Aus dem Print-Magazin
Internationale Grüne Woche

Mutige Vorreiter

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Internationale Grüne Woche

Mutige Vorreiter

Vor zehn Jahren stellte der Deutsche Tierschutzbund sein Tierschutzlabel „Für Mehr Tierschutz“ bei der Internationalen Grünen Woche in Berlin vor. Genau dort feierte der Verband nun auch das Jubiläum des Labels zusammen mit zahlreichen Vertreter*innen aus Politik, Landwirtschaft, Verbänden, Wissenschaft und Handel.

  • Autor: Nadine Carstens, Redakteurin DU UND DAS TIER

Viele Millionen Schweine, Hühner und Rinder, die unter deutlich besseren Haltungsbedingungen leben als all ihre Artgenossen in der konventionellen Landwirtschaft. Die mehr Platz, Bewegungsfreiheit und Beschäftigungsmöglichkeiten haben. Und deren arteigenen Bedürfnisse berücksichtigt werden. Mit seinem zweistufigen Tierschutzlabel „Für Mehr Tierschutz“ zeigt der Deutsche Tierschutzbund seit nunmehr zehn Jahren erfolgreich, wie eine tiergerechtere Landwirtschaft aussieht. Nachdem der Verband das Label 2013 erstmals bei der Internationalen Grünen Woche (IGW) in Berlin vorstellte, stand dessen Präsenz bei der 87. Ausgabe der weltweit größten Messe für Ernährung, Landwirtschaft und Gartenbau nun ganz im Zeichen des zehnjährigen Jubiläums. Die Messe bot nicht nur etwa 1.400 Aussteller*innen aus 60 Ländern die Möglichkeit, ihre Produktvielfalt zu präsentieren, sie gilt auch als Plattform für den politischen Austausch. So kamen nach einer zweijährigen Coronapause rund 300.000 Besucher*innen zur Berliner Messe.

Thomas Schröder, Präsident des Deutschen Tierschutzbundes, begrüßte die Gäste zum traditionellen Stehempfang.

Zahlreiche Gratulant*innen

Ernährungssicherheit und eine Transformation der Landwirtschaft in Zeiten des Klimawandels und des Ukraine-Krieges gehörten zu den dominierenden Themen der IGW – diese und vor allem die Lebensbedingungen von Schweinen, Hühnern, Rindern und Co. waren auch am Messestand des Deutschen Tierschutzbundes Schwerpunkt. Dort informierte der Verband zehn Tage lang die Besucher*innen über das Tierschutzlabel und zeigte, wie sich die Richtlinien und strengen Anforderungen von den vielen anderen Programmen und Labeln auf dem Markt abheben. Den Höhepunkt im Messeprogramm des Deutschen Tierschutzbundes bildete der traditionelle Stehempfang. Zahlreiche Minister*innen und Abgeordnete von Bund und Ländern sowie dem Europaparlament, aber auch Landwirtinnen und Landwirte, Vertreter*innen von Partnerverbänden, aus dem Handel und der Wissenschaft gratulierten zum Jubiläum – darunter Amira Mohamed Ali, Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag, Maria Noichl (SPD), Abgeordnete des Europäischen Parlaments, Miriam Staudte (Bündnis 90/Die Grünen), niedersächsische Ministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Hermann Färber (CDU), Vorsitzender des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft des Deutschen Bundestages, und Luiza Licina-Bode, Tierschutzbeauftragte der SPD-Bundestagsfraktion. Der Deutsche Tierschutzbund selbst war auch mit seinen Vizepräsidentinnen Dr. Brigitte Rusche und Renate Seidel, mehreren Geschäftsführer*innen, Mitarbeiter*innen sowie Landesverbänden und angeschlossenen Tierschutzvereinen präsent.

Aus dem Handel nicht mehr wegzudenken

Stolz betonte Thomas Schröder, Präsident des Deutschen Tierschutzbundes, in seiner Rede, welche Bedeutung das Tierschutzlabel heute einnimmt: „Wir waren die ersten, waren mutige Vorreiter.“ Anfangs belächelt, konnte sich das Tierschutzlabel behaupten. „Wenn ich heute an die ersten Tage zurückdenke, an denen wir mit unserem mutigen Schritt an die Öffentlichkeit gegangen sind, dann erinnere ich an die vielen, die geunkt haben: ‚Ist nur PR. Wird eh nix. Den Mut haben die nicht. Maximal ein Jahr, dann ist es wieder weg.‘ Aber nein, nicht wir – diejenigen, die das laut tönten, die sind heute weg. Wir sind noch da“, sagte Schröder.

