Aktuell

Das große Insektensterben

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Das große Insektensterben

Die Zahlen sind dramatisch: In den vergangenen 27 Jahren ist in Deutschland die Biomasse bei Fluginsekten um mehr als 75 Prozent zurückgegangen. Fehlen Bienen, Schmetterlinge und Co, hat das katastrophale Folgen – nicht nur für unser Ökosystem, auch für die Wirtschaft.

  • Autor: Nadine Carstens, Redakteurin DU UND DAS TIER

In Teilen Chinas und Japans müssen Plantagen-Arbeiter Obstbäume mühevoll mit einem Pinsel bestäuben. Baum für Baum. Blüte für Blüte. In einigen Regionen ist das seit Jahren Alltag, denn vielerorts, wie etwa in Sichuan, sind Bienen nahezu ausgestorben. Der Mensch ist jedoch noch lange nicht so produktiv wie eine fleißige Honigbiene. Auch in Deutschland könnte es bald nötig sein, Obstbäume per Hand zu bestäuben. Denn der Insektenschwund ist hierzulande ebenfalls ein überaus ernstes Problem, das viel zu lange unterschätzt wurde. Was Ökologen lange befürchtet haben, bestätigen dramatische Zahlen einer Langzeitstudie, die jüngst großes Aufsehen erregt hat: Entomologen aus Krefeld beschreiben in ihrer Studie von 2017, dass die Biomasse bei Fluginsekten in den vergangen 27 Jahren um mehr als 75 Prozent gesunken ist.

EINE BIENE BESTÄUBT TÄGLICH BIS ZU 9.000 BLÜTEN

Zwischen 1989 und 2016 haben sie mithilfe von Fallen, die sie an mehr als 60 Standorten im Offenland aufgestellt hatten, Insekten gefangen. Mit der Zeit befanden sich darin immer weniger Wildbienen, Schmetterlinge, Nachtfalter, Käfer und Libellen – und das an allen Messorten. Auch wenn die Insektenkundler überwiegend Schutzgebiete in Nordrhein-Westfalen untersucht haben, sind die Ergebnisse der Langzeitstudie durchaus repräsentativ für ganz Deutschland. Wenn schon in Naturschutzgebieten ein deutlicher Rückgang zu verzeichnen ist, lässt sich erahnen, wie wenig Insekten in anderen Regionen mittlerweile leben. Außerdem dokumentieren zahlreiche weitere Studien, in denen sich Wissenschaftler mit einzelnen Insektenarten wie etwa Wildbienen oder Schmetterlingen befassten, ebenfalls einen Insektenschwund in Deutschland und Europa. Auch Heuschrecken sind gefährdet: In den aktuellen Roten Listen für Europa werden mehr als 30 Prozent der untersuchten Heuschreckenarten als rückläufig eingestuft. Und dass die Lage der Bienen dramatisch ist, wissen wir ohnehin seit Jahren – spätestens, seitdem Imker weltweit angesichts schrumpfender Bienenvölker Alarm schlagen.

INSEKTENSCHWUND HAT VERSCHIEDENE URSACHEN

Welche Ursachen zu diesem dramatischen Insektensterben geführt haben, muss allerdings noch genauer untersucht werden. Das betonen auch die Krefelder Entomologen. In ihrer Langzeitstudie haben sie zwar auch Klimadaten und Änderungen der Landschaft erfasst – Faktoren, die ihnen zufolge aber nicht den drastischen Rückgang der Insekten erklären. Inwiefern Pestizide zu diesem Massensterben beitragen, konnte nicht untersucht werden. „Dass aber Pestizide ein deutlicher Einflussfaktor sind, haben bereits andere Studien belegt“, sagt James Brückner, Referent für Artenschutz beim Deutschen Tierschutzbund. „Unmengen von Pestiziden, die Landwirte, aber auch viele Kleingärtner verteilen, vermindern die Anzahl der Insekten und somit das Futterangebot für Vögel.“

Ähnlich sieht das das Bundesamt für Naturschutz (BfN). Mit seinem Agrar-Report schlug das BfN bereits im Juni 2017 Alarm: Darin führen die Verfasser den Insektenschwund ebenfalls auf die Intensivierung der Landwirtschaft zurück. Auch der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln sei kritisch zu sehen, so das BfN. Insbesondere die sehr giftigen Neonikotinoide ständen als Insektizide in der Kritik, da sie einen massiven Einfluss auf „Nicht-Zielorganismen“ hätten, die essenzielle Ökosystemleistungen erbringen. Im Klartext: Nicht nur Blattläuse, Maiszünsler und andere unliebsame Schädlinge werden bekämpft, sondern auch nützliche Insekten wie etwa Hornissen, Falter und Käfer. Zudem würden laut Agrar-Report in der modernen Landwirtschaft Feldfruchtfolgen eingeengt, Ackerschläge homogenisiert und vergrößert. „Die intensive Landwirtschaft, in der Monokulturen die Landschaft prägen und Düngemittel übermäßig eingesetzt werden, hat einen negativen Einfluss auf die Vielfalt der Pflanzen und damit auch auf die Insekten“, erläutert Brückner. „Das heißt: Eine enorme Zahl an Bestäubern verliert ihre Nahrungsgrundlage und ihren Lebensraum.“

FATALE FOLGEN FÜR WIRTSCHAFT UND NATURSCHUTZ

Geht dieser Abwärtstrend weiter, wären die Folgen verheerend: Das bestätigte die Bundesregierung in der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Grünen- Fraktion im Juli vergangenen Jahres und nannte neben dem Verlust an Biodiversität große ökonomische Risiken als Auswirkungen. Denn Insekten spielen auch für unsere Wirtschaft eine unverzichtbare Rolle. In Deutschland wären laut Bundesregierung vor allem der Obst- und Gemüseanbau sowie großflächig angebaute Ackerkulturpflanzen wie Raps, Sonnenblumen und Ackerbohnen betroffen. Hinzu kommt die Tatsache, dass Insekten und andere Gliederfüßer überaus wichtig sind, um Humus zu bilden und den Boden fruchtbar zu halten. „Wenn zu wenig Insekten über Deutschlands Landschaften fliegen, krabbeln und schweben, fehlt auch Vögeln, Fledermäusen und anderen Insektenfressern wie etwa Igeln oder Spitzmäusen das Nahrungsangebot“, schildert Denise Ade, Referentin für Artenschutz beim Deutschen Tierschutzbund.

