Titelthema

Wenn Menschen krankhaft Tiere sammeln

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Wenn Menschen krankhaft Tiere sammeln

Zahlreiche Hunde, Katzen oder andere Tiere, die auf kleinstem Raum zusammengepfercht leben – meist ohne genügend Futter, Wasser, geschweige denn Pflege, medizinische Versorgung oder Zuwendung. Animal Hoarding, die krankhafte Sucht, Tiere zu sammeln, ist bislang wenig erforscht. Klar ist jedoch: Tiere und Betroffene brauchen Hilfe, ebenso wie die Tierheime. Das belegen auch die nachfolgenden Bilder der Fälle, die der Deutsche Tierschutzbund, dessen Landesverbände und Mitgliedsvereine dokumentiert haben.

  • Autor: Nadine Carstens, Redakteurin DU UND DAS TIER

Ein beißender Gestank liegt in der Luft. Die Käfige sind voller Kot, in den Räumen herrscht völliges Chaos. Futter ist kaum vorhanden und das Trinkwasser so abgestanden, dass es bereits eine tiefgrüne Farbe angenommen hat. Als die Notdienst-Mitarbeiter des Tierschutzvereins Nürnberg-Fürth und Umgebung in der Wohnung ankommen, zu der das zuständige Veterinäramt sie gerufen hat, trauen sie ihren Augen nicht. Auf wenigen Quadratmetern in einem völlig verschmutzten kleinen Badezimmer sitzen 33 Vögel dicht an dicht aneinander – 14 Kanarienvögel, 14 Zebrafinken, fünf Wellensittiche. Viele von ihnen haben sich die Federn ausgerupft und leiden an Schnabelräude, einer Infektionskrankheit, die durch Milben hervorgerufen wird. Das Veterinäramt hat die Tierschützer um Unterstützung gebeten, damit sie die Vögel aus diesen unhaltbaren Zuständen befreien und ins Tierheim bringen. Das ist allerdings alles andere als einfach – denn die gestressten Vögel fliegen wild umher, sodass die Tierschützer viel Geduld brauchen, um sie nach und nach behutsam mit einem Kescher einzufangen und sie in den Käfigen unterzubringen, die sie für den Transport der Tiere mitgebracht haben.

KEIN SELTENES PHÄNOMEN

33 Vögel hat das Tierheim Nürnberg aus einem Animal-Hoarding-Haushalt aufgenommen.

33 Vögel hat das Tierheim Nürnberg aus einem Animal-Hoarding-Haushalt aufgenommen.

Solche Rettungsaktionen sind für die Tierschutzvereine, die dem Deutschen Tierschutzbund angeschlossen sind, nicht ungewöhnlich. So mussten die meisten von ihnen schon einmal innerhalb kürzester Zeit eine große Zahl beschlagnahmter, verwahrloster Tiere aufnehmen. Dabei handelt es sich meist um Fälle von Animal Hoarding – ein Phänomen, das alles andere als selten ist. „79 verwahrloste Hunde in einer Wohnung“, „22 Katzen lebten in Urin und Kot“, „63 Meerschweinchen in Badewanne gehalten“ – Schlagzeilen wie diese sind immer wieder in den Zeitungen zu lesen. „Animal Hoarding“ lässt sich am ehesten mit „Tiersammelsucht“ übersetzen und steht für ein Krankheitsbild, bei dem betroffene Menschen Tiere in einer so großen Anzahl halten, dass sie sie nicht mehr angemessen versorgen können. Sie geben ihnen zu wenig Futter und Wasser und lassen sie verwahrlosen, indem sie die Hygiene, Pflege und tierärztliche Betreuung vernachlässigen.

AUFWÄNDIGE VERSORGUNG

Im Tierheim Nürnberg angekommen, warten dort bereits weitere Tierheimpfleger, die sich der verwahrlosten Vögel annehmen. Gemeinsam kümmern sie sich um ihre Erstversorgung und päppeln sie in den darauffolgenden Tagen und Wochen auf. „Die meisten dieser Vögel sahen leider gar nicht gut aus – einer musste noch am gleichen Tag eingeschläfert werden“, erinnert sich Tierheimleiterin Tanja Schnabel. Viele weibliche Tiere hätten zudem an Legenot gelitten – ein Krankheitssymptom, bei dem das Ei im Körper des Tieres feststeckt und das sofort tierärztlich behandelt werden muss. Die Vögel hätten einer Frau gehört, über die das Veterinäramt eigentlich schon einmal ein Tierhalteverbot verhängt hatte, sagt Schnabel. Doch offensichtlich sei es ihr gelungen, sich wieder neue Tiere zuzulegen. „Dank eines Hinweises wurde das zuständige Veterinäramt darauf aufmerksam, dass die Dame wieder Tiere hortet“, so Schnabel.

