Autor: Verena Jungbluth, Chefredakteurin DU UND DAS TIER
Es schien ein ganz normaler Tag zu sein, als ein dem Deutschen Tierschutzbund angeschlossener Tierschutzverein zu einem abgelegenen Hof in Niederbayern fuhr. Anonyme Anrufer waren auf Hundegebell aufmerksam geworden und hatten den Verein gebeten, nach den Tieren zu schauen. Das, was die Tierschützer dort zu sehen bekamen, ließ ihnen den Atem stocken: Es gab kaum einen Platz, an dem keine Tiere waren. „Wir waren geschockt. Ich habe so eine Menge an Hunden noch nie auf einmal gesehen“, so eine mit dem Fall betraute Person, die aufgrund des laufenden Verfahrens nicht namentlich genannt werden möchte.
Nach eigener Aussage der Halter lebten etwa 70 Hunde auf dem Hof. Vor rund 20 Jahren hatten diese ehemalige „Laborhunde“ aus Spanien gerettet. Das, was ursprünglich gut gemeint und im Sinne der Tiere war, lief schnell aus dem Ruder. Die Hunde waren nicht kastriert und vermehrten sich unkontrolliert. Erst als die Tierschützer das Veterinäramt einschalteten, waren die Halter bereit, einige Hunde freiwillig abzugeben. Da die Quarantänestationen der bayerischen Tierheime durch die illegalen Welpentransporte (wir berichteten darüber in Ausgabe 01/16) bereits stark ausgelastet waren, baten die Tierschützer in den benachbarten Bundesländern um Unterstützung.
So reisten schließlich Vertreter von elf Tierheimen aus Bayern und Baden-Württemberg an, um die 155 Hunde in einer vom bayerischen Landesverband koordinierten Aktion abzuholen. In mehreren Tierheimen kamen noch weitere Welpen zur Welt. Bis zu fünfzehn Hunde leben derzeit noch bei den Haltern; sie wollten nicht alle Tiere abgeben.
Dass es so weit kommen konnte, ist mit dem Begriff „Animal Hoarding“ zu erklären. „Dabei handelt es sich um ein Krankheitsbild, bei dem Menschen Tiere in einer großen Anzahl horten und dabei die Mindestanforderungen der Tiere nicht erfüllen. Auch wenn die Halter oftmals aus missverstandener Tierliebe handeln, sind sie in der Regel schnell mit der Situation überfordert und erkennen nicht mehr, dass es den Tieren schlecht geht“, so Dr. Sophie Arnold, Referentin für Heimtiere beim Deutschen Tierschutzbund.
Die Halter in Niederbayern zeigten keinerlei Einsicht und machten den Tierschützern Vorwürfe. Dabei waren ihre Hunde verwahrlost und krank: Sie waren nicht geimpft, hatten Parasiten, Augenprobleme und litten unter Bissverletzungen. Einige von ihnen sind blind, was möglicherweise auf Inzucht zurückzuführen ist. Zusätzlich hatten die meisten Hunde starke Zahnschmerzen, einige waren unterernährt. Zudem zeigten sie Verhaltensstörungen. Mehrere Hunde stürzten sich noch im Tierheim, nachdem sie bereits normales Futter erhalten hatten, auf den Kot der anderen Hunde. Einige tun dies bis heute.
„Die Betreuung und tierärztliche Versorgung der Tiere aus solchen Fällen bringt die Tierheime bis an ihre Grenzen. Die Kosten belaufen sich oft auf Zehntausende Euro, der Zeitaufwand ist immens“, so Katja Dubberstein, Leiterin der Tierheimberatung beim Deutschen Tierschutzbund. Alleine vom Jahr 2012 bis September 2015 registrierte der Deutsche Tierschutzbund 117 Animal-Hoarding-Fälle, in denen rund 9.000 Tiere betroffen waren. Die Dunkelziffer liegt weitaus höher.
Der Deutsche Tierschutzbund macht aktuell mit der Kampagne „Tierheime helfen. Helft Tierheimen!“ auf die wertvolle Arbeit der Tierschützer aufmerksam. Die durch den Animal Hoarding-Fall in Niederbayern betroffenen Tierheime hat der Verband mit einer Soforthilfe in Höhe von 200 Euro pro Hund aus dem Feuerwehrfonds unterstützt.
Einige Hunde haben inzwischen ein neues Zuhause gefunden. Andere sind bis heute auf die Betreuung im Tierheim angewiesen. „Es dauert einfach unheimlich lange, diese Hunde zu resozialisieren“, so eine mit dem Fall betraute Person. Drei Hunde sind an Parvovirose gestorben. Die Tierheime haben das Veterinäramt aufgefordert, die Halter wegen vielfacher Verstöße gegen das Tierschutzgesetz und die Tierschutz-Hundeverordnung anzuzeigen. Außerdem setzen sie sich dafür ein, dass die Halter auch die restlichen Hunde herausgeben müssen. Beim Landkreis haben sie finanzielle Unterstützung beantragt.