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Energiewende

Ausbau ohne Augenmaß

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Ausbau ohne Augenmaß

Die Energiewende ist in vollem Gange. Das führt zu einem unerwarteten Dilemma: Weil Windkraftanlagen für manche Tiere eine tödliche Falle sind, prallen Arten- und Klimaschutz plötzlich aufeinander – dabei gäbe es einfache Lösungen.

  • Autor: Nina Himmer, freie Autorin

Christian Voigt ist aufgebracht. „Ich bin kein Gegner der Energiewende“, stellt er klar, „aber so, wie der Ausbau derzeit betrieben wird, ist er für Fledermäuse eine Katastrophe.“ Der Experte des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) in Berlin untersucht seit Jahren die Lebensumstände der kleinen Säugetiere, von denen schätzungsweise 270.000 jährlich in den Rotorblättern von Windkraftanlagen sterben.

Fledermäuse besser schützen

Dr. Tanja Straka, Referentin für Artenschutz beim Deutschen Tierschutzbund, erläutert was jeder Einzelne zum Schutz der Fledermäuse in Deutschland beitragen kann. Lesen

Die Dunkelziffer liegt wohl noch höher, denn viele tote Tiere werden gar nicht erst gefunden: „Nur ein Teil der Fledermäuse stirbt durch Kollisionen, ein anderer durch ein Barotrauma“, erklärt Voigt. Dabei lässt der durch die Rotorblätter erzeugte Unterdruck die feinen Blutgefäße der Fledermäuse platzen. Das tötet die Tiere entweder sofort – oder sie fliegen noch eine Weile weiter, bevor sie qualvoll an inneren Blutungen verenden. „Die Distanz zur Anlage macht es in solchen Fällen schwierig, die Kadaver zu finden und verlässliche Daten zu sammeln“, sagt Voigt.

Für die Fledermäuse ist diese Entwicklung fatal: Sie bekommen pro Jahr nur ein bis zwei Jungtiere und finden schon jetzt immer weniger Lebensraum. Seit die Politik den Ausbau von Windkraft im Rahmen der Energiewende vorantreibt, ist ihre Population gefährdeter denn je. Nicht nur heimische Arten fallen den Anlagen zum Opfer. Auch Tiere, die in den Wintermonaten von Osteuropa gen Süden ziehen, kehren oft nicht mehr in ihre Heimat zurück. Der Experte seufzt: „Es ist schwer, sich für die Belange von Fledermäusen stark zu machen. Sie haben hier keine Lobby.“

Über 100.000 Vögel sterben jährlich durch Windkraftanlagen

Vögel wie dieser Rotmilan sind häufig Opfer von Windkraftanlagen.

Vögel wie dieser Rotmilan sind häufig Opfer von Windkraftanlagen.

Das kann man vom Rotmilan nicht behaupten. Der imposante Greifvogel taucht im Zusammenhang mit der Energiewende häufig in den Medien auf. Mal, weil Gegner der Windkraft ihn für ihre Zwecke instrumentalisieren. Mal, weil Befürworter seine Horste zerstören oder Tiere vergiften, um den Bau neuer Anlagen nicht zu gefährden. Der Rotmilan steht weit oben auf der Todesliste. Ein trauriger Ruhm, denn er ist vom Aussterben bedroht und brütet hauptsächlich in Deutschland. „Die Debatte wird sehr emotional geführt“, bestätigt Dr. Hermann Hötker, Leiter des NABU-nahen Michael-Otto-Instituts und Experte in Sachen Vogelschutz. Er untersucht die Auswirkungen von Windkraft auf Vögel.

Experten schätzen, dass über 100.000 von ihnen jährlich in den Anlagen umkommen, weil sie von Rotorblättern getroffen werden. Von „Vogelschreddern“ will der Experte trotzdem nicht sprechen. „Man muss das differenziert sehen: Enten oder Gänse etwa machen einen Bogen um Windkraftanlagen, andere Vögel fliegen gar nicht so hoch oder weichen aus“, erklärt er.

Zudem seien viele Fragen noch offen: „Es mangelt zum Beispiel an verlässlichen Studien zu den Auswirkungen auf Zugvögel.“ Sicher sei jedoch, dass es mit bestimmten Arten Probleme gibt. Allen voran mit Greifvögeln wie Rotmilanen, Schreiadlern oder Mäusebussarden, aber auch mit Möwen, Störchen und Seeschwalben. Statt zu fliegen, legen sich diese „Segler“ in den Wind und lassen sich treiben – und landen dabei immer häufiger in Windkraftwerken.

Wenn die Tiere nicht sofort tot sind, fallen sie schwer verletzt auf den Boden und verenden meist elend. Ein anderes Problem ist der Umstand, dass Windkraftanlagen Vögel aus ihrem Lebensraum und von ihren Brutstätten vertreiben.

 

Bildrechte: Artikelheader: Korta - Fotolia.com; Artikelbild "Rotmilan": Bildagentur-online/ MAS-McPhoto; Artikelbild "Offshore-Anlagen": vschlichting - Fotolia.com; Artikelbild "Schweinswal": picture-alliance/WILDLIFE/F.Graner; Artikelbild "Fledermäuse": picture-alliance/NHPA/photoshot/STEPHEN DALTON