EIN PROBLEM FÜR TIER UND MENSCH

2018 wurden in Schramberg mehr als 200 Ziegen, Schafe, Katzen, Kaninchen und Hühner gerettet.

Das Ausmaß der Qualen, die Tiere in Fällen wie diesen erleiden, ist besonders erschreckend. „Animal Hoarding ist allerdings nicht allein ein Tierschutzproblem – häufig steht dahinter ein Mensch mit einer psychischen Erkrankung“, erläutert Dr. Moira Gerlach, Referentin für Heimtiere beim Deutschen Tierschutzbund. „Denn Betroffene sind nicht oder nur eingeschränkt in der Lage zu erkennen, dass es den Tieren in ihrer Obhut äußerst schlecht geht. Auch die negativen Auswirkungen auf das direkte Umfeld, wie etwa die Familie oder Nachbarn, und auf die eigene Gesundheit nehmen sie meist nicht wahr.“ Die Folge: Die Halter legen sich immer mehr Tiere zu, die sie selten konsequent nach Geschlechtern trennen oder kastrieren lassen, sodass sie sich unkontrolliert fortpflanzen können. „In einem schleichenden Prozess wächst den Besitzern alles über den Kopf, während sich der Zustand der Tiere zunehmend verschlechtert – sie werden krank, entwickeln Verhaltensauffälligkeiten oder sterben sogar“, schildert Gerlach. Was die Tiere genau durchleben, kommt oft erst dann zutage, wenn Behörden und Tierschutzvereine sich Zugang zu der Wohnung oder auf das Grundstück von Animal Hoardern verschaffen. In extremen Fällen finden sie dort eine riesige Anzahl unterernährter, kranker und verängstigter Tiere vor, nicht selten sind auch tote Tiere dabei.

Die Tierheimmitarbeiter müssen die beschlagnahmten Tiere oft von verfilztem und verschmutztem Fell befreien.

Eine immense Belastung

Für die Tierheimmitarbeiter, die sich aufopferungsvoll um all die beschlagnahmten Hunde, Kaninchen und Co. kümmern, sind Fälle von Animal Hoarding immer eine immense Belastung – und das in jeder Hinsicht, ob logistisch, personell oder psychisch. Denn wenn solch ein Fall bekannt wird, müssen die Tierpfleger meist schnell zur Stelle sein: Sie versuchen zunächst, alle beschlagnahmten Tiere in ihrer Einrichtung unterzubringen, und machen sich ein Bild von ihrem Gesundheitszustand. Sie versorgen die Neuankömmlinge nach tierärztlicher Anleitung medizinisch und pflegen sie – zusätzlich zu all den anderen Hunden, Katzen und sonstigen Tieren, die ohnehin schon im Tierheim leben. Außerdem vernetzen sie sich gleich nach Bekanntwerden des Falls mit Unterstützung des Deutschen Tierschutzbundes und dessen Landesverbänden mit anderen Tierschutzvereinen, damit diese, wenn möglich, ebenfalls ein paar Tiere aufnehmen. Oft arbeiten sie bis zur Erschöpfung – so müssen die Tierheimteams die Tiere zum Beispiel von verfilztem und verschmutztem Fell befreien, eingewachsene Krallen schneiden und Hautkrankheiten oder kaputte Zähne medizinisch behandeln lassen. „Sobald der Gesundheitszustand der Tiere es zulässt, müssen sie geimpft und je nach Tierart und Geschlecht auch kastriert werden; zudem sind häufig einige von ihnen trächtig, sodass die Tierschützer zusätzlich den baldigen Nachwuchs betreuen müssen“, schildert Gerlach. Hinzu kommt, dass viele der betroffenen Tiere große Probleme haben, sich an die neue Situation und Umgebung zu gewöhnen, da sie die Welt außerhalb der vier Wände oder des Geländes ihrer Halter ebenso wenig kennen wie menschliche Zuwendung.

KATZENFLUT IN BERLIN

Mehr als 90 Katzen aus zwei Animal-Hoarding-Haushalten nahm das Tierheim Berlin im Sommer dieses Jahres auf.

