Autor: Verena Jungbluth, Chefredakteurin DU UND DAS TIER
Für uns in Deutschland ist die Situation in der Ukraine gerade unvorstellbar. Seit drei Jahren leben die Menschen und Tiere dort im Krieg. Ängste und Sorgen sind fester Bestandteil des Alltags, falls man diesen überhaupt so nennen kann, und unzählige von ihnen haben kein Zuhause mehr. Es gibt keine Familie, die nicht irgendeinen geliebten Menschen an der Front weiß oder bereits verloren hat. Laut Zählungen des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte (OHCHR) hat der Krieg bis zum 31. Dezember 2024 bereits mindestens 12.456 Todesopfer in der ukrainischen Zivilbevölkerung gefordert, darunter mindestens 669 Kinder. Mehr als doppelt so viele Menschen wurden verletzt. Zusätzlich zu all diesen Betroffenen zählt der Krieg unzählige tierische Opfer. Die Tierliebe der Ukrainer*innen ist im ganzen Land sichtbar – sie endet auch dann nicht, wenn das eigene Leben in Gefahr ist.
Die Mitarbeiter*innen im Tierschutzzentrum Odessa des Deutschen Tierschutzbundes wissen, wovon sie sprechen. Seit über drei Jahren versuchen sie, ihre Arbeit unter den widrigen Bedingungen des Krieges mit aller Kraft aufrechtzuerhalten. „Die Tiere brauchen uns gerade jetzt. Um nicht zu sagen, sie brauchen uns mehr als je zuvor“, sagt Irina Naumova, Leiterin des Zentrums. Seit Kriegsbeginn hat sie sich gemeinsam mit ihrem Team um fast 1.447 Hunde und über 3.048 Katzen gekümmert. Sie versorgt, als sie in Not waren, und damit ihr Leben gerettet. Gleichzeitig steht die Kastration von Straßenhunden und -katzen nach wie vor im Mittelpunkt der Arbeit, um zu verhindern, dass die unkontrollierte Vermehrung auf den Straßen Odessas wieder Fahrt aufnimmt. Denn das Leben der frei lebenden Tiere ist von großem Leid geprägt. Allein 2024 ist es dem Team gelungen, 1.520 Tiere zu kastrieren. Und das, obwohl gerade im letzten Jahr immer wieder vermehrt Angriffe auf Odessa stattgefunden haben, bei denen teils auf die zivile Infrastruktur gezielt wurde und es auch Tote und Verletzte gab. „Als Folge kam es in der Stadt immer wieder zu Ausfällen von Strom, Heizung, Telefon- und Internetnetzen“, erzählt Naumova. „Zum Glück leistet der 2023 vom Deutschen Tierschutzbund angeschaffte Generator weiterhin gute Arbeit und ermöglicht es uns, auch unter diesen Bedingungen weiterzumachen.“ Allerdings mit deutlich weniger Personen als noch vor dem Krieg. Denn es ist gerade unmöglich, männliche Mitarbeiter zu finden, und auch Frauen, die die Zeit und Kraft haben, gibt es kaum. Die Tatsache, dass es weniger helfende Hände gibt, ist insofern besonders prekär, als dass sich die Lage der Tiere im Land verschlechtert.
„Wir sehen immer mehr Hunde, um die sich niemand mehr kümmert“, sagt Naumova. Die Gründe dafür sind vielfältig: Tiere verlieren gemeinsam mit ihren Halter*innen ihr Zuhause, laufen in Panik weg oder werden ausgesetzt, weil ihre Besitzer*innen sie auf der Flucht nicht mitnehmen können oder in den Kriegsdienst müssen.