Schon der Vogelschutzbericht aus dem Jahr 2013, herausgegeben vom Dachverband Deutscher Avifaunisten, vom BfN und von der Länderarbeitsgemeinschaft der Vogelschutzwarten, hat dargelegt, dass die Population der Brutvögel, die hauptsächlich Kleininsekten und Spinnen fressen, drastisch geschrumpft ist. Dasselbe gilt für Vögel, die Libellen, Heuschrecken oder große Käfer fressen – hier sind bereits seit vielen Jahrzehnten deutliche Rückstände im Bestand zu beobachten. Betroffen sind zum Beispiel Neuntöter und Wiedehopf. „Auch der Bestand des früher allseits präsenten Stars, der zum Vogel des Jahres 2018 ernannt wurde, hat in den vergangenen Jahren hierzulande stark gelitten“, so Ade. Die Politik, die Landwirtschaft, aber auch wir alle müssen jetzt tätig werden, um das große Insektensterben zu bremsen. Denn wenn die Bestände schon in den vergangenen drei Jahrzehnten so massiv gesunken sind, könnten Deutschlands Wiesen und Felder schon sehr bald verwaist sein.

AUFGABEN VON POLITIK UND LANDWIRTSCHAFT 

Doch was können wir tun, um diesen Abwärtstrend rechtzeitig zu stoppen? Die Bundesregierung hat unter anderem 2016 das GAK-Gesetz (Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“) angepasst. Mit dieser Gemeinschaftsaufgabe fördern die EU, Bund und Länder ländliche Räume, die Landwirtschaft und den Schutz der Küsten. Zum Beispiel erhalten kleine und mittlere landwirtschaftliche Unternehmen finanzielle Unterstützung, wenn sie bestimmte Kriterien in den Bereichen Umwelt-, Klima- oder Verbraucherschutz sowie Tierschutz erfüllen. Außerdem wolle die Bundesregierung es Landwirten erleichtern, freiwillige Blühstreifen anzulegen, sodass Insekten zumindest an den Rändern von Feldern genügend Nahrung und Blüten finden. Ebenso sollen auch der ökologische Landbau und die Weidehaltung und somit auch die Biodiversität stärker gefördert werden, so der Plan der Bundesregierung. „Solche Vorkehrungen allein reichen aber nicht“, mahnt Brückner. „Um die biologische Vielfalt zu erhalten, sollte es auch ein Verbot für Neonikotinoide und das schädliche Pflanzengift Glyphosat geben.“

AKTIV GEGEN DAS VERSCHWINDEN DER INSEKTEN VORGEHEN

Einen wichtigen Beitrag zum Schutz von Insekten und Vögeln kann bereits jeder leisten, der einen Garten oder Balkon hat. Der Deutsche Tierschutzbund begrüßt zudem Projekte von Tierschützern, die sich ehrenamtlich für Insekten engagieren. Bei der Verleihung des Deutschen Tierschutzpreises 2017 des Verbandes erreichten Bettina Thauer und Jan Erik Ahlborn aus dem bayerischen Mindelheim den zweiten Platz für ihr Internetportal www.wespenberater.de. Damit helfen sie Menschen, die mit Wespen oder Hornissen in engeren Kontakt kommen, als ihnen lieb ist. So beraten sie entweder telefonisch oder fahren selber los, um Wespen- und Hornissennester umzusiedeln. Zusätzlich halten die beiden Wespenberater in ihrer Freizeit Vorträge, in denen sie über die wichtigen Aufgaben von Insekten informieren. „Wer sich so unermüdlich einsetzt wie die beiden Preisträger, trägt entschieden zum Schutz von Insekten bei“, sagt Franziska Hagen, Referentin für Tiere in der Landwirtschaft beim Deutschen Tierschutzbund. „Hilfreich sind aber auch schon kleine Schritte wie ein insektenfreundlicher Garten.“

Die Zeit ist knapp. Aber wenn jeder Einzelne aktiv wird, können wir vielleicht die Insektenwelt hierzulande retten, sodass sich auch noch zukünftige Generationen an artenreichen Wiesen und Feldern erfreuen können.


FAZIT
DAS KÖNNEN SIE TUN:

  • Heimische Wildblumen und Wildkräuter im Garten und auf dem Balkon anpflanzen
  • Nisthilfen für Insekten aufstellen
  • Bei Renovierungsarbeiten am Haus die Zugänge für Tiere nicht verschließen: Sie dienen Schmetterlingen oder Marienkäfern oft als Winterquartier
  • Etwas Unordnung im Garten: Wer zum Beispiel Laub liegen lässt, hilft Käfern, Regenwürmern und einer Vielzahl anderer Tierarten, ein Versteck zu finden
  • Altes Gehölz, etwa hohle Stängel verschiedener Pflanzen oder Baumhöhlen, bietet Wildbienen Schutz
  • Regionale Bioprodukte kaufen, um die intensive Landwirtschaft nicht weiter zu fördern

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