DU UND DAS TIER: Wie entstand vor zehn Jahren die Idee, die Eselnothilfe zu gründen?
Heike Wulke: Vor fast zwölf Jahren übernahm ich über unseren Hufschmied einen Esel, dessen Besitzer verstorben war. Dieser hatte ihn schwer misshandelt und war sehr krank und traumatisiert. Nicht einmal einen Namen hatte er. Ab sofort hieß er Apollo 13. Mehrere Monate haben wir gebraucht, bis er nicht nur wieder körperlich gesund war, sondern auch seine seelischen Wunden anfingen zu heilen und er langsam wieder Vertrauen zu Menschen fasste. Heute ist er einer unserer zuverlässigsten Esel, der vor allem in der Therapie eingesetzt wird. Damals stellten wir uns die Frage, wie viele solcher Eselschicksale es wohl gibt und wer sich darum kümmert. Privat kann man sicher ein- oder zweimal helfen, wenn die finanziellen Mittel vorhanden sind, aber was dann?
In Gesprächen mit anderen Eselfreunden stellte sich heraus, dass wir nicht die einzigen waren, die sich diese Frage stellten. Und so schlossen wir uns zusammen, um einen Verein zu gründen, um anderen Eseln und Mulis helfen zu können. Jedoch hat keiner von uns geahnt, dass aus einer so kleinen Idee in kurzer Zeit solch große Aufgaben werden und es in Deutschland so viele Esel und Mulis gibt, die Hilfe benötigen.
DU UND DAS TIER: Welcher Fall ist Ihnen in besonderer Erinnerung geblieben?
Heike Wulke: Bei über 300 Tieren in zehn Jahren Tierschutzarbeit ist diese Frage nicht so leicht zu beantworten. Es gibt viele tragische Fälle, die sehr tief in Erinnerung bleiben. Im Mai 2011 übernahmen wir den damals elfjährigen Eselhengst Joey. Er stand einsam in einer Box auf einem Reiterhof. Als Fohlen war er noch niedlich, als heranwachsender Hengst nicht mehr einfach im Umgang, aufgrund der Einzelhaltung aggressiv. Während zu den Pferden auf den Hof regelmäßig der Hufschmied kam, wurde er gar nicht beachtet. Er kam völlig verstört, unsozialisiert und mit Schnabelhufen zu uns, wo er lernte, dass Menschen auch nett sein können. Langsam fing er an Berührungen durch Menschen, Hufe geben und ein Halfter zu akzeptieren. Die erste Vermittlung verlief jedoch alles andere als positiv. Die neuen Halter kamen mit seiner Angst nicht zurecht. Die zweite Vermittlung hingegen war ein Glückgriff. Seine heutige Halterin hat sich mit viel Geduld und Liebe sein Vertrauen erarbeitet. Sie unternehmen gemeinsam viele Wanderungen und besuchen Kinder in Einrichtungen.
Ein weiterer Tierschutzfall war Zwergesel Pierchen, den wir Ende 2014 übernahmen. Er kam aus Luxemburg. Schon der Start ins Leben verlief für Pierchen alles andere als optimal. Von seiner Mutter nicht angenommen, wuchs er als Flaschenkind auf. Er musste, wie die anderen Esel dieser Herde, sehr oft zu öffentlichen Auftritten. Irgendwann fiel Besuchern auf, dass Pierchen in einem sehr schlechten Gesundheitszustand war, ihm Eiter aus der Nase lief und sein Gesicht geschwollen war. Das Veterinäramt wurde informiert und Pierchen verschwand aus diesem Stall. Die Besitzer hatten ihn zu einem Bauern gegeben. Hier lebte er mit Schafen zusammen auf einer Wiese und in einem Unterstand, in den er nur geduckt hinein passte. Die tierärztliche Behandlung jedoch scheiterte. Der Tierarzt war da, konnte beziehungsweise sollte nichts machen, da die Behandlungen Geld gekostet hätten. Aus diesem Grund sah Pierchen in dieser Zeit auch keinen Hufschmied. Über Umwege erfuhr eine Eselfreundin vom traurigen Schicksal dieses Esels. Der Besitzer wollte das ungeliebte Tier loswerden und so zog Pierchen in seine Pflegestelle sein. Erst dort kam das ganze Ausmaß der jahrelang fehlenden tierärztlichen Behandlung in vollem Umfang ans Licht: Geschwollenes Gesicht, sichtlich starke Schmerzen, Probleme beim Fressen, schlechter Allgemeinzustand, unsicher und verängstigt – ein Häufchen Elend mit viel zu langen Hufen, die das kleinste Problem waren. Der Tierarzt, unter anderem Spezialist für Kieferchirurgie bei Equiden, war geschockt vom Ausmaß der Erkrankung. So etwas hatte er in seiner ganzen Laufbahn noch nicht gesehen.
Pierchen mussten einige Zähne gezogen werden, die eitrigen Entzündungen haben sogar den Kiefer teilweise zerstört, so dass Futterbrei durch drei große Löcher in die Nasennebenhöhle gedrückt wurde. Die Schmerzen, mit denen Pierchen seit mehreren Jahren leben musste, müssen höllisch gewesen sein. Es grenzt an ein Wunder, dass er diese Zeit überhaupt überlebt hat.
Es folgten in all den Monaten fünf Operationen und mehrere kleinere Eingriffe, in denen nach und nach die Löcher im Kiefer mittels Gewebetransplantationen verschlossen wurden. Möglich waren diese Behandlungen durch eine fast unheimlich verlaufende Spendenaktion. Esel- und Tierfreunde spendeten in nicht einmal 24 Stunden über 5.000 Euro.
Doch leider hat Pierchen am Ende den Kampf verloren und verstarb am 04.01.2015.
Und so könnte ich die Liste fortsetzen.
DU UND DAS TIER: Wann zaubern Ihnen Esel ein Lächeln auf die Lippen?
Heike Wulke: Eigentlich immer, wenn ich weiß, es geht ihnen gut. Wenn sie zufrieden ihr Heu zermahlen, spielen oder einfach nur die Sonne genießen. Wenn sie mich sanft mit ihrem weichen Maul anstupsen und nach Streicheleinheiten fragen. Wenn ich abends von der Arbeit komme und einfach nur die Ruhe genieße, die diese sanften Langohren ausstrahlen. Esel sind die Therapeuten für die Seele.