Tierschutz im Grundgesetz – Ein Staatsziel, für das sich der Einsatz lohnt

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Tierschutz im Grundgesetz – Ein Staatsziel, für das sich der Einsatz lohnt

Vor 50 Jahren trat das Tierschutzgesetz in Deutschland in Kraft, und vor 20 Jahren wurde der Tierschutz auch als Staatsziel im Grundgesetz aufgenommen. Es waren Meilensteine, durch die der Schutz der Tiere hierzulande einen viel höheren Stellenwert erhalten sollte. Jahrelang hatte sich der Deutsche Tierschutzbund intensiv für diese Vorhaben eingesetzt. Seither hat sich einiges für die Tiere in diesem Land verbessert, doch nach wie vor gibt es bis heute viel zu viele Bereiche, in denen das Staatsziel Tierschutz nicht ausreichend durchgesetzt wird.

  • Autor: Nadine Carstens, Redakteurin DU UND DAS TIER

Wer sich gesellschaftlichen Wandel hin zum Positiven wünscht, die Zukunft mitgestalten und diese Welt zu einem besseren Ort machen möchte, der braucht vor allem Durchhaltevermögen und einen langen Atem – das gilt auch für den Tierschutz. Oft geht es nur in kleinen Schritten voran und immer wieder erleben Menschen, die sich unermüdlich für den Schutz der Tiere einsetzen, Rückschläge. Doch es gibt sie, die Lichtblicke, in denen sich das oft jahrelange Engagement und eine unerschütterliche Hartnäckigkeit bezahlt machen und die zeigen, dass es sich zu kämpfen lohnt. Das Inkrafttreten des Tierschutzgesetzes in Deutschland im Jahr 1972 und die Aufnahme des Tierschutzes als Staatsziel im Grundgesetz 2002 waren zwei Meilensteine. Diese beiden Jubiläen sind für uns ein Anlass, auf die Entwicklungen innerhalb der vergangenen 50 Jahre zurückzuschauen und die heutige Situation der Tiere zu beleuchten.

Der Deutsche Tierschutzbund setzt sich auf allen Ebenen für den Schutz jedes einzelnen Tieres und für ein Ende des Tierleids in Deutschland, Europa und weltweit ein – der Verband hat also in den vergangenen Jahrzehnten immer zu den Erfolgen im Tierschutz beigetragen.

Weil jedes Leben schützenswert ist

„Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schaden zufügen“ – das ist die zentrale Kernaussage im Tierschutzgesetz, nach der sich alles richten muss. Sei es in der Tierhaltung, in der Forschung, bei der Zucht und dem Handel mit Tieren oder bei ihrer Tötung – im Umgang mit unseren Mitgeschöpfen sind wir Menschen in unserem Land seit 50 Jahren gesetzlich dazu verpflichtet, bestimmte Tierschutzvorschriften konsequent zu berücksichtigen. „Neben dem Interesse des Tieres an seinem Wohlbefinden wird seit Einführung des Tierschutzgesetzes im Jahr 1972 erstmals auch das Leben als solches geschützt“, erläutert Evelyn Ofensberger, Leiterin der Abteilung Recht beim Deutschen Tierschutzbund. „Es wurden wissenschaftliche Erkenntnisse über tiergemäße und verhaltensgerechte Normen eingearbeitet. Verboten ist seither nicht nur, ein Tier unnötig zu quälen oder zu misshandeln, das Gesetz dient auch dem Schutz und Wohlbefinden der Tiere.“ Mit der Einführung des Bundestierschutzgesetzes wollte der Gesetzgeber auch den Tendenzen zur Zersplitterung der Tierschutzgesetze in einzelnen Bundesländern entgegenwirken, so die Expertin. Zum Beispiel kam es in manchen Ländern zu einer Neuregelung des Schlachtrechts, so beschloss Nordrhein-Westfalen 1970 eine Änderung seines eigenen Tierschutzgesetzes. „Seit der Bund 1972 das Bundestierschutzgesetz erließ, sind die Bundesländer nur noch damit befasst, es zu vollziehen und zu überwachen“, sagt Ofensberger. „Den Anstoß für dieses neue Gesetz gab damals auch die Öffentlichkeit – die Menschen wurden beispielsweise durch Publikationen und Tierdokumentationen sensibler für den Tierschutz und nahmen den Umgang mit Tieren kritischer wahr.“

Die Haltung von Legehennen in Käfigen ist seit 2010 verboten. Schon vorher haben Handelsketten auch durch den Druck des Deutschen Tierschutzbundes frische Käfigeier nach und nach ausgelistet.