Welche Herausforderungen damit verbunden sind, wissen auch Annette Rost, Sprecherin des Tierschutzvereins für Berlin, und ihre Mitstreiter nur zu gut. Denn das größte Tierheim Deutschlands hatte auch schon häufig mit Animal-Hoarding-Fällen zu tun. Im vergangenen Sommer waren es gleich vier hintereinander: Das Veterinäramt räumte unter anderem zwei Wohnungen in Spandau und Pankow und rettete insgesamt mehr als 90 Katzen. „Die Kätzchen aus der ersten Wohnung waren in einem besonders schlechten Gesundheitszustand – ein paar von ihnen leiden auch jetzt noch unter Durchfallerkrankungen und Katzenschnupfen, weshalb wir sie noch nicht alle vermittelt haben“, sagt Rost. „Unter den kleinen Kätzchen gab es auch einige, die gerade erst geboren waren – darunter auch abstruse Mischungen. Wir vermuten, dass sich unterschiedliche Qualzuchten untereinander verpaart haben.“

Die Nachkommen litten entsprechend an den gesundheitlichen Folgen, so Rost. „Für unsere Tierärzte und Tierpfleger sind solche Fälle immer ein immenser Kraftakt – manchmal müssen sie sich bis tief in die Nacht hinein um die Tiere kümmern.“ Auch finanziell ist die Versorgung der Tiere aus Animal-Hoarding-Haushalten ein Kraftakt für Tierheime, so liegen allein die Tierarztkosten oft im fünf- bis sechsstelligen Bereich – Summen, die für viele Einrichtungen kaum zu stemmen sind. Denn oftmals erstatten die Behörden die entstandenen Kosten nur zum Teil.

DATENAUSWERTUNG BESTÄTIGT HOHE ZAHLEN

Animal Hoarding ist also ein ernst zu nehmendes Problem für alle Beteiligten – seien es die Tiere, ihre Halter, die Tierschutzvereine oder die zuständigen Behörden. Das zeigt auch die jüngste Auswertung des Deutschen Tierschutzbundes zu diesem Thema. Demnach wurden dem Deutschen Tierschutzbund 2019 insgesamt 50 Fälle mit fast 4.000 gehorteten Tieren bekannt. „Die Dunkelziffer dürfte sogar noch weitaus höher liegen“, sagt Gerlach. In elf Fällen fanden Polizei und Veterinärbehörden mehr als 100 Tiere vor – in fünf d avon sogar über 300 Tiere, darunter Mäuse, Meerschweinchen, Schildkröten, Schlangen, Zierfische und Ziervögel. Katzen waren mit 27 Fällen die am häufigsten betroffene Tierart, gefolgt von Hunden in 23 Fällen. Für seine Auswertungen dokumentiert der Deutsche Tierschutzbund seit Jahren Daten und Informationen über bekannt gewordene Fälle. „Die Zahl unserer Erhebungen ist im Laufe der Jahre gestiegen, allerdings kann das auch an einem besseren Vollzug liegen und daran, dass die Öffentlichkeit unter anderem durch Berichterstattungen über Animal Hoarding inzwischen sensibler geworden ist und Verdachtsfälle schneller meldet“, sagt Gerlach.

Eine Datenauswertung des Deutschen Tierschutzbundes zeigt, wie viele Tiere im Laufe der vergangenen Jahre gehortet wurden.

Als Auslöser für diese verheerende Sammelsucht würden Experten psychische Probleme vermuten, die nicht selten auf die frühe Familiengeschichte zurückführten, so die Expertin. „Nach bisherigen psychologischen Erkenntnissen leiden Betroffene häufig an Depressionen, Zwangsund Persönlichkeitsstörungen.“ Bislang wird Animal Hoarding allerdings nicht als eigenständiges psychisches Krankheitsbild anerkannt. Deshalb fehle es noch an Forschung und Erfahrungen zur Therapie sowie an Anlaufstellen für Betroffene und Angehörige, bemängelt sie. „Leider sind viele Betroffene auch nicht dazu bereit, sich therapieren zu lassen. Aber ohne psychologische Betreuung sind keine langfristigen Lösungsansätze möglich.“ So wird weder den Tieren noch den Menschen geholfen. Es reiche auch nicht aus, die Tiere zu beschlagnahmen und ein Haltungsverbot zu verhängen, denn die Rückfallquote liege Gerlach zufolge ohne Behandlung bei fast 100 Prozent. „Animal Hoarder können ein Tierhaltungsverbot umgehen, indem sie in einen anderen Behördenkreis umziehen – so kann die Tiersammelsucht von Neuem beginnen.“

WAS SICH ÄNDERN MUSS

Für die Tierpfleger und Tierärzte sind Animal-Hoarding-Fälle immer ein immenser Kraftakt.

Der Deutsche Tierschutzbund fordert daher neben der Anerkennung von Animal Hoarding als Krankheitsbild auch ein übergreifendes, von den Behörden einsehbares Zentralregister, in dem Informationen über Tierhalter gesammelt werden, die gegen gesetzliche Regelungen in der Tierhaltung verstoßen haben. „Und nur wenn Behörden ein solches Register einsehen können, ist es möglich, Wiederholungstaten vorzubeugen“, erläutert Gerlach. Auch eine zentrale Beratungsstelle für alle beteiligten Instanzen – von Tierärzten über Juristen bis hin zu Psychologen und Sozialdiensten – würde es erleichtern, bessere Lösungen für einen erfolgreichen Umgang mit Animal-Hoarding-Fällen zu entwickeln.

