Autor: Verena Jungbluth, Chefredakteurin DU UND DAS TIER
Es ist ein für das menschliche Auge unsichtbares Stoppschild, das an den Grenzen der Europäischen Union prangt: Für Waschbären, Chinesische Muntjaks, Grauhörnchen, Schmuckschildkröten und viele andere Tier und Pflanzenarten sind die Grenzen geschlossen. Und das nur, weil sie in Europa nicht heimisch sind. Dort breiten sie sich teilweise rasch aus und können nach Ansicht der EU-Kommission Lebensräume, Ökosysteme und die europäische Artenvielfalt gefährden.
Diese Tiere und Pflanzen gehören zu den sogenannten invasiven, gebietsfremden Arten. Sie dürfen grundsätzlich nicht mehr in das Gebiet der EU gebracht oder innerhalb der Union befördert, gehalten, gezüchtet, aufgezogen oder verkauft werden. Zurzeit teilen 37 Arten dieses Schicksal – die sogenannte Unionsliste soll aber jährlich um weitere Arten wachsen. Marderhund, Bisam oder Nilgans könnten schon in diesem Sommer die nächsten sein.
„Die Menschen selbst waren es, die viele der jetzt in Europa als invasiv geltenden Arten aus kommerziellen Zwecken hierher gebracht haben – sei es, um sie zu jagen, sie für Pelzprodukte zu züchten, sie in Zoos zu halten oder sie über den Heimtierhandel zu verkaufen“, erklärt Denise Ade, Referentin für Artenschutz beim Deutschen Tierschutzbund. Der Waschbär ist ein Beispiel dafür: Er entkam Anfang des 20. Jahrhunderts aus Pelztierfarmen und Gehegen oder wurde gar bewusst ausgesetzt.
„Andere Arten gelangen unabsichtlich hierher – Algen, Krebse und Muscheln reisen zum Beispiel als blinde Passagiere am Rumpf oder in den zur Fahrtstabilisierung dienenden Wassertanks internationaler Containerschiffe mit“, so Ade. Dieses Wasser nennt sich Ballastwasser und stammt aus dem Meer am Ursprungsort des Schiffs.
Die meisten eingeschleppten Arten überleben nicht dauerhaft, weil sie sich nicht an die hiesigen Bedingungen anpassen können. Etwa 260 Tier- und 400 Pflanzenarten gelten inzwischen jedoch als etabliert. Um gegen invasive Arten vorzugehen, hat die EU-Kommission eine Verordnung ins Leben gerufen.
Die EU-Mitgliedsstaaten sind durch jene Verordnung dazu angehalten, ein Überwachungssystem einzurichten und Früherkennungsmaßnahmen durchzuführen. So ist das Grauhörnchen in Deutschland zum Beispiel noch nicht nachgewiesen – die Politik muss hier auf vorbeugende Maßnahmen setzen. Den Tieren, die bereits weit verbreitet sind, könnte es jetzt an den Kragen gehen. Zwar schreibt die EU-Verordnung nicht direkt deren Tötung vor, sie schließt sie aber auch nicht aus. Am Ende überlässt sie es den Mitgliedsstaaten. Aus Tierschutzsicht muss aber immer der sogenannte vernünftige Grund vorhanden sein, um ein Tier zu töten. Alles andere verstößt gegen das Tierschutzgesetz.
Für die Tiere, die in freier Wildbahn leben und gejagt werden dürfen, ist es schon jetzt durchaus üblich, tödliche Methoden wie Abschuss, Totschlagfallen oder Giftköder einzusetzen. Schon frühzeitig hat sich der Deutsche Tierschutzbund daher gemeinsam mit der Eurogroup for Animals für eine tierschutzgerechte EU-Verordnung stark gemacht. „Es reicht beispielsweise nicht aus, bestimmte Arten dem Jagdrecht zuzuordnen. Der überwiegende Teil von jagdlichen Maßnahmen ist weder tierschutzgerecht noch besonders effektiv“, so Ade. Der Deutsche Tierschutzbund lehnt es vehement ab, die als invasiv gelisteten Tiere zu töten. Durch die EU-Verordnung befürchtet der Verband aber, dass Arten wie der Waschbär zukünftig noch heftiger ins Visier geraten könnten. So wäre es denkbar, dass die Politiker die Schonzeiten aufheben und die Jagd auf die Tiere ganzjährig eröffnen. Das ist nicht nur grausam, sondern auch sinnlos. Denn bisher ist es nicht gelungen, mit solchen Maßnahmen die Populationen zu verringern.