Große Hoffnung auf flächendeckende Verbesserungen

In der Theorie war dieser Schritt eine Revolution. Tierschützern gab das nun bundesweit geltende Tierschutzgesetz die große Hoffnung, dass sich die Situation der Tiere flächendeckend verbessern würde. Tatsächlich führte es im Laufe der Zeit zu einigen Fortschritten. Zum Beispiel sind seit 1998 Tierversuche für die Entwicklung von Kosmetika durch das Tierschutzgesetz verboten; darüber hinaus gibt die 2001 in Kraft getretene und vor Kurzem aktualisierte Tierschutz-Hundeverordnung wichtige Regelungen für das Halten, Züchten und den Umgang mit Hunden vor. Seit 2013 sind jegliche sexuellen Handlungen an und mit Tieren strafbar. Zudem wurden im selben Jahr Landesregierungen dazu ermächtigt, Rechtsverordnungen zum Schutz frei lebender Katzen zu beschließen, infolgedessen immer mehr Kommunen Katzenschutzverordnungen erlassen. In diesen Kommunen sind Halter seitdem dazu verpflichtet, ihre Freigängerkatzen zu kastrieren, zu kennzeichnen und zu registrieren – ein wichtiger Schritt, um die enorme Zahl der Straßenkatzen sowie das damit einhergehende Tierleid einzudämmen. Auch für die Tiere in der Landwirtschaft, die seit vielen Jahrzehnten als Produktionsmaschinen ausgebeutet werden, haben sich zumindest manche Aspekte zum Positiven entwickelt. So trat 2021 unter anderem das längst überfällige Verbot der betäubungslosen Ferkelkastration in Kraft, außerdem dürfen männliche Küken von Legehennen seit Anfang 2022 nicht mehr getötet werden. Für all diese Verbesserungen hat sich der Deutsche Tierschutzbund seit jeher engagiert.

Der Tierschutz wird 2002 als Staatsziel im Grundgesetz aufgenommen – ein Meilenstein.

„und die Tiere“ – drei Worte mit großer Bedeutung

Der Verband trug auch maßgeblich zu einem weiteren lang geforderten und hart erkämpften Meilenstein bei, der dem Tierschutz in Deutschland einen noch deutlich höheren Stellenwert geben sollte: der Einführung des Staatsziels Tierschutz im Grundgesetz. Am 17. Mai 2002 beschloss der Deutsche Bundestag mit einer Zweidrittelmehrheit, dass der Artikel 20a des Grundgesetzes um die drei kurzen, aber umso bedeutenderen Worte „und die Tiere“ ergänzt wird. Mit der Aufnahme des Tierschutzes als Staatsziel wurden alle Staatsgewalten und somit jegliches staatliche Handeln verpflichtet, bei ihren Entscheidungen und Handlungen stets auch den Schutz der Tiere zu verfolgen. Zwei vorherige Anläufe in den Jahren 1994 und 2000 waren unter anderem noch am Widerstand der Unionsparteien und wegen des Lobbydrucks der Agrar- und Pharmaindustrie gescheitert. Doch der dritte Versuch war schließlich erfolgreich. Um aktiv für dieses Ziel einzutreten, war Ofensberger stellvertretend für den Deutschen Tierschutzbund bereits 1998 bei der großen Sachverständigenanhörung zur Einführung des Tierschutzes ins Grundgesetz im Bundestag geladen.

Wolfgang Apel, ehemaliger Präsident des Deutschen Tierschutzbundes (r.), und Jurist Eisenhart von Loeper (Mitte) überreichen 2002 360.000 Unterschriften für das Staatsziel Tierschutz an Angela Merkel (l.), damals CDU-Vorsitzende.

