Nie mehr hinter Gittern

Aus dem Print-Magazin

Nie mehr hinter Gittern

Weltweit leiden Millionen Tiere in engen Käfigen. Auch in Europa und Deutschland sind verschiedene Formen der Käfighaltung gang und gäbe. Doch statt dies endlich zu verbieten, bleiben die Europäische Kommission und die Bundesregierung Entwürfe für neue Tierschutzgesetze weiterhin schuldig.

  • Autor: Joscha Duhme, Redakteur DU UND DAS TIER

Freiheit ist eines unserer höchsten Güter, wenn nicht sogar das höchste. Umso mehr fürchten wir uns vor Fesseln und engen Gefängniszellen, die in den Rechtssystemen der meisten Demokratien nach wie vor als härteste Strafe drohen. Schon die Vorstellung, sich nicht frei bewegen zu können und rund um die Uhr eingeengt zwischen kalten Mauern, Stacheldraht, Eisenstangen oder Gittern leben zu müssen, kann in uns Unbehagen, Schweißausbrüche oder Atemnot auslösen. Da verwundert es nicht, dass die Käfighaltung von Tieren in der industriellen Landwirtschaft eines der Tierschutzthemen ist, das Menschen besonders schockiert und ihre Empathie mit den leidvoll eingezwängten und zu wirtschaftlichen Produktionsgegenständen degradierten Lebewesen weckt. Vollkommen unverständlich hingegen erscheint es, dass dies trotzdem noch immer übliche Praxis ist: 300 Millionen Tiere leiden in ganz Europa in Käfigen, neben Hühnern auch Kälber, Kaninchen, Wachteln, Enten und Gänse. Den Willen der Gesellschaft spiegelt das nicht wider. 89 Prozent der EU-Bürger*innen lehnen die Haltung der sogenannten Nutztiere in Einzelkäfigen ab. Das ergab die repräsentative Eurobarometer-Umfrage, die die Europäische Kommission in Auftrag gegeben und im Oktober veröffentlicht hat. Beeindruckende 1,4 Millionen Bürger*innen haben sich zudem an der Europäischen Bürger*inneninitiative (EBI) „End the Cage Age“ beteiligt und aktiv ein Verbot der Käfighaltung gefordert.

Käfig ist nicht gleich Käfig, aber nie tierfreundlich

Wenn in der intensiven Landwirtschaft von Käfigen die Rede ist, kommen einem Legehennen zuerst in den Sinn. „Diesen Tieren werden nicht nur Höchstleistungen beim Eierlegen abverlangt, sie werden in weiten Teilen der Welt auch noch immer in der sogenannten konventionellen Käfighaltung gehalten, die vielen auch als ‚Legebatterie‘ bekannt ist“, sagt Annika Lange, Referentin für Tiere in der Landwirtschaft beim Deutschen Tierschutzbund. „Wie so oft steht der Profit über dem Tier und die Legehennen fristen ein Dasein, das ihren natürlichen Bedürfnissen nicht im geringsten gerecht wird.“ Diese engen Käfige, in denen jede einzelne Henne weniger als eine DIN-A4-Seite Platz hat, waren bis 2010 auch hierzulande erlaubt. Seit dem 1. Januar 2010 sind sie in Deutschland jedoch verboten. Auch in der gesamten EU ist diese Haltungsform seit 2012 nicht mehr zulässig. Doch wer sich dadurch einen großen Fortschritt für den Tierschutz erhoffte, wurde eines Besseren belehrt: „Die ‚ausgestalteten Käfige‘, die seitdem in zahlreichen EU-Ländern zum Einsatz kommen, sind nur eine unwesentliche Verbesserung“, erklärt Lange. Statt der 500 Quadratzentimeter, die den Tieren in den Legebatterien zustanden, sind es in der ausgestalteten Variante 750 Quadratzentimeter. „Das ist allerhöchstens ein Tropfen auf den heißen Stein“, berichtet die Expertin. Darum sind diese Käfige in Deutschland ebenfalls verboten. Doch auch hierzulande werden immer noch Käfige eingesetzt, etwa in der sogenannten Kleingruppenhaltung. In diesen meist übereinander gestapelten Käfigen leben jeweils rund 65 Tiere. Jede Henne hat etwa 800 Quadratzentimeter Platz. Pro Quadratmeter sind es zwölf Tiere. „Das ist natürlich nur ein minimaler Unterschied“, so Lange.

Obwohl es darin eine Sitzstange sowie Bereiche zum Eierlegen und Scharren gibt, erfüllen die Käfige die Ansprüche der Hennen nicht, denn es fehlt ihnen schlicht an Platz, ihre arteigenen Verhaltensweisen auszuleben.

„So können die Tiere ihren Bedürfnissen nicht ansatzweise nachgehen. Statt etwa im Staub zu baden, zu scharren und nach Futter zu picken, können sie oft nicht einmal die Flügel ausstrecken. Viele Tiere entwickeln unter diesen Bedingungen schwere Verhaltensstörungen und fangen an, sich gegenseitig zu bepicken“, erläutert Lange. Durch die Käfighaltung leiden sie oft auch körperlich, zum Beispiel unter Fettleber, Knochenschwäche und Geschwüren an den Füßen.