Die Transformation der Landwirtschaft ist
eine zentrale Aufgabe. Heute mehr denn je.

– Thomas Schröder

Tatsächlich ist das Tierschutzlabel aus dem Handel nicht mehr wegzudenken: Heute sind damit zertifizierte Produkte wie Fleisch, Milch und Eier bundesweit zu finden. Insgesamt mehr als 50 Markenlizenznehmer und 560 tierhaltende Landwirtinnen und Landwirte haben sich inzwischen dem Label des Deutschen Tierschutzbundes angeschlossen. Im Jahr 2023 sollen es mindestens 600 Betriebe werden. Während das Tierschutzlabel 2013 zunächst mit Tierschutzkriterien für Mastschweine und Masthühner startete, gibt es heute auch Vorgaben für Legehennen, Milchkühe und Mastrinder. Neben den Haltungsbedingungen umfassen die Richtlinien tierbezogene Indikatoren sowie den Transport und die Schlachtung. Ebenso gibt es Vorgaben für Vorstufen wie die Ferkelerzeugung und -aufzucht sowie die Verarbeitung. Ein strenges Kontroll- und Zertifizierungssystem stellt zudem sicher, dass alle Beteiligten die hohen und kontinuierlich weiterentwickelten Standards einhalten, die sich ausschließlich am Tier orientieren. Bereits die Kriterien in der Einstiegsstufe bedeuten eine deutliche Verbesserung gegenüber dem gesetzlichen Standard; in Betrieben der Premiumstufe bekommen die Tiere unter anderem zusätzlich Auslauf ins Freie.

Ein wichtiger Schritt, aber auch eine Herausforderung

Als der Deutsche Tierschutzbund sein eigenes Label auf dem Markt einführte, war ausschlaggebend, dass der Großteil unserer Gesellschaft nicht vollständig auf tierische Produkte verzichten möchte und sich die Situation von Tieren in der Landwirtschaft schnellstmöglich verbessern musste. Dennoch war dieser bedeutende Schritt damals enorm belastend, wie Schröder schilderte: „Für uns Tierschützer*innen, weil wir mit denen über Verbesserungen verhandeln, die die Tiere züchten, halten und töten, damit diese dann gegessen werden. Für die Landwirtinnen und Landwirte, weil diese sich von dem Schreckgespenst der bösen Tierschützer*innen verabschieden mussten, weil sie merkten, es geht um – schrittweise – Lösungen, nicht um Anklage und Schuldzuweisungen.“ Für diese Gratwanderung zollte auch Prof. Dr. Achim Spiller, Vorsitzender im Beirat des Tierschutzlabels und Professor am Department für Agrarökonomie und Rurale Entwicklung der Georg-August-Universität Göttingen, seinen Respekt, als er vor den Besucher*innen des Stehempfangs sprach: „Ich möchte betonen, wie viel Mut Sie mitbringen mussten.“ Für einen Tierschutzverband sei ein solcher Schritt sicherlich eine große Zerreißprobe und Herausforderung gewesen. „Sie haben es auch geschafft, ganz viel Kompetenz in diesem Bereich aufzubauen – Sie wissen, wie die Branche tickt und was Tierschutz in der Praxis ausmacht.“ Lob gab es auch im Grußwort von Christoph Hönig, der mit seinem Legehennenbetrieb in Mühlingen in Baden-Württemberg der Premiumstufe des Tierschutzlabels angehört: „Ich bin mir sicher, ohne den Deutschen Tierschutzbund wären wir nicht so weit, wie wir heute sind. Wir sind auf einem guten Weg, die Transformation in der Landwirtschaft zu schaffen, und ich bin stolz, ein Teil davon zu sein.“