Unermüdlicher Einsatz für das Staatsziel Tierschutz

„Anfang 2002 schloss sich unser Verband außerdem mit anderen Tierschutzorganisationen zu einem sogenannten Aktionsbündnis zusammen“, so Ofensberger. Unermüdlich sammelten die Tierschützer bundesweit Hunderttausende Unterschriften, organisierten Info-Stände, mobilisierten die Öffentlichkeit und diskutierten mit Politikern aller Parteien. Umgestimmt wurden einige Bundestagsabgeordnete, die anfangs Gegner des Staatsziels Tierschutz waren, sowohl durch die Überzeugungsarbeit der Tierschützer als auch durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes im Januar 2002. Es erlaubte das Schächten, also das betäubungslose Schlachten, mit dem Hinweis auf die im Grundgesetz verankerte Berufs- und Religionsfreiheit. Da der Tierschutz zu dieser Zeit noch nicht in der Verfassung verankert war, hatten die Verfassungsrichter diesen ethischen Aspekt auch nicht genügend in ihrer Entscheidung berücksichtigt, was viele Menschen empörte.

Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung.

– Artikel 20a GG

Das Tierschutzgesetz tritt 1972 in Kraft, seither ist es zugunsten der Tiere mehrmals geändert worden – dafür demonstrierte der Deutsche Tierschutzbund unter anderem 2012.

Dass das Gericht diese Praxis aber zumindest unter strenge Auflagen stellte – wer schächten will, muss seither religiöse Vorschriften glaubhaft machen und seine Sachkunde nachweisen – ist jedoch durchaus ein Erfolg gewesen. Denn das Urteil hat dazu geführt, dass Rinder heute nicht mehr betäubungslos geschlachtet werden und für Schafe nur noch wenige Ausnahmegenehmigungen erteilt werden. „Der Deutsche Tierschutzbund war damals die einzige Tierschutzorganisation, die vor dem Verfassungsgericht die Tierschutz-Aspekte des betäubungslosen Schlachtens anschaulich darlegen durfte“, sagt Ofensberger. Das Urteil führte einigen Politikern auch vor Augen, dass der Tierschutz nicht mehr automatisch menschlichen Grundrechten wie der Freiheit von Berufsausübung, Religion, Forschung oder Kunst untergeordnet werden sollte. Das Staatsziel bot somit erstmals die Möglichkeit, den Tierschutz auch gegen die Interessen der Tiernutzer durchzusetzen und verpflichtet die Staatsgewalten seither, dem Tierschutz zu einem möglichst hohen Stellenwert in unserem Rechts- und Wertesystem zu verhelfen. „Endlich sind wir einen entscheidenden Schritt weiter im Bemühen, dem Tierschutz gesellschaftspolitisch zu mehr Akzeptanz zu verhelfen und ihn mit dem Stellenwert, der ihm zukommt, in unserer Verfassung zu verankern“ – mit diesen Worten verdeutlichte Wolfgang Apel, damaliger Präsident des Deutschen Tierschutzbundes, 2002 in DU UND DAS TIER die Bedeutung dieses Beschlusses. Doch er war sich damals schon bewusst, dass das Tierleid dadurch nicht von heute auf morgen endet und für den Deutschen Tierschutzbund die Arbeit nun erst richtig losgehen würde.

2012 überreicht Thomas Schröder (l.), Präsident des Deutschen Tierschutzbundes, 40.000 Unterschriften „für ein neues Tierschutzgesetz mit Verbandsklage“ an Hans-Michael Goldmann, damals Vorsitzender des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz des Bundestages.

