Autor: Verena Jungbluth, Chefredakteurin DU UND DAS TIER
Was braucht ein Bär, um glücklich zu sein? „Ein Tag ohne einen Freund ist wie ein Topf ohne einen einzigen Tropfen Honig darin.“ Die Antwort von Winnie Puuh, dem Bären aus dem Hundertmorgenwald, ist schnell klar: Freunde und Honig. Die Geschichten von den Abenteuern, die er gemeinsam mit seinen Freunden Ferkel, I-Aah und Tigger erlebt, begeistern schon seit fast 100 Jahren. Auch der Teddybär ist in Kinderzimmern das Plüschtier Nummer eins und der „Große Bär“ fasziniert Sternengucker als eines der ältesten und bekanntesten Sternbilder bis heute. Doch wie steht es um die echten Bären, draußen in freier Natur und in menschlicher Obhut? Gute Freunde, wie Winnie Puuh sie hat, die sie und ihre Lebensräume schützen, brauchen sie in jedem Fall.
Der ideale Lebensraum bietet Braunbären weitläufige Wälder und Wiesen mit reichlich Nahrung, Rückzugsmöglichkeiten und geschützten Höhlen für die Winterruhe. Die Tiere sind von Natur aus scheu, meiden Menschen und ziehen ihre Jungen im Idealfall ungestört auf. Sie durchstreifen Gebiete von bis zu 1.000 Quadratkilometern und verbringen dabei die meiste Zeit mit der Nahrungssuche. Wenn sie im Frühling ihre Höhlen verlassen, ernähren sie sich hauptsächlich von Insekten, Wurzeln, Gräsern und Kräutern. Auch über den Winter verstorbenes Wild ist dann eine wichtige Nahrungsquelle. Im Sommer und Herbst stehen insbesondere Beeren, Obst, Nüsse, Eicheln, Kastanien und Bucheckern, zum Teil auch Fisch, auf dem Speiseplan – bis zu drei Viertel ihres Bedarfs decken sie pflanzlich.
Darüber hinaus haben sie, wie Winnie Puuh, tatsächlich eine Vorliebe für Honig und plündern regelmäßig die Nester von Wildbienen. Braunbären gehören zu den größten Raubtieren unserer Erde und waren ursprünglich weit verbreitet. Doch wie so oft mussten auch diese Tiere den Menschen weichen. Wälder wurden gerodet und ganze Landstriche durch den Bau von Siedlungen und Verkehrswegen zerstört. „Mit dem Verschwinden ihrer Lebensräume wichen sie schon im Mittelalter zunehmend auf schwer zugänglichere Gebirge aus“, erklärt James Brückner, Leiter der Abteilung Artenschutz beim Deutschen Tierschutzbund.
Doch damals wie heute wird ihnen auch dort die Jagd zum Verhängnis. Seit jeher töteten Menschen die Tiere aufgrund befürchteter Konflikte mit der Weidetierhaltung und weil sie ihr Fleisch und Fell begehrten. Zurückgedrängt und bejagt, verringerte sich ihre Anzahl drastisch. In Deutschland gelten sie bereits seit dem 19. Jahrhundert als ausgestorben. Heute leben in Europa die meisten Tiere im Dinarischen Gebirge in Kroatien, in Norwegen und Schweden sowie den Karpaten in Rumänien. In vielen Ländern sind Braunbären mit internationalen Übereinkommen wie der Berner Konvention, dem Washingtoner Artenschutzübereinkommen und der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie der EU gesetzlich geschützt.
Doch das alleine reicht nicht aus. „Immer mehr Verkehrswege zerschneiden die letzten Rückzugsgebiete und isolieren die Populationen voneinander, sodass sie sich nicht weiter fortpflanzen können. Zudem sterben immer wieder Bären bei Verkehrsunfällen“, so Brückner. Je weiter menschliche Siedlungen in Bärenlebensräume vordringen, umso mehr Konflikte treten auf, die nicht selten mit der „Entnahme“, sprich dem Abschuss der Tiere, gelöst werden. Darüber hinaus ist in Rumänien sowie Kroatien die Jagd bis heute legal, wenngleich manche Experten die Abschussquoten als zu hoch ansehen. Um das Überleben der Art weiterhin zu sichern, ist es also dringend nötig, weitere Schutzmaßnahmen zu ergreifen, die Jagd zu verbieten und der Wilderei den Kampf anzusagen.
