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Interview mit Thomas Schröder, Präsident des Deutschen Tierschutzbundes

„Tiere haben keinen Preis, sie haben einen Wert“

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„Tiere haben keinen Preis, sie haben einen Wert“

Im Interview zieht Thomas Schröder, Präsident des Deutschen Tierschutzbundes, Bilanz nach 50 Jahren Tierschutzgesetz und 20 Jahren Staatsziel Tierschutz.

  • Autor: Nadine Carstens, Redakteurin DU UND DAS TIER

Thomas Schröder, Präsident des Deutschen Tierschutzbundes.

Welche Bilanz ziehen Sie nach 50 Jahren Tierschutzgesetz und 20 Jahren Staatsziel Tierschutz?

Eine gemischte. Im Tierschutzgesetz wurde von Beginn an der Nutzen des Tieres organisiert, nicht der Schutz. Und leider hat das Staatsziel daran bisher nichts geändert. 2002 wäre es nötig gewesen, alle Gesetze mit Tierbezug zu evaluieren: Passt das noch zu einem Staatsziel. Diese Chance wurde bisher verpasst.

Sie haben das Tierschutzgesetz in der Vergangenheit oft als Tiernutzgesetz bezeichnet. In wie fern trifft das heute noch zu?

Zu 100 Prozent. Nehmen wir das Beispiel Kükentöten. Statt die Systemfrage anzugehen, wurde alles getan, damit das System als solches mit hochgezüchteten Eierproduktionsmaschinen, was die Legehennen im Kern sind, weiterlaufen kann. Oder nehmen wir den Warmstall für Schweine. Ein absolut tierschutzwidriges System. Statt das zu verbieten, lässt man das Schwänze kupieren als Ausnahme zu, trotz EU-Verbot, weil sonst die Tiere nicht zu halten sind, und Stroh geht nicht, weil das System dann verstopft.

Staatsgewalten wie Gerichte und Verwaltungsbehörden sind dazu verpflichtet, den Tierschutz in ihren Entscheidungen zu berücksichtigen. Setzen sie dies in der Praxis genügend um?

Wir erleben tatsächlich erste Veränderungen bei Urteilen. Ob das mit dem Staatsziel direkt zu tun hat oder eben mit der veränderten gesellschaftlichen Einstellung insgesamt – ich weiß es nicht. Nehmen wir das Kükenurteil des Bundesverwaltungsgerichts Leipzig von 2019. Das erste Mal wurde die ökonomische Notwendigkeit nicht mehr als vernünftiger Grund nach Tierschutzgesetz gerechtfertigt. Die Konsequenzen aus dem Urteil aber, die waren dann nicht mehr konsequent. Oder nehmen wir das Urteil zur Käfighaltung von Legehennen, das sogar noch vor dem Staatsziel gefällt wurde. Leider haben die Gerichte nicht gesagt, wie genau die Tiere dann gehalten werden müssen, das wurde der Politik überlassen und hat wieder zu Verwerfungen geführt. Auch wenn das Verbot dann kam, es war nochmals ein langer Kampf nötig. Insgesamt bleiben die Gerichte bei Tierqual noch zu sehr im Bußgeldcharakter.

„2002 wäre es nötig gewesen,
alle Gesetze mit Tierbezug zu evaluieren:
Passt das noch zu einem Staatsziel.
Diese Chance wurde bisher verpasst.“

– Thomas Schröder

Der Tierschutz wird 2002 als Staatsziel im Grundgesetz aufgenommen – ein Meilenstein.

In den vergangenen Jahrzehnten gab es einige Erfolge im Tierschutz, etwa die Verbote der Haltung von Legehennen in Käfigen sowie der betäubungslosen Ferkelkastration, zudem erlassen immer mehr Kommunen Katzenschutzverordnungen, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Welche Rolle hat der Deutsche Tierschutzbund dabei gespielt und worauf sind Sie besonders stolz?

Ich bin überzeugt, dass wir und unsere örtlichen Mitgliedsvereine mit den Landesverbänden großen Anteil an den Erfolgen haben. Aber auch viele andere Mitstreiter haben mitbewegt – wie heißt es doch so schön: Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile. Ob Stolz das richtige Wort ist, ich weiß nicht, aber Highlights, das passt: Das Verbot der Subventionen für Schlachttiertransporte in EU-Drittländer, der größte Erfolg meines Vorgängers Wolfgang Apel mit konkreten Auswirkungen. Das Staatsziel, das Legehennenurteil, das sind sicher drei von vielen.

Die Bundesregierung hält in ihrem Koalitionsvertrag einige Maßnahmen fest, die Tiere besser schützen sollen, wie etwa eine Novellierung des Tierschutzgesetzes – diese gehört auch zu den Kernforderungen des Deutschen Tierschutzbundes. Wie sollte diese Novellierung aussehen?

Genaugenommen wäre eine völlig neue Textur nötig. Die konkrete Ausformulierung von Qualzucht, damit wir diesen Paragrafen auch auf Tiere in der Landwirtschaft konsequent anwenden; eine Positivliste, welche Tiere in privater Hand gehalten werden dürfen; das Verbot von Tierversuchen; das Verbot von allen Wildtieren im Zirkus: Das sind nur erste Beispiele. Die Präzisierung des „vernünftigen Grundes“, das Strafmaß bei Fällen von Tierqual – die Liste ist lang. Fehlende Verordnungen zur Haltung von Rindern, Puten, Wassergeflügel und Elterntieren in der sogenannten Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung sind ebenso Baustellen.

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In welchen Bereichen herrscht ansonsten noch der größte Handlungsbedarf?

In allen Bereichen gibt es enormen Handlungsbedarf. Tiere haben keinen Preis, sie haben einen Wert. Das muss die Messlatte für Ordnungsrecht sein. Dann ist klar, dass weniger der ökonomische Zweck des Tieres im Mittelpunkt steht, sondern der Schutz. Dann kann es gelingen, ein Schutzgesetz zu formulieren, das diesen Namen verdient.

„Die größte Motivation hole ich bei Besuchen vor Ort. Die Menschen zu erleben, die mit Herz und Verstand, mit Leidenschaft für die Mitgeschöpfe eintreten, in jeder Situation.“

– Thomas Schröder

Was motiviert Sie, weiterhin für den Tierschutz zu kämpfen?

Ich habe verinnerlicht, dass, wenn man sich selbst nicht mehr hören mag, es anfängt, sich beim Publikum zu setzen, das gilt auch für Regierungen. Das treibt mich an. Aber die größte Motivation hole ich bei Besuchen vor Ort. Die Menschen zu erleben, die mit Herz und Verstand, mit Leidenschaft für die Mitgeschöpfe eintreten, in jeder Situation. Das gibt Kraft, und dass ich die Chance habe, ihnen zu helfen, das motiviert ungemein. Es gibt da so einen Spruch: Dein Zuhause ist da, wo Deine Freunde sind. In dem Sinne fühle ich mich in der Gemeinschaft Deutscher Tierschutzbund zu Hause.

Vielen Dank für das Gespräch.

Bildrechte: Artikelheader: Deutscher Tierschutzbund e.V. – wolterfoto (Porträt); Fotos: Deutscher Tierschutzbund e.V. – wolterfoto (Porträt), Deutscher Tierschutzbund e.V. (Staatsziel Tierschutz)