Damit diese Instanzen sich besser austauschen können, hat der Deutsche Tierschutzbund bereits 2008 eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe gegründet. „Um Fälle von Animal Hoarding möglichst frühzeitig zu entdecken und den Tieren Leid zu ersparen, ist es außerdem wichtig, die Bevölkerung für das Thema zu sensibilisieren“, so Gerlach. Das gelte auch für Vertreter aus zuständigen Fachbereichen wie Sozialdienste und Amtsgerichte, die speziell zu Animal Hoarding informiert und fortgebildet werden müssten. Ähnlich sieht das auch Annette Rost vom Tierheim Berlin: „Ich würde mir ein aufmerksameres Umfeld wünschen: Wenn man zum Beispiel merkt, dass jemandem aus dem Freundeskreis oder der Nachbarschaft die Situation entgleitet, sollte man dieser Person helfen, professionelle Unterstützung zu suchen.“

Aus Sicht des Deutschen Tierschutzbundes wäre es außerdem nötig, die Arbeit der Behörden zu erleichtern, damit sie Tiere in Not schneller beschlagnahmen können – eine rechtsverbindliche Heimtierschutzverordnung mit Vorgaben zur Zucht und Haltung einzelner Tierarten würde bereits dazu beitragen. Mehr Befugnisse für Behörden fordert auch Tanja Schnabel vom Tierheim Nürnberg: „Die Veterinärämter müssen die Möglichkeit haben, Verdachtsfälle und Tierhaltungsverbote besser zu kontrollieren, damit sie schneller einschreiten können – sonst ist es oft schon zu spät.“ Für Tierschützerin Rost wäre außerdem mehr Unterstützung für Tierheime wünschenswert: „Einrichtungen, die behördlich sichergestellte Tiere aufnehmen, sollten von den Kommunen nicht alleingelassen werden, sondern eine adäquate Vergütung erhalten.“ Da die zuständigen Behörden oft nicht oder nur zum Teil für die entstandenen Kosten aufkommen, sind Tierschutzvereine auf Spenden angewiesen.

Nach ihrem schweren Start ins Leben hat ein Großteil der Katzen aus Berlin bereits ein liebevolles neues Zuhause gefunden.

Schnelle und unbürokratische Hilfe

In solchen Notsituationen springt der Deutsche Tierschutzbund als Dachverband schnell und unbürokratisch ein und gibt Mitgliedsvereinen einen Zuschuss aus seinem Feuerwehrfonds. „Tierheime leisten großartige Arbeit und kümmern sich mit Herzblut um jedes einzelne Tier. Es sollte daher selbstverständlich sein, dass auch die Behörden für die finanziellen Belastungen aufkommen – schließlich sind es die Tierheime, die die von Behörden beschlagnahmten Tiere aufnehmen und sich ihrer annehmen“, sagt Gerlach. In den Tierheimen Nürnberg und Berlin haben sich die Anstrengungen der Tierpfleger unterdessen gelohnt: Die 32 Vögel sind inzwischen alle aufgepäppelt und gut vermittelt. Nach ihrem schweren Start ins Leben hat auch ein Großteil der Katzen aus Berlin bereits ein liebevolles neues Zuhause gefunden – dort können die geretteten Tiere das bisher Erlebte hoffentlich vergessen und das Leben mit ihren liebevollen neuen Besitzern genießen.

 


SO KÖNNEN SIE BEI EINEM ANIMAL-HOARDING-FALL HELFEN:

  • Falls Sie einen solchen Fall vermuten: Suchen Sie zuerst das persönliche Gespräch mit den Tierhaltern. Bei einem guten Vertrauensverhältnis können Sie sie möglicherweise dazu bringen, Hilfe zu suchen oder anzunehmen.
  • Wenn die Tiere bereits in einem sehr schlechten Zustand sind und die Tierhalter keine Einsicht zeigen, informieren Sie am besten das zuständige Veterinäramt oder die Polizei.
  • Fragen Sie die Tierschutzvereine, die beschlagnahmte Tiere betreuen, ob Sie sie unterstützen können – beispielsweise mit Sach- oder Geldspenden oder indem Sie Gehege reinigen, mit den Hunden Gassi gehen oder die Katzen beschäftigen.
  • Überlegen Sie, ob Sie nicht selbst ein gerettetes Tier adoptieren möchten – die Tierheime werden Sie gerne beraten.

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