„Angst ist das Schlimmste“

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„Angst ist das Schlimmste“

Im Gespräch mit Dr. Maximilian Pick über die Missstände im Pferderennsport. Der Fachtierarzt für Pferde und Tierschutz hat 25 Jahre als Rennbahntierarzt gearbeitet. Er kennt die Szene bestens und kritisiert sie seit Jahren scharf.

  • Autor: Verena Jungbluth, Chefredakteurin DU UND DAS TIER

Dr. Maximilian Pick, Fachtierarzt für Pferde und Tierschutz.

DU UND DAS TIER: Herr Dr. Pick, wie sind Sie vom langjährigen Rennbahntierarzt zum größten Kritiker des Pferderennsports geworden?

Ich war nicht von Anfang an ein Kritiker. Ich habe eine Weile gebraucht, bis ich allmählich dahinter geschaut habe, welche Schäden, Leiden und Schmerzen die Pferde auf der Rennbahn erfahren. Ich war eigentlich gut in der Szene unterwegs und fing dann an zu kritisieren. Das ist auf Widerstand gestoßen und es kam zu heftigen Diskussionen. Ich habe gesagt, dass ich mich an die Rennordnung halte, aber auch versuchen werde, sie zu verändern, wo ich das für richtig halte. So wurde ich dann geduldet, war aber nicht mehr gerne gesehen. Nimmt man die 25 Jahre meiner Tätigkeit als Rennbahntierarzt, war ich die ersten zehn Jahre ein Anhänger und die weiteren 15 zunehmend ein Kritiker.

DU UND DAS TIER: Mit welchen körperlichen und seelischen Schäden der Pferde hatten Sie in Ihrer Zeit als aktiver Tierarzt an der Rennbahn am meisten zu tun?

Die körperlichen Leiden sind am offensichtlichsten. Das sind bei den Galoppern in der Regel Schäden an den Beinen. Meistens sind die Sehnen, aber auch die Gelenke oder Hufe betroffen. Außerdem haben wir sehr oft Erkrankungen der Luftwege festgestellt. Diese Erkrankungen der Bronchien und Lunge sind auf die schlechte Haltung zurückzuführen. Etwas weniger offensichtlich das haben wir erst in der letzten Zeit durch Magenspiegelungen entdeckt – sind die Magengeschwüre, die viele Rennpferde haben. Hinter ihnen steckt vorwiegend die katastrophal schlechte Fütterung der Rennpferde. Die Tiere bekommen ein Übermaß an kohlenhydratreichem Kraftfutter und relativ wenig Raufutter. Ein Pferd braucht in erster Linie Raufutter und dann kann es wenn es sehr viel arbeiten muss hier und da etwas Kraftfutter bekommen. Bei den Rennpferden ist das andersherum. Das ist meines Erachtens die Ursache für die Magengeschwüre. Und dazu kommt natürlich noch die Tatsache, dass die Pferde den ganzen Tag in der Box stehen. Sie werden maximal eine Stunde am Tag geritten – eher weniger. Das ist für ein ehemaliges Steppen- und Weidetier eine Katastrophe.

DU UND DAS TIER: Haben Sie angesichts dieser Zustände Mitstreiter innerhalb der Szene gefunden?

Unter den Tierärzten fast gar keine. Und das hat einen einfachen Grund: Der Tierarzt lebt von den Krankheiten der Pferde. Die Pferde gehören in der Regel einem Menschen, der versucht, von den Pferden zu profitieren. Und wenn jemand den Sport kritisiert, sucht derjenige sich einen anderen Tierarzt. Das ist einer der Gründe, warum ich so wenig Unterstützung bekommen habe – was mich ein bisschen traurig gemacht hat. Denn letztendlich ist es ganz offensichtlich, dass der Rennsport sich nicht gemäß dem Tierschutzgesetz verhält. Und die Zustimmung ist eigentlich mehr eine Form- als wirklich eine Überzeugungssache.

DU UND DAS TIER: Was halten Sie von der Aussage, dass Vollblüter eine frühreife Rasse sind und deshalb problemlos als Zweijährige in Rennen laufen können? Sind Rennpferde wirklich früher erwachsen als Dressur- oder Springpferde?

Es ist ein Märchen, dass ein Vollblüter ein frühreifes Pferd ist. Genauso wie es ein Märchen ist, dass ein Isländer ein spätreifes Pferd ist. Das stimmt einfach nicht. Erst, wenn sich die Epiphüsenfugen geschlossen haben, ist das Wachstum der Knochen beendet und das Pferd reif. Das ist definitiv der Fall, wenn es sechs Jahre alt ist, nicht vorher. Das bedeutet natürlich nicht, dass man ein vierjähriges Pferd nicht vielleicht schon reiten kann. Wenn die hohe Belastung des Pferderennens aber schon von Zweijährigen gefordert wird, ist das ein Verstoß gegen Paragraf 3 des Tierschutzgesetzes. Denn da steht: Es ist verboten, einem Tier – außer in Notfällen – Leistungen abzuverlangen, denen es wegen seines Zustands offensichtlich nicht gewachsen ist.

DU UND DAS TIER: Vielen Haltern scheint das egal. Wann beginnen sie mit den Trainings, wenn zweijährige Pferde bereits in Rennen auftauchen?