Die Politik setzt das Staatsziel nur schleppend um

In der Tat folgte auf die große Freude schon sehr bald Ernüchterung, beklagt Thomas Schröder, Präsident des Deutschen Tierschutzbundes. „Nach der Grundgesetzänderung wäre es logisch und konsequent gewesen, die Tierschutzgesetzgebung und deren Vollzug an das Staatsziel Tierschutz anzupassen. Schluss mit der Ausbeutung sogenannter Nutztiere in der Landwirtschaft, eine Strategie zum Ausstieg aus Tierversuchen, mehr Unterstützung für den praktischen Tierschutz in den Tierschutzvereinen und Tierheimen – nichts davon erfolgte.“ Bereits Apel nannte 2002 die Novellierung des Tierschutzgesetzes als nächstes großes Ziel, doch es sollte noch einmal zehn Jahre dauern, bis die Bundesregierung diese anging. „Das war jedoch nicht der Überzeugung geschuldet, dass das Gesetz in keiner Weise den Ansprüchen des Staatsziels Tierschutz entspricht, sondern schlicht der Rechtsprechung der Europäischen Union – Deutschland wollte nicht, es musste das Tierschutzgesetz novellieren“, ergänzt Frank Meuser, Geschäftsführer Politik beim Deutschen Tierschutzbund. „Doch diese Novelle geriet zur Farce.“ Denn von zahlreichen Änderungsanträgen, die die Länder im Bundesrat eingebracht hatten – darunter ein Verbot der Pelztierhaltung, ein Ende der betäubungslosen Ferkelkastration und ein Wildtierverbot für Zirkusse – wurden nur wenige angenommen.

„Im Kern ist das Tierschutzgesetz ein reines Tiernutzgesetz geblieben.“

– Thomas Schröder

„Selbst das Verbot des Schenkelbrandes, also das Brandzeichen bei Pferden, welches das Landwirtschaftsministeriumin den Gesetzentwurf geschrieben hatte, wurde im parlamentarischen Verfahren durch die Unionsfraktion wieder gestrichen“, sagt Meuser. Seit 2019 ist der Schenkelbrand immerhin nur noch mit Betäubung erlaubt. Generell hat es der Bundesgesetzgeber bis heute versäumt, ein Tierschutzgesetz zu erlassen, das dem Staatsziel Tierschutz tatsächlich entspricht und dieses konkret ausgestaltet. „Im Kern ist das Tierschutzgesetz ein reines Tiernutzgesetz geblieben“, kritisiert Schröder. An grundlegenden Missständen in der industriellen Massentierhaltung, in der Forschung, in Zirkussen, bei der Jagd oder im Heimtierbereich hat sich wenig geändert. Um nur ein paar Beispiele zu nennen: Noch immer müssen Kälber, Puten, Legehennen und Ferkel Amputationen über sich ergehen lassen. Noch immer leiden unzählige Mäuse, Kaninchen, Affen und Co. in Tierversuchen. Noch immer gibt es hierzulande kein Verbot für Wildtiere in Zirkussen. Noch immer existiert kein bundesweites Verbandsklagerecht für seriöse Tierschutzorganisationen.

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Tiere sollen den Schutz erhalten, den sie verdienen

Auf der anderen Seite wird das Thema auf gesellschaftlicher Ebene immer relevanter. Immer mehr Menschen wünschen sich, dass die Tiere endlich den Schutz erhalten, den sie verdienen. Das spürt auch die Politik. Inzwischen haben mehrere Bundesländer beispielsweise einen Landestierschutzbeauftragten eingesetzt und ein Verbandsklagerecht für anerkannte Tierschutzvereine eingeführt. Und es gibt noch einen Silberstreif am Horizont, sagt Schröder. „Erstmals seit 2002 hat eine Bundesregierung einen Koalitionsvertrag vorgelegt, der die lange ignorierten Reformen im Tierschutzgesetz anzugehen verspricht.“ Unter anderem ist eine durchgreifende Novellierung des Tierschutzgesetzes vorgesehen – eine der Kernforderungen des Deutschen Tierschutzbundes. „Sollten alle Vorhaben des Koalitionsvertrages in dieser Legislaturperiode in Recht und Gesetz gegossen werden, könnte sich das Staatsziel Tierschutz erstmals in 20 Jahren erkennbarer in der politischen Ausgestaltung wiederfinden“, sagt Schröder. Der Deutsche Tierschutzbund wird die Regierung weiterhin in die Pflicht nehmen und sich auch in Zukunft mit Herz und Verstand für dieses große Ziel, den Schutz aller Tiere, einsetzen.