Autor: Bernd Pieper, Geschäftsführer Kommunikation beim Deutschen Tierschutzbund
Oktopoden, übersetzt Achtfüßler, sind in allen Meeren der Erde verbreitet. Sie gehören, wie Sepien und Kalmare, zur Klasse der Kopffüßer. „Ihr Erscheinungsbild ist überaus divers, ihre Größe reicht von wenigen Zentimetern bis zu den rund sieben Metern Armspannweite bei circa 40 Kilogramm, mit denen der Pazifische Oktopus aufwarten kann“, sagt Katrin Pichl, Referentin für Artenschutz beim Deutschen Tierschutzbund. Noch größer sind einige Kalmare, die häufig mit den Oktopoden verwechselt werden. Dabei gibt es einige Unterschiede: Kalmare haben im Gegensatz zu Oktopoden eine steife, rückgratähnliche Struktur und zehn Arme. Mit Würmern, Muscheln und Schnecken teilen Oktopoden die Evolutionslinie. Zu Anfang ihrer Entwicklungsgeschichte besaßen sie noch Schalen, die sich jedoch zurückbildeten. Oktopoden haben kein Rückgrat, die inneren Organe werden durch einen weichen Mantel umhüllt. „Die meisten Arten leben bevorzugt bodennah und verstecken sich gern in Korallenriffen oder Tangwäldern. Zu ihrer bevorzugten Beute gehören Fische, Muscheln und Krebstiere“, so Pichl.
Zur Fortpflanzung überträgt das Männchen mit seinem speziell gebauten dritten linken Arm, dem Hectocotylus, eine mit Spermien gefüllte Kapsel in die Mantelhöhle des Weibchens. Diese Kapsel platzt auf, die freigesetzten Spermien befruchten die Eier. Die abgelegten Eipakete werden bei einigen Arten von den Muttertieren intensiv bewacht. Alle Oktopoden vermehren sich nur einmal im Leben. Die Lebensdauer ist bei vielen Arten eher kurz. Die Weibchen verbringen ihre letzten Wochen damit, ihre Eier zu pflegen und zu beschützen. Die männlichen Tiere stellen nach der Spermienabgabe die Nahrungsaufnahme ein und sterben binnen kurzer Zeit. Oktopoden verfügen über drei Herzen, die einen gemeinsamen Blutkreislauf antreiben. Das Hauptherz befindet sich im Eingeweidesack in der Körpermitte und hat zwei Ausgänge für arterielles Blut. Eine Hauptschlagader führt zum Kopf, eine weitere versorgt die inneren Organe. Die beiden kleineren Herzen sitzen an der Basis der Kiemen. Hier wird der Sauerstoff aufgenommen und an das Hauptherz weitergeleitet. Den Grund für die zusätzlichen Herzen sehen Biologen darin, dass das Blut der Oktopoden mit dem weniger effizienten, kupferhaltigen und deshalb bläulichen Farbstoff Hämocyanin nicht so viel Sauerstoff transportieren kann.
Acht Arme zu haben ist eine feine Sache. Aber wie kontrolliert der Oktopode acht identische Extremitäten, ohne dass ein heilloses Chaos entsteht? „Die Arme lassen sich sowohl gleichzeitig als auch unabhängig voneinander steuern. Dadurch können Oktopoden blitzschnell reagieren und Entscheidungen in verschiedenen Handlungsoptionen treffen“, erklärt Pichl. Wie genau das funktioniert, ist noch unklar. Hilfreich ist sicher das große periphere Nervensystem. „Etwa zwei Drittel der rund 500 Millionen Nervenzellen sind in den Extremitäten der Oktopoden miteinander vernetzt. Jeder Saugnapf hat rund 10.000 Neuronen“, so die Expertin. Mit ihren Noppen können Oktopoden sehen, schmecken und fühlen sowie chemische Substanzen erkennen. Die Haut der Tiere enthält Opsine, lichtempfindliche Proteine, die auch in den Photorezeptoren der Netzhaut zu finden sind. Damit können Oktopoden zwar keine Details erkennen, aber durchaus Wechsel der Lichtintensität – die Voraussetzung dafür, ihre Tarnung binnen kürzester Zeit an die Struktur und Farbe der Umgebung anzupassen. Dabei helfen ihnen Chromatophoren – spezielle Hautzellen, die sich millionenfach in der Haut befinden und mittels neuronaler Steuerung je nach Lichteinfall vergrößert oder verkleinert werden. „Mit ihrer Fähigkeit zur Camouflage können sich Oktopoden nicht nur tarnen, sondern auch Paarungsbereitschaft signalisieren oder bestimmte Stimmungen ausdrücken.“