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Es muss für viele dieser Menschen unerträglich sein, ihre Tiere so zurückzulassen. Dass die allermeisten von ihnen das nicht freiwillig machen, zeigt der Fall von Mops Riki. Sein Besitzer kam Ende Januar ins Tierschutzzentrum und bat darum, den Hund dort aufzunehmen, weil er an die Front müsse. „Er wollte, dass der Hund bei uns bleibt, bis er zurückkommt. Unser Tierarzt hat ihm erklärt, dass das leider nicht geht“, erzählt Naumova bedrückt. Denn die sehr begrenzten warmen Plätze im Zentrum werden benötigt, um kranke oder frisch operierte Tiere unterzubringen. Wenn diese von ehemaligen Besitzer*innentieren besetzt sind, können keine Kastrationen oder medizinischen Behandlungen mehr durchgeführt werden. So muss das Zentrum schwierige Entscheidungen treffen. Der Mann ist dann weggefahren, hat den Hund in der Nähe angebunden und den Tierschützer*innen keine Wahl gelassen. „Natürlich haben wir ihn aufgenommen. Er ist über zehn Jahre alt, sieht schlecht, ist sehr lieb und menschenfreundlich.“ Doch nicht alle Tiere haben so ein Glück. Und die Tatsache, dass es immer mehr von ihnen auf den Straßen gibt, führt zu Problemen. „Gerade bei Hunden, die bis vor kurzem noch ein Zuhause hatten, müssen wir davon ausgehen, dass sie für den hohen Infektionsdruck auf der Straße noch weniger gewappnet sind als dort aufgewachsene Tiere. Auch die Fähigkeiten, um dort überleben zu können, fehlen ihnen“, sagt Luca Secker, Referentin für Heimtiere des Deutschen Tierschutzbundes, die das Zentrum von hier aus betreut. „Um direkt einzugreifen und präventiv zu verhindern, dass die Tiere krank werden, haben wir unser Team in Odessa letztes Jahr immer wieder beim Kauf von Parasitenmitteln bezuschusst, die über das über jahrzehntelang aufgebaute Futterstellennetzwerk verteilt wurden“, so Secker. „Neben der Kastration der Tiere ist eine gesunde Population der Straßenhunde unser Ziel.“ So stellt der Deutsche Tierschutzbund auch immer wieder Futter bereit, da sich die Futterstellenbetreiber*innen dieses oft nicht mehr leisten können.
Zudem konnten im Zentrum mit der Unterstützung des Verbandes vier neue Ausläufe mit witterungsfesten Hundehütten, Sichtschutz und Beschäftigungsmöglichkeiten für die Tiere gebaut werden, die längerfristig in der Obhut der Tierschützer*innen leben. Auch Wege und weitere Hundehäuser wurden saniert. „Die Vermittlungschancen von Hunden sind jetzt natürlich schlecht. Hinzu kommt, dass viele ehemalige Straßentiere sich zum Beispiel in geschlossenen Räumen nicht wohlfühlen“, so Secker. „Außerdem können viele Hunde nicht mehr freigelassen werden, weil sie zum Beispiel aufgrund der Folge von Verletzungen auf der Straße nicht überleben würden.“ Doch der Deutsche Tierschutzbund unterstützt nicht nur sein eigenes Zentrum. So hat der Verband 2024 über 100.000 Euro an geprüfte ukrainische und deutsche Tierschutzvereine verteilt, damit diese Tiere vor Ort medizinisch behandeln sowie kastrieren und Fahrzeuge kaufen können, die den weiteren Tierheimbetrieb sichern oder um Tiere von der Front evakuieren. Hierzulande werden ukrainische Flüchtlinge bei der tierärztlichen Versorgung ihrer mitgebrachten Tiere unterstützt. „Dass wir langfristig und nachhaltig helfen, ist eines unserer Markenzeichen“, so Secker. Das zeigt auch das Engagement in der Taskforce Ukraine der Eurogroup for Animals. Darin setzt der Deutsche Tierschutzbund gemeinsam mit anderen Organisationen nicht nur direkte Hilfsmaßnahmen um, sondern tritt auch für die Anpassung der ukrainischen Tierschutzstandards an europäisches Recht innerhalb des EU-Beitrittsprozess der Ukraine ein.