Ein Blick nach Asien zeigt, dass Kragenbären, auch Asiatische Schwarz- oder Mondbären genannt, mit nahezu den gleichen Problemen konfrontiert sind. „Wie Braunbären leben sie vorwiegend in Wäldern und ernähren sich hauptsächlich pflanzlich“, so Brückner. Zwar sind sie heute noch in weiten Teilen Südasiens sowie im Nordosten Chinas, im fernen Osten Russlands und in Japan verbreitet, werden aber nach wie vor bejagt und leiden erheblich unter der Zerstörung ihrer Lebensräume. Die Weltnaturschutzunion (IUCN) listet sie bereits als gefährdet. In Pakistan, Bangladesch und Korea sind sie schon nahezu ausgerottet. Darüber hinaus teilen die asiatischen Bären ein weiteres schreckliches Schicksal. Die chinesische Medizin spricht ihrer Gallenflüssigkeit eine heilsame Wirkung zu. So werden zahllose Tiere entweder direkt von Wilderen getötet oder unter schlimmsten Bedingungen in Bärenfarmen eingesperrt und dort auf grausame Art und Weise der sogenannten Bärengalle entraubt. Schätzungen gehen aktuell von rund 12.000 Gallebären in Gefangenschaft aus.
Aber auch in Europa leben viele Tiere unter unhaltbaren Bedingungen. Allein in Deutschland gibt es über 150 Bären in Zoos, Tier- und Freizeitparks. „Einige müssen sogar in Stadtzwingern oder Schlossgräben ausharren, um Touristen als Attraktion zu dienen“, sagt Patrick Boncourt, Referent für Bären beim Deutschen Tierschutzbund. „Manche Bären vegetieren in viel zu kleinen, strukturlosen Gehegen von wenigen Hundert Quadratmetern vor sich hin.“
Gerade bei älteren Anlagen besteht der Boden oft aus Beton. Außer einem Baumstamm und manchmal einem Wasserbecken gibt es selten Strukturen, die ein natürliches Verhalten ermöglichen würden. Wenn ein lebender Baum vorhanden ist, wird dieser oft ummantelt, um die Rinde zu schützen, womit er für die Tiere sinnlos wird. Erde unter den Tatzen fühlen, klettern, Tagesnester oder gar Winterhöhlen graben – all das ist vollkommen unmöglich. „Tagsüber haben sie meist keine Rückzugsmöglichkeiten und müssen notgedrungen als Schauobjekte herhalten oder sogar kleine Kunststücke vorführen. Nachts und teilweise im Winter werden sie in Innenställe eingeschlossen“, sagt Boncourt. Die Folge: Ihr natürliches Verhalten verarmt, sie langweilen sich und entwickeln Verhaltensstörungen.
Genau so erging es drei Braun- und vier Kragenbären in einem hessischen Tierpark. „Jahrzehntelang hielten die Besitzer sie in Betongräben. Lediglich einige gestapelte Baumstämme sollten ihnen zur Beschäftigung dienen. Es gab keinen Unterstand, der sie vor Regen geschützt hätte, und gefüttert wurden sie offenbar nur sporadisch – je nach Finanzlage der Parkbetreiberin“,erzählt Brückner. Als das zuständige Veterinäramt 1999 entschied, die Bären einzuschläfern, um ihnen weiteres Leid zu ersparen, starteten die International Bear Federation (IBF) und der Deutsche Tierschutzbund eine Rettungsaktion und verhinderten die Einschläferung sprichwörtlich in letzter Minute – der Tierarzt war bereits vor Ort. Die Tierschützer begannen sofort mit der Erstversorgung, reinigten die Betonverliese, besorgten Stroh und konstruierten Höhlen, damit sich die Bären zurückziehen konnten. Mit großen Rationen Futter päppelten sie die Tiere auf.
