Ein Herz für Ziegen

Dumme Ziege? Keineswegs! Ziegen sind nicht nur lustige Zeitgenossen, sondern auch äußerst clever. Zudem sind die unglaublichen Akrobaten liebevoll und überaus faszinierend. Die Ziegenhaltung ist in Deutschland zwar eine Nische, doch die Nachfrage nach Ziegenmilch steigt. Grund genug, diese wundervollen Tiere endlich richtig kennenzulernen und sie nicht bloß als Produkt zu betrachten.

Ziegen brauchen ein besseres Image

Ziegen genießen in der griechischen Mythologie einen guten Ruf – schließlich wurde die Gottheit Zeus demnach von einer Ziege namens Amalthea gesäugt. Das Christentum hingegen prägte das Bild des im Volksmund bekannten Sündenbocks: Gläubige betrachten das Tier als Verkörperung der Sünden und des Teufels. Auch beim jüdischen Versöhnungsfest in Israel vertreiben die Menschen einen Ziegenbock, auf den sie alle Sünden des Volkes übertragen. Aus sprachlicher Sicht haben Ziegen es dementsprechend nicht leicht – auch Beschimpfungen wie „dumme Ziege“ oder „blöde Zicke“ haben die meisten von uns schon mal in den Mund genommen. Dabei könnten diese Ausrufe unzutreffender nicht sein – schließlich sind Ziegen weder dumm noch unsozial. In Wahrheit sind sie äußerst intelligent, führen enge Beziehungen und pflegen einen friedlichen Umgang mit ihren Artgenossen sowie anderen Tieren.

Leider wächst die Nachfrage nach Ziegenmilch enorm, was die Nische zu einem aufsteigenden Ast in der Landwirtschaft macht. Das sind schlechte Nachrichten für die Tiere, denn eine Intensivierung der Produktion bedeutet, dass immer mehr Ziegen auf immer weniger Raum gehalten werden. Ihre natürlichen Verhaltensweisen rücken so in den Hintergrund und sie leiden unter den tierschutzwidrigen Bedingungen. Aus diesem Grund ist es an der Zeit, unsere witzigen und cleveren Zeitgenossen besser kennenzulernen und ihnen den Respekt zu schenken, den sie verdienen.

 

Wer hat hier dumm gesagt?

Entgegen der verbreiteten Ansicht, Ziegen wären dumm, sind sie äußerst intelligent und haben ausgeprägte kognitive Kapazitäten. Dadurch sind sie dazu in der Lage, schnell zu lernen und ihre neu errungenen Fähigkeiten über lange Zeiträume zu behalten. Im Gegensatz zu anderen Tierarten, die lernen, indem sie ältere Artgenossen beobachten, gewinnen Ziegen vor allem durch alleiniges Ausprobieren an Erfahrung. Sie lernen lieber individuell und erarbeiten sich Lösungen eigenständig.

Die cleveren Tiere beherrschen sogar die Kunst der Kommunikation: Durch Augenkontakt signalisieren sie Menschen, dass sie Hilfe bei Problemen benötigen, die sie selbst nicht lösen können. Zudem sind die empathischen Tiere dazu in der Lage, Gefühle über Töne zu erkennen. An der Tonlage der Laute ihrer Artgenossen nehmen sie wahr, in welcher emotionalen Verfassung diese sich gerade befinden. Ziegen beweisen außerdem ein großartiges Erinnerungsvermögen. Zum Beispiel können sie sogar nach über einem Jahr Trennung die Laute wiedererkennen, über die Ziegenmütter und ihr Nachwuchs miteinander kommunizieren. Zudem vernehmen sie, ob Menschen einen positiven oder einen negativen Gesichtsausdruck haben – auf den positiven reagieren sie stärker.

 

Geselligkeit mit System

Ihre mitfühlende Ader hilft Ziegen im Zusammenleben mit anderen Artgenossen, denn sie verbringen gerne Zeit mit ihnen. Sie bilden Herden, in denen eine klare Rangordnung herrscht. Diese respektieren die Tiere grundsätzlich, regeln sie – wenn notwendig – aber auch durch heftige Kämpfe. Nach der Etablierung der Hierarchien kämpfen Tiere höherer Ränge selten, bei rangniederen Tieren kommt dies wiederum manchmal vor. Dann ist zu beobachten, wie zwei Ziegen sich auf ihre Hinterbeine stellen und mit den Hörnern zusammenstoßen. Im Zentrum der Herde steht allerdings die Leitziege, die meist alt, erfahren und kräftig ist.

Das gemeinsame Leben wird aber nicht nur von Hierarchien und Rängen bestimmt – vielmehr schließen die sozialen Tiere Freundschaften untereinander. Befreundete Tiere müssen nicht mal der eigenen Art angehören, auch beispielsweise Pferde zählen dazu. Bindungen sind äußerst wichtig für Ziegen, denn sie sind nicht gerne allein. Wenn sie unter Einsamkeit leiden, können sie sogar Depressionen bekommen und daran sterben. Umso wichtiger ist es für sie, mit ihrer Herde ausreichend herumspringen und toben zu können.