Hinzu kommt, dass der in vielen EU-Staaten etablierte Waschbär ein Beispiel dafür ist, dass nicht von allen Arten eine so große Gefahr für die heimische Fauna ausgeht, wie es oft dargestellt wird. „Ebenso muss es auch in Zukunft möglich sein, verwaiste oder verletzte Tiere lebend einzufangen, um sie etwa in Auffangstationen zu pflegen oder in anderen tierschutzgerechten Einrichtungen unterzubringen“, fordert Ade. Die Unionsliste kann aber auch positive Auswirkungen haben: Wird der Marderhund wirklich dort aufgenommen, dürfte er im Grunde auch nicht mehr in einer Pelzfarm leben.
Doch Waschbären und Co. müssen nicht nur in freier Wildbahn um ihr Leben fürchten. Es gibt noch ein weiteres Problem: Die EU-Verordnung enthält keine expliziten Hinweise darauf, ob Tierheime und Auffangstationen die gelisteten Tiere weiterhin aufnehmen, halten und weitervermitteln dürfen. Der Deutsche Tierschutzbund kontaktierte daher schon vor der Veröffentlichung der ersten Unionsliste die entsprechenden Behörden. Die EU-Verordnung ist zwar schon in Kraft, doch fehlen in den einzelnen Mitgliedsstaaten noch genaue verwaltungsrechtliche Möglichkeiten für die Behörden. Deutschland muss hierfür ein eigenes Durchführungsgesetz erlassen. Wahrscheinlich ist dies schon in diesem Sommer der Fall – eine Chance für den Deutschen Tierschutzbund, im Sinne der Tiere darauf einzuwirken.
So ist der Verband schon länger mit den verantwortlichen Politikern auf Bundesund Landesebene im Gespräch. Die Naturschutzverwaltungen der Bundesländer (LANA) erarbeiten derzeit die jeweiligen Managementmaßnahmen für die einzelnen Tierarten in Absprache mit dem BMUB. „Der Deutsche Tierschutzbund fordert, dass Tierheime und Auffangstationen auch zukünftig Tierarten, die als invasiv gelistet sind, aufnehmen dürfen. Die EU-Verordnung darf nicht dazu führen, dass die Einrichtungen nicht mehr betrieben werden können oder diese ohne Vermittlungsmöglichkeit auf den Tieren – und damit den Kosten – sitzen bleiben“, so Ade. Der Bund und die Länder müssen dringend handeln, etwa mit finanzieller Hilfe für die Tierheime und mit dem Bau staatlicher Auffangstationen.
Das grundsätzlich positive Signal diesbezüglich weiter tätig bleiben zu können, haben die Tierschützer bei der Naturschutzabteilung der Europäischen Kommission eingeholt und sowohl an die Bundesländer als auch an Bundesumweltministerin Barbara Hendricks weitergegeben. So teilte die Kommission auf Anfrage mit, dass Tierheime und Auffangstationen durchaus einen Beitrag bei der Aufnahme und Unterbringung gelisteter Tierarten leisten können, sofern die Mitgliedsstaaten dies für sinnvoll erachten – nun hat es also Deutschland in der Hand.
Das föderale System macht es dabei nicht gerade leicht. Schon jetzt handhaben die Bundesländer die Tierheimproblematik in der Übergangszeit bis zum noch ausstehenden Durchführungsgesetz unterschiedlich. Das führt zu einer großen Unsicherheit bei den Tierheimen und Tierschutzvereinen. Für den Deutschen Tierschutzbund bleibt viel zu tun. Der Verband wird sich weiter für den Artenschutz einsetzen, seine Mitgliedsvereine unterstützen und für eine tierschutzgerechte Umsetzung der EU-Verordnung kämpfen.