Autor: Verena Jungbluth, Chefredakteurin DU UND DAS TIER
Haie leben seit sage und schreibe 400 Millionen Jahren auf dieser Welt und sind überaus beeindruckende Lebewesen. Weltweit gibt es rund 530 Arten, die nicht nur in allen Regionen der Ozeane, sondern auch in Salz-, Süß- und Brackwasser beheimatet sind. Die verschiedenen Tiere sind perfekt an ihren jeweiligen Lebensraum angepasst und mit außerordentlichen Fähigkeiten ausgestattet. Der kleinste unter ihnen ist der 15 Zentimeter lange Zwerghai, der größte der bis zu 18 Meter lange Walhai, der sich im Gegensatz zu den meisten seiner Artgenossen hauptsächlich von Plankton ernährt. In europäischen Gewässern kommen circa 70 Arten vor, im deutschen Teil der Nordsee gelten Hunds-, Glatt-, Katzen- und Dornhaie als ständige Bewohner. Die Lebenserwartung ist je nach Art sehr unterschiedlich und wurde lange unterschätzt. Inzwischen ist bekannt, dass Weiße Haie über 70 Jahre und Grönlandhaie sogar über 500 Jahre alt werden können.
Unabhängig von ihrem Alter oder ihrer Statur spielen die Tiere im Meer eine ganz besondere Rolle. „Haie stehen an der Spitze der Nahrungskette und halten als wichtige Prädatoren die Flora und Fauna der Ökosysteme im Gleichgewicht und tragen somit sowohl zum Erhalt als auch zu einer gesunden Funktion bei – insbesondere von Korallenriffen“, sagt Katrin Pichl, Referentin für Artenschutz beim Deutschen Tierschutzbund.
„Jede schwindende oder ausgestorbene Art ist nicht nur als solches ein schmerzlicher Verlust, sondern hat auch einen direkten Einfluss auf die nächstfolgenden Organismen des Systems.“ Gibt es weniger Haie, erhöht sich die Population der nächstgrößeren Beutetiere, die wiederum pflanzenfressende Spezies jagen, die für die Regulation der Meerespflanzen sorgen – und alles gerät ins Ungleichgewicht. Doch leider genießen Haie nach wie vor ein schlechtes Image, was nicht zuletzt dem allseits bekannten Spielfilm „Der weiße Hai“ und zahllosen weiteren Horrorgeschichten zu verdanken ist, die sich seit jeher um die Tiere ranken. Bis heute werden Haie immer wieder ins schlechte Licht gerückt und die Gefahr, die von ihnen ausgeht, skandalisiert. Dabei ist die Wahrscheinlichkeit, von einem Hai angegriffen zu werden, im Gegensatz zu anderen Gefahren verschwindend gering. Auch Unfälle oder Bissverletzungen durch Säugetiere oder Reptilien gibt es deutlich häufiger.
Keine Frage, es gibt Unfälle mit Haien und es ist sehr tragisch, wenn Menschen verletzt oder gar getötet werden. „Aber ihr schlechtes Image als Schrecken der Meere ist nicht gerechtfertigt“, so Pichl. Das eigentliche Problem ist, dass Haie aufgrund der Überfischung immer öfter dazu gezwungen werden, weiter in Küstengebiete einzudringen oder am Tag zu jagen. So kommen sie dem Menschen bei ihrer Nahrungssuche immer näher.
Die globale Meeresfischerei beraubt die Tiere nicht nur ihrer Nahrungsgrundlage, sondern kostet zahllosen Haien auch direkt das Leben. Denn hochgerechnet bestehen mehr als zehn Prozent des globalen Fischfangs aus sogenanntem Beifang. Zum Teil werden Mengen über 40 Prozent erreicht, und bei der Grundschleppnetzfischerei kann der Beifang sogar den Hauptanteil des Fangs ausmachen. Hinter dieser anonymen Masse stecken Millionen Haie, Rochen, Delfine, Schildkröten und weitere Meerestiere, die sofort oder später sterben. Darüber hinaus finden Haie immer weniger geschützte Gebiete vor, da ihnen Bohrinseln, Offshore-Windanlagen und der Ressourcenabbau im Meer ihre Lebensräume wegnehmen.