Nach nur wenigen Tagen gab es dann die erste Überraschung: Foxi war tragend und nur kurze Zeit später waren Serenus und Charlottus geboren – aus insgesamt sieben Bären wurden neun. Schnell war klar: Ein neues artgerechtes Zuhause muss her. Als Carl-Phillipp Fürst zu Salm-Salm, der den Biotopwildpark Anholter Schweiz am Niederrhein betrieb, von der Leidensgeschichte der Bären erfuhr und sofort bereit war, ein zweieinhalb Hektar großes Waldgelände zur Verfügung zu stellen, läutete die Geburtsstunde des Anholter Bärenwaldes.
Es entstanden ein Kragenbär- und ein Braunbär-Gehege, in welche die Tiere schon Anfang 2000 einziehen konnten. „Seitdem haben sie ausreichend Platz, um ihrem Spiel- und Erkundungsverhalten nachzukommen. Jeder Bär hat eine eigene Schlafbox und Bäume zum Klettern. Vor allem die Kragenbären nutzen diese Möglichkeit ausgiebig: Hügel als Aussichtsplattformen, Teiche zum Baden und Höhlen als Rückzugsmöglichkeiten“, berichtet Brückner. „Für die Betreuung haben wir eigens qualifiziertes Fachpersonal eingestellt, welches sich täglich kümmert und das Leben der Tiere vielseitig gestaltet.“
2003 zogen die Braunbären Pexi und Bensi als neue Mitbewohner ein. Sie stammten aus dem Tierpark Geltow in Brandenburg, wo sie in einem etwa 60 Quadratmeter kleinen Käfig leben mussten. „Bei uns spürten sie zum ersten Mal in ihrem Leben frisches Gras unter den Tatzen.“ 2008 folgten Ronja und Mascha, die im Tierpark Suhl nicht tiergerecht untergebracht waren. Leider ist die Geschichte dieser Bären kein Einzelfall. Bis heute erfüllen Zoos und Tierparks nur selten die Anforderungen einer artgemäßen Haltung – die gesetzlichen Mindestanforderungen in Deutschland liegen weit unter den Standards, die für eine auch nur annähernd artgerechte Haltung notwendig wären.
Ein weiteres Problem: Gerade bei Braunbären in Zoos und Tierparks besteht in ganz Europa ein Überschuss. Das bedeutet, es gibt mehr Tiere, als Einrichtungen aufnehmen können. Doch davon unbehelligt züchten manche einfach weiter, mit der Folge, dass entweder die Tötung der Jungtiere im Raum steht oder diese an dubiose Einrichtungen im Ausland abgeschoben werden.
2010 bekamen die Anholter Bären erneut Zuwachs. Bene verbrachte sein Leben als Zirkusbär eingepfercht in einem winzigen Käfig. „In Zusammenarbeit mit den französischen Tierschützern von Code Animal ist es uns gelungen, die Aufnahme sowie den Transport zu organisieren und das Tier aus der katastrophalen Haltung zu retten“, berichtet Brückner.
Zirkusbären gibt es in Deutschland im reisenden Betrieb seit 2016 zum Glück keine mehr. Im Ausland, vor allem in Osteuropa, aber schon. Die Tiere fristen ein Dasein in einer völlig unzureichenden und reizarmen Haltung und müssen in der Manege fragwürdige Kunststücke vorführen. „Die Tiere zeigen ihr Leiden in Form von zahlreichen Verhaltensauffälligkeiten wie Kreislaufen, Belecken sowie ständiges Annagen der Fußballen bis hin zur Selbstverstümmelung und Apathie“, kritisiert Brückner. Die Haltung von Bären im Zirkus ist mit eklatanten Tierschutzproblemen verbunden und vollständig abzulehnen. Bene entwickelte sich in der Obhut der Tierschützer prächtig, grub sich eine eigene Höhle und hielt vermutlich zum ersten Mal in seinem Leben Winterruhe – bis er leider im Mai 2012 überraschend verstarb. Wenigstens konnte er seinen Lebensabend artgerecht als „Bär“ verbringen.