Kritischer Agrarbericht

Zu Beginn der IGW hat das AgrarBündnis den kritischen Agrarbericht 2023 vorgestellt. Das Bündnis verschiedener Verbände, dem auch der Deutsche Tierschutzbund angehört, stellt diesmal das Thema „Landwirtschaft und Ernährung für eine Welt im Umbruch“ in den Fokus. Weitere Infos unter: kritischer-agrarbericht.de

Transparenz für Verbraucher*innen

Dass das Tierschutzlabel auch Verbraucher*innen Orientierung bietet, bestätigte Ramona Pop, Vorständin des Verbraucherzentrale Bundesverbandes (vzbv). Von Anfang an haben der vzbv und der Deutsche Tierschutzbund sich eng ausgetauscht, denn schließlich seien höhere Tierschutzstandards und mehr Transparenz auch eine Erwartung der Verbraucher*innen, sagte Pop. „Für diese zehnjährige Zusammenarbeit möchte ich mich bedanken.“ Mit der Einstiegs- und der Premiumstufe des Tierschutzlabels sei für alle klar erkennbar, wie die verschiedenen Tierarten gehalten werden. Dies sei auch für ein verbindliches staatliches Kennzeichensystem wünschenswert, so Pop. Sie teilte somit die Kritikpunkte, die Schröder kurz zuvor äußerte. „Bislang enttäuscht das staatliche Kennzeichen auf ganzer Linie“, resümierte er. Denn es fehle eine Gesamtstrategie zum Umbau der Tierhaltung für alle Tierarten, die den umstellungsbereiten Landwirtinnen und Landwirten Planungssicherheit gibt. Ohnehin mache das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) keine Vorgaben für mehr Tierschutz, sondern gruppiere lediglich bestehende Haltungsformen anhand grober Eckpunkte in ein System ein. Dabei beschränkt es sich bislang auch nur auf die Haltung von Schweinen. Andere Tierarten sind in dem Zeichen bisher nicht berücksichtigt. Das staatliche Kennzeichen stelle in der jetzigen Form sogar einen Vertragsbruch dar, weil es nur die Mast umfasst – und nicht auch, wie im Koalitionsvertrag versprochen, Transport und Schlachtung. Zudem mangele es an einem belastbaren Kontrollkonzept. „All das, was dem staatlichen Kennzeichen fehlt, findet man bei uns“, so Schröder. „Natürlich kann ein Bundesminister 16 Jahre Versagen in der Tierschutzpolitik nicht in nun knapp 14 Monaten aufräumen. Aber das Signal, der Wille, das zu tun, der kann und muss noch deutlicher in die Debatte geworfen werden.“

Transformation der Landwirtschaft – eine zentrale Aufgabe

Trotz dieser Kritik gratulierte auch Dr. Ophelia Nick, Parlamentarische Staatssekretärin im BMEL, zum Jubiläum. Die aktuellen Pläne für das staatliche Tierhaltungskennzeichen seien ein erster Schritt hin zu einem umfangreicheren Umbau der Tierhaltung – weitere sollen folgen, so Nick. Unter anderem plane das BMEL künftig auch die Bereiche Transport und Schlachtung zu regeln: Aber nicht innerhalb des Tierhaltungskennzeichens, sondern im Rahmen des Ordnungsrechtes – „das alles muss ja auch gefördert werden“, so Nick. Ohnehin müsse die Ampelkoalition eine Lösung finden, wie eine Ausweitung auf andere Tierarten und die weitere Transformation der Landwirtschaft künftig finanziert werden können. „Mir reicht das auch noch nicht, aber es ist wichtig, dass wir vorankommen“, so Nick. Der Deutsche Tierschutzbund wird die Politik in jedem Fall weiterhin in die Pflicht nehmen. „Die Transformation der Landwirtschaft ist eine zentrale Aufgabe. Heute mehr denn je. Weniger Konsum, weniger Produktion tierischer Lebensmittel muss der Weg sein“, so Schröder. Und solange es noch kein zufriedenstellendes staatliches Tierhaltungskennzeichen gibt, können Verbraucher*innen sich auf das Tierschutzlabel „Für Mehr Tierschutz“ verlassen – denn hier ist ein Mehr an Tierschutz garantiert.

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Bildrechte: Artikelheader: Deutscher Tierschutzbund e.V.; Fotos: Deutscher Tierschutzbund e.V.; Susan Grzybek (Noichl, Schröder, Pop, Mittag)