Auch die Zerstörung von Mangrovenwäldern, die Kinderstube vieler Haiarten, ist ein massives Problem. Genau wie der Klimawandel, der auch Haie in den nächsten Jahrzehnten vor große Herausforderungen stellen wird, wenn sich die Temperaturen und der Salzgehalt der Gewässer verändern. Und auch der steigende Plastikmüll macht den Tieren zu schaffen. „Schon heute finden Forscher bei der Obduktion von verendeten Walhaien riesige Plastikberge in ihren Mägen, die mit für ihren Tod verantwortlich sind“, so Pichl. Zudem werden immer wieder Tiere mit verschnürten Körperteilen gesichtet. Besonders oft verheddern sich Hammerhaie aufgrund ihrer Kopfform in Plastikteilen und Netzen.
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Eine internationale Langzeitstudie hat ans Licht gebracht, dass die Bestände der Haie in den letzten 50 Jahren um mehr als 70 Prozent gesunken sind. Laut Roter Liste ist die Lage für Haie dramatischer als je zuvor. „Allein bis zu 273 Millionen Tiere werden jedes Jahr von Menschen getötet. Das macht etwa 200 Haie pro Minute – Beifang und illegale Fischerei nicht eingerechnet“, so Pichl. Dabei haben es die Jäger vorrangig auf die Flossen der Tiere abgesehen. Diese werden vor allem auf Märkten in China, Taiwan, Indonesien oder Thailand für teures Geld gehandelt, wobei Hongkong der Dreh- und Angelpunkt des internationalen Haiflossenhandels ist. „Die Flossen werden in Suppen, Nahrungsergänzungsmitteln, Kosmetika oder Produkten der traditionellen Medizin verarbeitet. Sie gelten als Statussymbol und Delikatesse und sollen Mythen zufolge Krebs heilen, die Potenz steigern oder allgemein energetisierend wirken“, so Pichl.
Es ist davon auszugehen, dass allein 73 Millionen Tiere pro Jahr wegen ihrer Flossen sterben – und die Beschaffung könnte grausamer nicht sein. Denn dies geschieht mit dem sogenannten Finning. „Dabei trennen die Fischer den Tieren alle Flossen bei vollem Bewusstsein ab und werfen sie anschließend einfach wieder über Bord – verstümmelt und dem Tode geweiht“, sagt Pichl. „Nur etwa ein Viertel des Haifleisches wird genutzt, da es im Vergleich zu den Flossen einen geringen Marktwert hat.“ Doch die Jagd auf Haie findet nicht nur in Asien statt. Auch in Europa, zum Beispiel in Spanien, Italien oder Griechenland, werden Tonnen von Haien wegen ihrer Flossen gefangen. Seit 2013 gilt in der EU zwar ein Verbot, lebenden Haien an Bord die Flossen abzutrennen und diese ohne den restlichen Körper an Land zu bringen. Aber die Überprüfung der Verordnung ist schwierig und der Handel mit Flossen aus Ländern, in denen Finning Gang und Gäbe ist, weiterhin erlaubt.
Darüber hinaus wollen die Jäger die fettreiche Leber der Tiere ergattern. Hai-Leberöle werden als Nahrungsergänzungsmittel, als Zusatz von Kosmetika, in chemischen Produkten, in der Ledergerbung oder der Pharmazie eingesetzt. Auch Lebertran besteht mitunter aus Leberölen von verschiedenen Haiarten. Darüber hinaus ist die biochemische Substanz Squalen Teil der Begierde, die in der Leber von Haien, insbesondere von Tiefsee-Haien, in besonders hoher Konzentration vorkommt. Squalen ist ebenfalls ein Hilfsstoff in der Herstellung von Kosmetika und Medizinprodukten, obwohl es längst pflanzliche Alternativen aus Zuckerrohr, Hefe oder Oliven gibt. „Sowohl zur Gewinnung als auch zum Handel mit Squalen gibt es bisher wenige belastbare Daten. Aber Schätzungen gehen davon aus, dass weltweit jährlich drei Millionen Haie nur für die Gewinnung dieser Substanz getötet werden“, berichtet Pichl.
