Autor: Verena Jungbluth, Chefredakteurin DU UND DAS TIER
Ein Foto, das eine Ratte zeigt, die in einem Gully steckt – kaum zu glauben, aber 2019 ging ein solches Bild um die Welt. Die Berufstierrettung Rhein-Neckar hatte damals in Bensheim eine Ratte aus einem Kanaldeckel befreit und ahnte nicht, dass ihr Facebook-Beitrag über diese Rettung eine solche Welle schlagen sollte. Von lokalen Medien über verschiedene TV-Sender bis hin zur BBC interessierten sich alle für diese eine Ratte – die stellvertretend für all die Tiere steht, die jedes Jahr in Gullys, ungesicherten Abwasser- und Entwässerungskanälen sowie Lichtschächten einen qualvollen Tod sterben, weil niemand sie findet und rettet.
„Wir schätzen, dass jedes Jahr Hunderttausende Tiere auf diese Art und Weise verenden“, sagt James Brückner, Leiter der Abteilung Artenschutz beim Deutschen Tierschutzbund. Neben der Ratte in Bensheim wurden in der Vergangenheit zum Beispiel in Dortmund und München auch schon Eichhörnchen gerettet, die jeweils in einem Gullydeckel feststeckten. Nicht auszumalen, wie viele Tiere dort regelmäßig hineingeraten und elendig sterben – ohne dass das jemand merkt.
sagt Brückner. Hinzu kommen all die Kröten, Frösche und Molche, die sich jetzt im Frühjahr auf die Wanderung zu ihren Laichplätzen machen.
Wenn die Temperaturen im Frühling steigen, verlassen Millionen Amphibien ihre Winterquartiere, um an ihren eigenen Geburtsort zurückzukehren und dort für Nachwuchs zu sorgen. Da sie auf ihrer Route oft zahlreiche Straßen und Landstraßen kreuzen müssen, werden viele von ihnen auf ihrer Reise überfahren – und es kommt tragischerweise nur ein kleiner Teil der Tiere am Zielort an. Innerhalb der Dörfer und Städte, die sie auf ihrem Weg häufig durchqueren müssen, kommen zusätzlich Gullys als Gefahr hinzu.
Viele Tiere fallen hinein, weil sie sich vom feuchten Mikroklima der Gullys angezogen fühlen, oder weil sie an hohen Bordsteinen entlangwandern müssen und letztlich den Halt verlieren. Andere Kröten, Frösche oder Molche werden bei starken Regenfällen direkt in die Abwasserkanäle hineingespült. „Einmal gefangen, gibt es für die Tiere dort kein Entkommen mehr, da es in der Regel keine Ausstiegshilfen gibt und niemand das unterirdische Tierleid bemerkt“, so Brückner. „Spätestens in der Kläranlage ist der lange Leidensweg der Tiere dann zu Ende.“
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Die schiere Anzahl der Tiere, die jedes Jahr auf diese Art und Weise sterben, macht das Ganze zu einem eklatanten Tier- und Artenschutzproblem. „Zwar gibt es inzwischen Initiativen, die das Problem erkannt haben. Bisher ist die Thematik aber noch nicht in der breiten Öffentlichkeit angekommen“, so Brückner. Dabei gibt es zahlreiche Maßnahmen, die dabei helfen könnten, die Gefahr für die Tiere einzudämmen. In einem ersten Schritt sollten alle Hausbesitzer und Mieter sämtliche Schächte und weitere potenzielle Gefahren rund um das eigene Haus prüfen und zum Beispiel mit Drahtgittern sichern. Auf den Straßen könnten abnehmbare Gullyabdeckungen – die lediglich Regenwasser durchlassen und während der Wanderzeit der Amphibien auf die Gullys gelegt werden –, verhindern, dass die Tiere dort hineinfallen.
Flache statt hohe Bordsteine sowie Rampen könnten den Tieren zudem dabei helfen, die Straßen besser und schneller zu verlassen. In den Gullys selbst würden Ausstiegshilfen es den Tieren ermöglichen, dem Abwassersystem selbstständig zu entkommen. Darüber hinaus sollten Wasser- und Stadtwerke Vorsorgemaßnahmen treffen, damit der Schutz der Amphibien bei Absauge- und Reinigungsmaßnahmen in den Pumpanlagen und Sammelbecken gewährleistet wird.
fordert Brückner. „Vor allem in den Gebieten, die in der Nähe von Laichgewässern und am Waldrand liegen, und von denen bekannt ist, dass sie auf der Wanderroute der Amphibien liegen.“
Darüber hinaus sollten vermehrt mobile Leitzäune über und feste Amphibientunnel unter den Straßen errichtet werden, um den Tieren eine sichere Wanderung zu ermöglichen. Dort, wo es noch keine solcher Schutzmaßnahmen gibt, sollten die Gullys regelmäßig kontrolliert und die Tiere gerettet werden. Jedes Jahr errichten Tierschützer bundesweit Krötenzäune an Straßen und bringen die Tiere in Auffangeimern von der einen auf die andere Seite. Hunderttausende Amphibien verdanken den vielen ehrenamtlichen Helfern ihr Leben. „Langfristig muss sich die Norm für Systeme der Entwässerung ändern. Nur dann könnten in den Gullys Ausstiegshilfen für die Tiere verpflichtend werden“, fordert Brückner.