Über die Intelligenz der Oktopoden ist schon viel geschrieben worden. Sie verwenden Gegenstände, zum Beispiel Kokosnussschalen, die sie mit sich herumtragen und bei drohender Gefahr wie ein Schutzschild benutzen. Sie öffnen Schraubverschlüsse, um an eine Belohnung zu kommen. Dabei zeigen sich bei entsprechenden Experimenten immer Lerneffekte: Je häufiger sie es versuchen, desto schneller und sicherer funktioniert es. Manche Oktopoden spielen gern. So wurde beobachtet, dass sie leere Dosen mit dem Wasserstrahl ihres Siphons quer durchs Aquarium schießen. Und sie sind neugierig: Beinahe schon legendär ist die Geschichte von Inky aus dem National Aquarium of New Zealand, der eine winzige Lücke im Deckel seines Wassertanks nutzte, um über den Fußboden und ein 50 Meter langes Abflussrohr in die Freiheit des Pazifik zu flüchten. Inky sei halt ein aufgeweckter Bursche, so Aquariumsdirektor Rob Yarrel im Gespräch mit dem „Guardian“: „Er wollte wohl wissen, was in der Welt da draußen passiert.“
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Oktopoden sind intelligente Tiere mit einem nachgewiesenen Schmerzempfinden. Dennoch werden Schätzungen zufolge jährlich rund 420.000 Tonnen gefangen, die Dunkelziffer dürfte noch weitaus höher liegen. Das Fleisch der Tiere wird weltweit verzehrt, insbesondere in den Mittelmeerländern, Asien und Südamerika. Doch auch in den USA, China und Australien wächst die Nachfrage. Eine potenzielle Alternative zum Fang sollen Aquakulturen sein, weshalb seit einigen Jahren immer mehr Testzentren dafür aufgebaut werden, um zeitnah eine industrielle Produktion zu starten. Der Krake „Oktopus vulgaris“ soll sich dafür aus Sicht der Industrie am besten eignen, da er vergleichsweise schnell wächst. Als größtes Hindernis dabei erweist sich die Aufzucht der winzigen Larven, weshalb viele Betriebe bislang auf das sogenannte „Ranching“ setzen – die Entnahme junger Oktopoden aus dem Meer, um sie dann auf marktgerechte Größe heranzufüttern.
2019 veröffentlichte Jennifer Jaquet, Professorin für Umweltstudien an der New York University, gemeinsam mit Co-Autoren ein Essay gegen die Oktopodenzucht. Wegen der ethischen und ökologischen Folgen der industriellen Fleischproduktion sollten wir „hinterfragen, ob wir Fehler, die bereits bei Landtieren begangen wurden, bei Wassertieren wiederholen wollen, insbesondere beim Oktopus.“ Der Deutsche Tierschutzbund lehnt die Haltung und Züchtung von Oktopoden in Aquakulturen ab, da sie dort nicht verhaltensgerecht gehalten und versorgt werden können. „Die wenigen verfügbaren wissenschaftlichen Studien zu den Haltungsanforderungen der Tiere sind ausreichend genug, um sich vehement gegen dieses Vorhaben der Fischerei auszusprechen“, sagt Pichl. Oktopoden sind aufgrund ihrer weichen Haut sehr verletzungsanfällig. Werden die Einzelgänger in Gruppen gehalten, kann das zu einem gesteigerten Aggressionsverhalten und Kannibalismus führen. Die Fütterung von Fischmehl und Fischöl trägt zur Überfischung der Meere bei, zudem gibt es bisher keine rechtlichen Rahmenbedingungen für die Haltung oder Schlachtung. „Angesichts der beachtlichen kognitiven Fähigkeiten und Sensibilität von Oktopoden erscheint die monotone Aquakultur-Haltung als eine zusätzliche enorme Qual.“
2021 ist der Deutsche Tierschutzbund der Aquatic Animal Alliance beigetreten. Das internationale Bündnis von Tierschutzorganisationen setzt sich dafür ein, das Leben aquatischer Lebewesen zu schützen, zu verbessern und Tierschutzstandards für Fische in Aquakulturen zu erhöhen. Weltweit werden aktuell rund 80 Millionen Tonnen Fisch und Meeresfrüchte jährlich in Aquakulturen produziert, mit massiven negativen Folgen für Tiere und Umwelt.
Bildrechte: Artikelheader: stock.adobe.com – Andrei (Oktopus vor schwarzem Hintergrund); Foto: Unsplash – Sigmund (Oktopus farbig), Qijin Xu (Oktopus unten)