Neben denen in freier Wildbahn leiden auch die Tiere in Aquarien unter den Menschen. „Bei Haien kann man grundsätzlich sagen, dass die Haltung in Gefangenschaft äußerst schwierig und kaum artgerecht möglich ist.“ Bisher ist weder genug über die Bedürfnisse und das Verhalten der Tiere in freier Wildbahn bekannt noch gibt es wissenschaftliche Studien zu der Haltung, aus denen man tierschutzbezogene Anforderungen ableiten könnte. „Unter anderem ist davon auszugehen, dass der begrenzte Platz und die reizarme künstliche Umgebung zu Stereotypien sowie einem erhöhten Aggressionsverhalten führen und die Sinnesleistungen der Tiere beeinträchtigen“, sagt Pichl.
Abgesehen davon, dass auch die Fütterung und medizinische Versorgung äußerst schwierig sind, sind die Tiere schon beim Fang und Transport zum Aquarium erheblichem Stress und Verletzungsgefahren ausgesetzt – zum Teil sterben sie schon währenddessen. In Europas Zoos und Schauaquarien leben meist Arten wie Katzen-, Riff- oder Sandtigerhaie. In den USA und China werden aber auch Walhaie zu Unterhaltungszwecken gehalten. „Aus Tierschutzsicht ein absolutes No-Go“, sagt Pichl. Darüber hinaus gibt es kaum größere Arten in Gefangenschaft, weil sie sich dort weder fortpflanzen noch langfristig überleben. Bereits seit den 70er-Jahren versuchen Menschen, weltweit immer wieder Weiße Haie in Aquarien zu halten. Doch bisher sind fast alle Tiere nach kürzester Zeit gestorben, weil sie aufgehört haben zu fressen und zu schwimmen. „Die wenigen, die eine Zeit lang überlebt haben, mussten wieder freigesetzt werden, weil ihre Haltung einfach nicht gelang.“
„Aus unserer Sicht ist es überaus wichtig, den Menschen die Tiere mit Aufklärungsarbeit, interaktiver Wissenschaft und Dokumentarfilmen näherzubringen. Nur so können wir Haien mehr Faszination und Empathie entgegenbringen und uns alle gemeinsam für ihren Schutz einsetzen“, so Pichl. Aquarien, die bei Haien genauso wie bei anderen Zootieren damit argumentieren, dass sie einen Beitrag zum Artenschutz leisten, nützen da nichts. „Abgesehen davon, dass die Tiere in Gefangenschaft leiden, werden die Haiarten, die am stärksten bedroht sind, gar nicht in zoologischen Einrichtungen gehalten.“ Auch die aktuellen Maßnahmen der EU, die direkt oder indirekt der Bestandserholung der Haie dienen sollen, greifen zu kurz.
„Besonders die Haie im Mittelmeer sind stark bedroht. Hier müssen vonseiten der Politik dringend mehr und effektivere Schutzmaßnahmen ergriffen werden.“ Darüber hinaus appelliert der Deutsche Tierschutzbund an die Verbraucher, auf sämtliche Haiprodukte zu verzichten und auch bei anderen Fischprodukten genau hinzuschauen. Denn die Kennzeichnung ist ein Problem. Abgesehen davon, dass immer wieder geschützte Arten unter den Opfern sind, ist das Fleisch von Haien in Großbritannien schon unter unspezifischen Bezeichnungen in „Fish and Chips“-Produkten aufgetaucht. Auch in Deutschland wird das Fleisch vom Dornhai unter den Namen Schillerlocken, Seeaal, Steinlachs, Seestör oder Karbonadenfisch angeboten. Kalbsfisch stammt vom Heringshai, geräucherter Speckfisch vom Grauhai. Und auch in einigen Sushi-Spezialitäten oder vermeintlichen Schwertfischzubereitungen steckt Haifleisch.
Bildrechte: Artikelheader: stock.adobe.com – James Thew (Haie von unten); Fotos: stock.adobe.com – Alex (Walhai), kaschibo (Hai und Fische); Unsplash – Gerald Schömbs (weißer Hai), Jonas Allert (Hammerhai)