Autor: Joscha Duhme, Redakteur DU UND DAS TIER
Wo waren Sie am 6. November und wie haben Sie diesen Tag aus Tierschutzsicht erlebt?
Ich hatte mich mit Vertreter*innen des Bundeslandwirtschaftsministeriums und des Bundestages getroffen, um über Strategien zu sprechen, den Tierschutz künftig prominenter im politischen Diskurs unterzubringen. Wir saßen nur einen Steinwurf vom Bundeskanzleramt entfernt, als wir die Nachricht bekamen, dass die Ampel Geschichte ist. Wir alle waren sehr betroffen, denn damit war klar, dass es in dieser Legislaturperiode keinen Fortschritt für die Tiere geben würde.
Was bedeutet der Bruch der Ampelkoalition für die Novellierung des Tierschutzgesetzes?
Es hätte keinen schlechteren Zeitpunkt geben können. Wie wir aus Verhandler*innenkreisen wussten, waren die Verhandlungen der Koalitionsfraktionen über den finalen Gesetzestext fast abgeschlossen. Mit dem Bruch ist diese Novellierung des Tierschutzgesetzes, die erste nach nunmehr elf Jahren, gescheitert. Die Bundesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag 2021 vereinbart, das Tierschutzgesetz zu novellieren.
Wieso hat sie diese Chance vertan?
Man hat sich schlicht zu viel Zeit gelassen. Die Novellierung des Tierschutzgesetzes war der Kern der im Koalitionsvertrag vereinbarten Tierschutzvorhaben. Statt direkt zu Beginn der Legislaturperiode einen Gesetzentwurf vorzulegen, hat der zuständige Bundesminister eine Haltungskennzeichnung auf den Weg gebracht und damit wertvolle Zeit vertan. Das Tierschutzgesetz hätte bereits in 2022 novelliert werden können. So hat die Zeit nicht mehr ausgereicht.
Wie konnte der Deutsche Tierschutzbund während dieser Zeit Einfluss nehmen?
Wir haben schon vor und während der Koalitionsverhandlungen der Ampel darauf gedrängt, den Reformstau in der Tierschutzpolitik endlich aufzulösen. Der Koalitionsvertrag hat große Hoffnungen geweckt, beinahe sämtliche unserer Forderungen fanden sich darin wieder. Wir haben dann in intensiven Gesprächen mit den Abgeordneten des Bundestages und dem Bundesministerium für Landwirtschaft darauf hingewirkt, die Vereinbarungen des Koalitionsvertrages in Gesetze und Verordnungen zu gießen. Dabei zeichnete sich schon sehr früh in dieser Legislaturperiode ab, dass die FDP maßgebliche Projekte blockierte, in der Regierung wie im Bundestag.
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Wie geht es in Sachen Tierschutzgesetzgebung nun weiter?
Der vorliegende Gesetzentwurf fällt der sogenannten Diskontinuität zum Opfer. Diese besagt, dass sämtliche Gesetzesinitiativen mit dem Ende der Legislaturperiode beendet sind und in der neuen Legislaturperiode wieder neu in den Bundestag eingebracht werden müssen. Ob das geschieht, hängt davon ab, wie die neue Bundesregierung aussehen wird.
Gibt es wenigstens Teilaspekte, die der Bundestag und das Bundeslandwirtschaftsministerium vor dem 23. Februar noch umsetzen können?
Der Bundestag könnte die Novellierung des Tierschutzgesetzes tatsächlich noch verabschieden. Dazu bedarf es jedoch einer parlamentarischen Mehrheit. Wir haben an die Fraktionsspitzen sowie den Bundeskanzler appelliert, den Entwurf noch zur Abstimmung zu stellen. Die Chancen sind jedoch denkbar gering, noch eine Mehrheit für den Entwurf zu finden. Das Bundeslandwirtschaftsministerium kann durchaus noch tätig werden, indem es Verordnungen auf den Weg bringt, etwa eine Heimtierschutzverordnung oder Änderungen der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung. Diese könnten ohne die Zustimmung des Bundestages im Kabinett verabschiedet werden, benötigten dann aber die Zustimmung des Bundesrates.
Wie blicken Sie auf die vorgezogene Bundestagswahl?
Der Wahlkampf wird kurz und intensiv werden. Es zeichnet sich ab, dass die Parteien vor allem wirtschaftspolitische Themen in den Mittelpunkt stellen werden. Wir werden als Deutscher Tierschutzbund intensiv dafür kämpfen, dass eine neue Bundesregierung endlich begreift, dass das Staatsziel Tierschutz in Artikel 20a des Grundgesetzes jegliches staatliches Handeln, also auch insbesondere und vor allem die Gesetzgebung und die vollziehende Gewalt, verpflichtet, den Schutz der Tiere zur Grundlage zu haben. Wir schreiben am Wahltermin das Jahr 2025. Es darf und kann nicht sein, dass unsere Gesetze Tiere nach wie vor als Wirtschaftsgüter und Produktionsmittel der Landwirtschaft betrachten, dass Tiere in Tierversuchen gequält oder unter schrecklichen Bedingungen transportiert und geschlachtet werden. Unsere Gesellschaft ist längst deutlich weiter, sie fordert einen ethischen Umgang mit Tieren als gleichwertige Mitgeschöpfe, die vor Leiden, Schaden, Schmerz und Angst unter allen Umständen zu schützen sind. Leider hinkt die politische Debatte dieser ethisch begründeten gesellschaftlichen Entwicklung um 25 Jahre hinterher. Wir werden das thematisieren und eine laute und entschiedene Stimme für die Tiere sein.
Welche Forderungen geben Sie den Parteien und einer künftigen Regierungskoalition mit auf den Weg?
Unser Präsident Thomas Schröder greift die ethische Debatte in der Gesellschaft immer wieder auf, indem er die ethische Grundfrage stellt: Darf erlaubt sein, was nicht verboten ist? Unsere Gesellschaft entwickelt sich stetig weiter, unsere ethische Überzeugung vom Umgang mit Tieren ebenfalls. Die Selbstverständlichkeit, mit der Tiere in den vergangenen Jahrzehnten in einer industriellen Landwirtschaft in gewaltigen Mengen gemästet, transportiert und geschlachtet werden, ist einer neuen Überzeugung gewichen. Die Menschen hinterfragen diesen Umgang mit Tieren nicht nur, sie lehnen ihn ab. Jede Partei muss sich dazu bekennen, wie sie den Umgang mit Tieren künftig bewertet. Wer sich nicht klar dazu bekennt, den Tierschutz als eine zentrale gesellschaftliche Frage anzuerkennen, wird von uns Tierschützer*innen keine Stimme bekommen.
Berlin – Bei einer Protestaktion vor dem Paul-Löbe-Haus, in dem unter anderem die Bundestagsausschüsse tagen, hat der Deutsche Tierschutzbund zusammen mit Vertreter*innen seiner Landestierschutzverbände und anderer Tierschutzorganisationen im September Flagge gezeigt. Angesichts eines zu schwachen Entwurfs für ein neues Tierschutzgesetz erinnerten sie an das Staatsziel Tierschutz im deutschen Grundgesetz und forderten Nachbesserungen. Die Protestaktion stand unter dem Motto „Tiere schützen, nicht verraten. Neues Tierschutzgesetz – jetzt“, das der Deutsche Tierschutzbund auch als Motto für den Welttierschutztag am 4. Oktober ausgerufen hatte, um sich für die Tiere stark zu machen.