Sie kommen als Jährlinge auf die Rennbahn. Und da entstehen auch die meisten Schäden. Grundsätzlich: Die Pferde sind in der Regel eineinhalb oder zwei Jahre im Training auf der Rennbahn und scheiden dann aus, weil sie sich aus verschiedenen Gründen nicht mehr eignen. Über die Pferde, die schon vor dem ersten Rennen ausscheiden und nirgendwo mehr auftauchen, gibt es meines Wissens nach in Europa keine Statistiken.

DU UND DAS TIER: Thema tierschutzwidriges Zubehör: Was halten Sie vom Zungenband, das bei den Galoppern seit Juni 2018 verboten ist, aber im Trabrennsport noch immer Verwendung findet?

Das Zungenband soll verhindern, dass die Pferde ihre Zunge über das Gebiss nehmen. Denn dann lassen sie sich angeblich – ich habe es noch nicht erlebt – nicht mehr so gut regulieren. Aber die Tiere tun es nicht. Die Pferde lassen die Zunge seitlich heraus hängen. Das Zungenband ist nicht nur tierquälerisch, sondern auch schwachsinnig. Wenn jemand das macht, hat er von der Reiterei und von Pferden überhaupt keine Ahnung. Die Trainer, die erzählen, die Pferde würden die Zunge nach hinten ziehen, sie verschlucken und ersticken, erzählen Märchen. Das ist unglaublich und alles Quatsch. Zu den großen Tierquälereien auf der Rennbahn gehört es, mit ungeeigneten Pferden Erfolge haben zu wollen. Das ist übrigens auch im Reitsport so. Wenn ein Pferd nicht Dressur gehen will, dann muss ich es sein lassen. Man muss immer darauf achten, was die Pferde eigentlich möchten. Ich selbst habe Rennpferde, wenn sie nicht mehr auf der Rennbahn gehen konnten, mit meiner Frau zu Reitpferden umgeschult.

DU UND DAS TIER: Ist es ohne weiteres möglich, einen ausgemusterten Galopper zum guten Freizeitpartner zu machen und ihm ein pferdegerechtes Leben zu ermöglichen?

Wir haben ungefähr zehn Pferde von Renn- zu Reitpferden umgeschult. Davon sind zwei oder drei sehr gute Reitpferde geworden, zwei oder drei blieben unreitbar und die anderen haben sich nur mäßig geeignet. Die Pferderennen versuchen nicht nur körperliche, sondern auch hochgradige seelische Schäden. Diese sind das Hauptproblem. Je länger Pferde auf der Rennbahn waren, desto schwieriger ist es ihnen die Angst zu nehmen.

Jockey und Pferd beim Pferderennsport

Die Rennen bedeuten für die Pferde erhebliche Schmerzen und Schäden. Trotzdem wehren sich nur wenige Tierärzte aus der Szene dagegen.

DU UND DAS TIER: Sie beschreiben akute Vergehen in der Haltung und auf den Rennbahnen sowie ihre Langzeitfolgen. Wie kann es sein, dass die Missstände unter dem Tierschutzgesetz erlaubt sind?

Ganz genau steht im Tierschutzgesetz: Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen. Es ist sicherlich kein vernünftiger Grund, wenn ich auf ein Pferd eindresche, welches 100 Meter vor dem Ziel in der Geschwindigkeit nachlässt, weil es einfach erschöpft ist. Der Sieg, die Platzierung und das Geld, das ich dafür bekomme, können nicht als vernünftiger Grund gelten. Im österreichischen Tierschutzgesetz steht, dass man Pferden zusätzlich zu den Schmerzen, Leiden und Schäden auch schwere Angst nicht zufügen darf. Das sollte man in Deutschland auch mit einbringen. Denn die schwere Angst ist beinahe das Schlimmste, was man einem Pferd antun kann.

DU UND DAS TIER: Haben Sie die Hoffnung, dass sich zukünftig etwas ändert?

Das weiß ich nicht. Der Peitschengebrauch, die Schläge wurden während meiner Zeit als Rennbahntierarzt immer weiter reduziert. Aber es gibt auch den umgekehrten Trend. Im Trabrennsport waren eine Weile drei Schläge erlaubt, jetzt sind es wieder mehr. Minimal ändert sich etwas, aber im Wesentlichen ändert sich nichts. Die Empörung ist zum Beispiel nach einem Dokumentarfilm groß, aber nach einem halben Jahr ist alles wieder vergessen.

DU UND DAS TIER: Woher nehmen Sie die Kraft weiterzumachen?

Das liegt einfach in meinem Wesen. Pferde sind die Leidenschaft von meiner Frau und mir. Und weil ich von der Rennbahn komme und die Tierquälerei dort so furchtbar finde, kämpfe ich halt dagegen. Vielleicht wird sich etwas ändern, in 100 Jahren wird es vielleicht keine Rennen mehr geben – ich weiß es nicht. Aber unabhängig davon, ob man Erfolg hat oder nicht: Wenn man etwas für richtig hält, muss man es machen.

 

Weiterführende Informationen

  • Buchtipp: Im Ratgeber "Artgerechte Haltung von Pferden" informieren die Autoren Jutta und Maximilian Pick, Antje Rahn, Hanns Ullstein jun. sowie Norbert Wolff über wichtige Grundlagen zur artgerechten Haltung von Pferden.
    www.duunddastier.de/ausgabe/buchtipps_2_2018/