Forschung ohne Tierversuche

Hinter den Kulissen

Forschung ohne Tierversuche

Sowohl in der Krebsforschung als auch für den Tierschutz könnte es ein Durchbruch sein: Wissenschaftler aus Heidelberg und Hannover haben mithilfe einer Methode ohne Tierversuche eine neue Immuntherapie entwickelt, die Tumorzellen erfolgreich bekämpft und zukünftig viele Tierversuche im Bereich der Forschung für neue Immuntherapien ersetzen könnte.

  • Autor: Nadine Carstens, Redakteurin DU UND DAS TIER

Die Metastasen in der Leber (links) verschwanden bei diesem Patienten nach der Behandlung (rechts).

Die Metastasen in der Leber (links) verschwanden bei diesem Patienten nach der Behandlung (rechts).

Sowohl in der Krebsforschung als auch für den Tierschutz könnte es ein Durchbruch sein: Wissenschaftler aus Heidelberg und Hannover haben mithilfe einer Methode ohne Tierversuche eine neue Immuntherapie entwickelt, die Tumorzellen erfolgreich bekämpft und zukünftig viele Tierversuche im Bereich der Forschung für neue Immuntherapien ersetzen könnte.

Tierversuche ergeben kaum Erkenntnisse, die auf den Menschen übertragbar sind. Trotzdem hält die Mehrheit der Wissenschaftler und Pharmaunternehmen daran fest. Dabei gibt es heutzutage andere, innovative Möglichkeiten, Krankheiten zu heilen. Der Deutsche Tierschutzbund setzt auf Alternativmethoden: Hier gewinnen Forscher mittels hochmoderner Verfahren einen unmittelbaren Blick auf den menschlichen Patienten, ohne dass Tiere darunter leiden müssen. Auf Tierversuche verzichtet haben auch Wissenschaftler des Nationalen Centrums für Tumorerkrankungen (NCT) und des Universitätsklinikums Heidelberg, um eine neue Immuntherapiefür Krebspatienten zu entwickeln: In Zusammenarbeit mit dem Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) haben sie einen vielversprechenden Therapieansatz erarbeitet, bei dem sie ein Modell aus gespendetem menschlichem Tumorgewebe nutzen. So haben sie einen Weg gefunden, das Immunsystem des Menschen dazu zu bringen, selbst gegen den Tumor vorzugehen. Austricksen konnten die Wissenschaftler das Immunsystem mit dem Medikament Maraviroc, das sonst zur Behandlung von HIV-Patienten eingesetzt wird.

ZU GROSSE UNTERSCHIEDE ZWISCHEN MENSCH UND MAUS

Dr. Niels Halama war zuständig für die Pilotstudie.

Dr. Niels Halama war zuständig für die Pilotstudie.

Diese neue Strategie könnte nicht nur ein Meilenstein für die Onkologie sein, sondern auch für die Alternativmethoden-Forschung und somit für den Tierschutz. „Anstatt ein künstlich krank gemachtes Tier für Versuche zu missbrauchen, verwenden die Wissenschaftler ein am Menschen orientiertes (vollhumanes) Modell, das die volle Bandbreite menschlicher Zellen enthält. So konnten sie die Auswirkungen der Therapie Schritt für Schritt untersuchen, ohne den Umweg über ein Tier zu gehen“, erläutert Tilo Weber, Fachreferent des Bereichs Alternativmethoden zu Tierversuchen beim Deutschen Tierschutzbund. „Auf diese Art konnten sie die Wirksamkeit, die sie am tierleidfreien Modell beobachtet haben, in einer Pilotstudie mit Darmkrebspatienten direkt vergleichen.“ Dass diese Methode hilfreichere Erkenntnisse liefert, betont auch Dr. Niels Halama, Arzt und Wissenschaftler in der Abteilung medizinische Onkologie am NCT. „Im Bereich der Immunologie sind nach optimistischen Schätzungen nur fünf bis zehn Prozent der Ergebnisse aus Tierversuchen auf den Menschen übertragbar.“

Im Forschungsgebiet der Immuntherapien könne man von Forschungsergebnissen bei Kleintieren wie Mäusen und Ratten nur schwer auf den Menschen schließen, sagt der Facharzt. „Nur weil die Maus geheilt wurde, gilt das noch lange nicht für den Patienten. Gerade der angeborene Teil des menschlichen Immunsystems unterscheidet sich fundamental von dem von Kleintieren.“ Und in einem Tiermodell wäre auch nicht der Anti-Tumor-Effekt des HIV-Medikamentes entdeckt worden, sagt Dr. Halama. Trotzdem stießen er und seine Kollegen am Anfang auf Widerstand: „Es war zunächst schwierig, Unterstützung für unser Vorhaben zu gewinnen“, so Dr. Halama. Schließlich habe aber die Dietmar Hopp Stiftung geholfen, das Forschungsprojekt zu finanzieren.

Fünf Fragen an

Professor Dr. Dirk Jäger, geschäftsführender und ärztlicher Direktor des Nationalen Centrums für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg. Lesen

TIERVERSUCHE HABEN LANGE TRADITION

Der Deutsche Tierschutzbund begrüßt alternative Forschungsansätze wie die des NCT. „Tierversuche sind in Politik und Wissenschaft leider noch weitgehend akzeptiert und viele sogar für die Zulassung von Medikamenten oder Chemikalien gesetzlich vorgeschrieben“, sagt Weber. „Tierversuche bringen aber nicht den erhofften Durchbruch hinsichtlich dringend benötigter Therapien für Krankheiten wie Krebs, Alzheimer oder Parkinson. Umgekehrt können Tierversuche dazu führen,dass eine für den Menschen hilfreiche Therapie nicht entdeckt wird, weil diese nicht bei einem Tiermodell anschlägt.“

Tierversuche würden nicht durchgeführt, weil sie besser sind, sondern weil sie eine lange Tradition haben, fügt Weber hinzu. „Die Wirksamkeit einer Therapie mithilfe eines vollhumanen Modells zu belegen, ist daher genau der Ansatz, den wir brauchen: Diese Methode könnte zukünftig Zigtausende Tierversuche ersetzen.“ Auch Dr. Halama ist sehr optimistisch: „Wir haben jetzt ein Modell, das sehr präzise vorhersagt, was im Körper passiert und wie die Zellen reagieren. Diesen Erkenntnisgewinn wollen wir jetzt für weitere Untersuchungen nutzen.“