In Osteuropa müssen Bären bis heute auch noch für eine weitere Attraktion herhalten: Sie werden in kleinen Käfigen vor Restaurants und Hotels zur Schau gestellt. „Nicht selten werden sie als Jungtiere aus freier Wildbahn entnommen. Die Haltung ist katastrophal und sie werden oft mit Essensresten sowie Chips gefüttert und neben Cola sogar mit Schnaps abgefüllt, um sie gefügiger zu machen“, berichtet Boncourt. 2012 übernahm der Deutsche Tierschutzbund gemeinsam mit der IBF genau einen solchen Bären. Maya vegetierte mehr als 15 Jahre in Litauen neben einem Restaurant dahin. In Zusammenarbeit mit der niederländischen Bärenschutz-Organisation Alertis (heute Bears in Mind) sowie einer litauischen Tierrechtsorganisation (LGTAO) gelang ihre Rettung. Nach und nach lebte sie im Bärenwald auf und konnte schließlich mit den anderen Braunbären vergesellschaftet werden.
Insgesamt haben die Tierschützer bisher 15 Bären gerettet, einige sind inzwischen verstorben. Die Braunbären Ronja, Mascha und Maya und die Kragenbären Balou und Serenus genießen die Obhut bis heute. Dieses Jahr erwartet sie die Reise in ein neues Zuhause, weil der Pachtvertrag des derzeitigen Geländes zum 31. Dezember endet. „Trotz frühzeitiger Bemühungen konnten wir keine Verlängerung erreichen“, sagt Brückner. Für die Zukunft der Bären ist aber längst gesorgt. „Unser Tierschutzzentrum erfüllt alle Voraussetzungen, Ende des Jahres werden die Bären nach Weidefeld ziehen“, ergänzt Boncourt. Mit dem Umzug übernimmt der Deutsche Tierschutzbund die Bären komplett – die IBF löst sich zum Jahresende auf.
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Bereits 2017 stellte der Deutsche Tierschutzbund vorausschauend den Bauantrag. „Gemeinsam mit unserem Architekten haben wir Baupläne erstellt, um unseren Bären hier künftig die besten Bedingungen zu bieten. Wenn alles glatt läuft, ist die Anlage im Spätsommer 2019 bezugsfertig.“ Die artgerechte Haltung der Tiere stellt wegen des großen Platzbedarfs und den aufwendigen Sicherheitsvorkehrungen hohe Anforderungen. Um alles termingerecht fertigzustellen, finden schon seit letztem Jahr zahlreiche Vorbereitungen statt. „Unter anderem müssen umfangreiche Baumpflegemaßnahmen durchgeführt, zwei unserer Bunker zu Stallungen umgebaut und die Zaunanlagen errichtet werden“, so Boncourt. Zusätzlich werden mehrere Teiche angelegt und das Gelände begrünt.
Parallel zu den Bauarbeiten werden derzeit die Transportkisten angefertigt. „Wenn unsere Bären je nach Witterung im April oder Mai aus ihrer Winterruhe aufwachen, werden wir sie durch tägliches Training an die Kisten gewöhnen.“ Ziel ist es, den Transport für die Tiere so stressfrei wie möglich zu gestalten und sie im Idealfall nicht betäuben zu müssen. Das Tierschutzzentrum Weidefeld, das bisher vor allem Hunde, Pferde, Affen, Schweine, Ziegen, Papageien, Reptilien und verschiedene Wildtiere beherbergt, wird dieses Jahr also um zwei Arten reicher. „Wir freuen uns, unseren Bären auf diese Art und Weise weiter ein artgerechtes Leben zu ermöglichen“, sagt Katrin Umlauf, Leiterin der Einrichtung. Ronja, Mascha, Maya, Balou und Serenus können hier zukünftig weiter das tun und lassen, was ihnen zusteht: einfach Bär sein.