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Millionen Stimmen von EU-Bürger*innen ignoriert

2008 stammten rund 60 Prozent der deutschen Eier aus Käfighaltung. Heute leben noch rund sechs Prozent der hiesigen Legehennen in Kleingruppenkäfigen. Immerhin ist das Ende dieser Haltungsform bereits beschlossene Sache, doch das endgültige Verbot gilt erst ab Anfang 2026 und nur für Legehennen – nicht für Kälber, Kaninchen, Wachteln und Co. Ausnahmen erlauben es, sie teilweise sogar bis 2028 zu verlängern. In anderen Teilen der Welt sind konventionelle Legebatterien jedoch noch gang und gäbe. Auch in der Ukraine etwa, wo gerade erst eine neue Legehennenfarm eröffnet wurde, in der rund 400.000 Hennen gleichzeitig Eier in „nach europäischem Stil“ gestalteten Käfigen legen – auch für den Markt innerhalb der EU. Sowieso sind erlaubte Varianten der Käfighaltung in der EU weiterhin Alltag. Und diese landen auch in deutschen Einkaufskörben: 82 Prozent der polnischen Eier werden in ausgestalteten, also bei uns verbotenen, Käfigen gelegt. Französische Unternehmen beliefern deutsche Firmen jährlich mit mehreren Tonnen getrocknetem und flüssigem Eigelb sowie Vollei. „In Frankreich stammt die Hälfte aller Eier aus der Haltung in ausgestalteten oder Gruppenkäfigen. Eine umso wichtigere Rolle sollte der Tierschutz auf europäischer Ebene spielen“, sagt Lange und spielt damit auf die Versäumnisse der EU-Kommission an. Bislang ist es dieser nicht wie versprochen gelungen, die dringend benötigten Reformen der europäischen Tierschutzgesetzgebung auf den Weg zu bringen. Genau dieses Vorhaben hatte sich die EU-Kommission mit dem Beginn der Präsidentschaft von Ursula von der Leyen im Rahmen ihres Programms „Europäischer Green Deal“ auf die Agenda gesetzt. „Das Versprechen, die EU-Tierschutzgesetzgebung grundlegend zu überarbeiten, wurde über die Jahre mehrfach wiederholt und öffentlich kommuniziert und entspricht den Wünschen und Forderungen der europäischen Bürger*innen“, sagt Thomas Schröder, Präsident des Deutschen Tierschutzbundes, und verweist auf die Eurobarometer-Umfrage und die EBI. Eine neue Verordnung zur Haltung von Tieren sollte dabei die bisherigen fünf EU-Richtlinien zum Schutz landwirtschaftlicher „Nutztiere“ sowie zur Festlegung von Mindestnormen für den Schutz von Legehennen, Masthühnern, Schweinen und Kälbern durch eine einheitliche Verordnung ersetzen. Damit hätte diese die Forderungen aus der EBI in EU-Recht umsetzen können und somit einen wesentlichen Fortschritt für landwirtschaftlich gehaltene Tiere in der EU bedeuten können. „Indem die EU-Kommission die Vorschläge zur Überarbeitung der EU-Tierschutzgesetzgebung nun nicht vorlegt, ignoriert sie die Stimmen von Millionen von EU-Bürger*innen“, kritisiert Schröder. Darum macht sich der Verband auf europäischer und nationaler Ebene unter anderem bei Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir dafür stark, sich weiterhin für strengere EU-weite Tierschutzvorschriften einzusetzen.

Gemeinsam mit anderen Mitgliedern der Eurogroup for Animals demonstrierten Vertreter*innen des Deutschen Tierschutzbundes in Brüssel vor dem Gebäude der EU-Kommission.

Neue Gesetze in Deutschland und Europa gefordert

In Brüssel wirbt der Deutsche Tierschutzbund im Austausch mit deutschen Abgeordneten des Europäischen Parlaments dafür, die Kommission stärker unter Druck zu setzen. Gemeinsam mit anderen Mitgliedern der Eurogroup for Animals, dem Dachverband der europäischen Tierschutzorganisationen, demonstrierten Vertreter*innen des Deutschen Tierschutzbundes in der belgischen Hauptstadt vor dem Kommissionsgebäude. „Wir fordern, dass noch vor der EU-Wahl im Juni 2024 die Gesetzespakete vollumfänglich und so ambitioniert wie möglich vorgelegt werden“, so Schröder, der aber auch die Bundesregierung in die Verantwortung nimmt. Denn die Ampelkoalition hat sich in ihrem Koalitionsvertrag ebenfalls zu Verbesserungen im Tierschutz verpflichtet. Und auch für den Entwurf für ein neues nationales Tierschutzgesetz, das vor mehr als 50 Jahren in Kraft trat und zuletzt vor zehn Jahren reformiert wurde, fordert der Deutsche Tierschutzbund dringend ein umfassendes Verbot der Käfighaltung aller Tiere in der Landwirtschaft, von Kastenständen bei Sauen oder anderen Haltungssystemen, in denen Tiere in reizarmer Enge ohne ausreichende Strukturen leben und dadurch keine Chance haben, ihre Bedürfnisse auszuleben. „Ein solches Verbot ist einer der wichtigen Bausteine, um einen System- und Paradigmenwechsel in der Landwirtschaft zu erreichen, der dringend überfällig ist“, erläutert Schröder. „Eine nachhaltige Strategie weg von Billigproduktion hin zu mehr Tierschutz hat zum Wohle der Tiere höchste Priorität. Hier gilt es, auch die Betriebe, die in bessere Haltungsbedingungen für die Tiere investieren, ausreichend zu entlohnen, Anreize zu schaffen, die Tierhaltung erheblich zu reduzieren und die vegane Ernährung zu stärken.“

Weiterführende Infos

  • Käfigeier verstecken sich in vielen Alltagsprodukten und landen unbemerkt im Einkaufskorb. Wir geben Tipps, worauf Sie achten können, um dies zu vermeiden, und stellen Alternativen vor.
    weiljedemahlzeitzählt.de/käfigeier
  • Der Deutsche Tierschutzbund informiert, wie weit die Bundesregierung mit den Tierschutzplänen aus dem Koalitionsvertrag ist.
    jetzt-mehr-tierschutz.de/tierschutzgesetz