviere werden sofort neu besetzt. „Eine tiergerechte und nachhaltige Lösung wäre die Kastration möglichst vieler Tiere: Ein kastrierter Waschbär besetzt weiter ein Revier und könnte so möglicherweise zu einer tierverträglichen Reduktion der Population führen“, sagt Brückner.
Für starke Emotionen sorgen allerdings in der Regel nicht Waschbär, Reh und Wildschwein, sondern Katzen und Hunde. Deren Abschuss ist laut Gesetz zum Schutz des Wildes erlaubt. Je nach Bundesland dürfen Katzen, die sich 200 bis 500 Meter vom Haus entfernt aufhalten, geschossen werden, Hunde nur dann, wenn sie wildern. Wenige Bundesländer erfassen zum Haustierabschuss Zahlen. Basierend darauf kommen nach Schätzung des Verbandes jährlich über 100.000 Katzen und mehrere 100 Hunde ums Leben. „Natürlich ist es nicht in Ordnung, wenn Hunde wildern“, betont Brückner, „aber dafür ist der Besitzer zur Verantwortung zu ziehen und nicht das Tier.“
Auch bei Katzen lässt er die Argumentation, dass sie die Bestände von Singvögeln gefährden, nicht gelten. „Studien dazu sind alles andere als eindeutig. Und abgesehen davon wäre auch hier eine Bestandskontrolle durch Kastration die bessere Alternative.“ Trotz guter Argumente aufseiten der Tierschützer hat er wenig Hoffnung, dass die Gesetze bald entsprechend angepasst werden. Dazu sei zunächst ein Umdenken nötig, das auf der Erkenntnis basiert, dass die Natur keine Jäger braucht. Wohl aber der Jäger die Natur.