 

 

Was nicht bei drei auf den Bäumen ist

Im Springen sind Ziegen übrigens besonders begabt – manche Arten wie die Capra aegagrus blythi sind dazu in der Lage, aus dem Stand über anderthalb Meter hochzuspringen und vier bis fünf Meter hinunterzuspringen, ohne sich dabei zu verletzen. Das hilft den kletterfreudigen Tieren, wenn sie mal wieder die Krone eines Baumes erobern möchten. Im Südwesten Marokkos hat sich der Anblick von Ziegen in Baumwipfeln bereits zur Tourist*innenattraktion entwickelt: Um die Früchte der Arganbäume zu erreichen, die in der wüstenähnlichen Region für die Tiere sehr attraktiv sind, begeben sie sich in die bis zu zehn Meter hohen Kronen, wo sie sich einfach bedienen können. Was für uns erstaunlich ist, ist für Ziegen kein großer Akt – schließlich sind sie anatomisch so gebaut, dass sie diese Höhen ohne Problem erklimmen können. Das Geheimnis liegt in ihren Hufen: Die Sohlenfläche ist weich und kann sich leicht an jede Unebenheit des Untergrundes anpassen. Der Hufrand ist jedoch viel härter und hilft den exzellenten Kletterern dabei, sich an Vorsprüngen festzuhaken.

 

 

Mütterliche Fürsorge

Neben der akrobatischen Freizeitgestaltung kommt bei Ziegen aber auch das Familienleben nicht zu kurz. Sowohl männliche als auch weibliche Ziegen sind ab einem Alter von vier bis fünf Monaten geschlechtsreif und pflanzen sich in der Regel von September bis Anfang des darauffolgenden Jahres fort. Während der Brunst neigen Ziegen zu sehr unruhigen Verhaltensweisen, meckern oft und wedeln seitlich mit dem Schwanz hin und her. Ist diese aufregende Phase überstanden und der Deckakt vollbracht, tragen die Ziegen ungefähr 150 Tage ihren Nachwuchs aus. Kurz vor der Geburt ziehen sie sich von der Herde zurück, um einen geschützten Platz aufzusuchen.

In diesem Abschnitt wird es erneut stressig für die Tiere, die dann häufig zwischen Liegen und Stehen wechseln. Schon vor der Geburt beginnen Muttertiere, den typischen Lockruf für ihre Kitze, wie die Jungtiere genannt werden, zu äußern. Im Liegen bringen sie ihren Nachwuchs schließlich zur Welt und schlüpfen sofort in ihre Mutterrolle. Liebevoll beriechen und belecken sie die Kleinen, was nicht nur der Reinigung dient, sondern auch der Festigung ihrer gegenseitigen Bindung. Schon wenige Minuten nach der Geburt versuchen die Zicklein aufzustehen, und halten sich nach etwa 15 Minuten auf den Beinen. In den ersten Lebenswochen trinken sie stündlich bei ihrer Mutter Milch – diese Abstände werden mit zunehmendem Alter größer.

 

Tierliebe fängt beim Essen an

Zwar ist die Ziegenhaltung in Deutschland immer noch eine Nische, doch die Nachfrage insbesondere nach Ziegenmilch steigt immer weiter. Das bedeutet, dass die Tiere, die für ihr Fleisch und ihre Milch gehalten werden, ihren natürlichen Verhaltensweisen leider nicht nachgehen können. Vielmehr müssen sie nach wenigen Monaten sterben oder werden monatelang unter Qualen gemästet. Mit einer veganen Ernährungs- und Lebensweise können wir ein Zeichen setzen und Ziegen aktiv schützen. Schließlich gibt es eine riesige Bandbreite an Zutaten, mit denen wir leckere Gerichte kochen und köstliche Kuchen backen können – ganz ohne tierische Produkte. Statt Ziegenkäse zu kaufen, könntest Du beispielsweise unser Rezept für vegane „Frischkäse“rollen ausprobieren, die garantiert nichts vermissen lässt. In „Tierschutz genießen – Die Vorratskammer“ haben wir die wichtigsten Zutaten einer pflanzlichen Ernährung zusammengefasst. Sie steht Dir hier zum kostenlosen Download zur Verfügung. Auf unserer Rezeptseite sowie in „Tierschutz genießen“ und „Tierschutz genießen – Das Backbuch“ findest Du außerdem herzhafte als auch süße Inspirationen, die gänzlich ohne Tierleid auskommen und dafür voller leckerer Zutaten sind.

Von Melanie Frommelius, Redakteurin beim Deutschen Tierschutzbund