Wenn Schafe auf der Weide leiden

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Wenn Schafe auf der Weide leiden

Die Haltung von Schafen gilt als wenig problematisch. Doch auch wenn Schafherden viel Zeit auf Weiden und Deichen verbringen, kommt es durch falsche Fütterung oder unzureichenden Witterungsschutz immer wieder zu Missständen – nicht zuletzt, weil es in Deutschland bis heute keine gesetzlichen Vorgaben zur Haltung dieser Tiere gibt.

  • Autor: Nadine Carstens, Redakteurin DU UND DAS TIER

Bei Schafen haben die meisten von uns idyllische Bilder vor Augen – von grasenden Herden auf saftig-grünen Weiden und Deichen, von Tieren, die sich frei bewegen und wie seit Jahrhunderten natürliche Landschaftspflege betreiben, und von zahlreichen niedlichen Lämmern, die fröhlich nach ihren Müttern rufen. Anders als bei Rindern, Schweinen, Hühnern und Puten, die ihr Dasein meist dicht an dicht eingepfercht in engen, dunklen Ställen fristen und weder Tageslicht noch natürliche Landschaften kennenlernen dürfen, denken viele Menschen, dass es Schafen im Vergleich viel besser geht. Doch auch wenn diese die meiste Zeit ihres Lebens im Freien verbringen, sind Missstände in der Haltung des ältesten Haustiers des Menschen bei Weitem keine Seltenheit. Immer wieder kommt es vor, dass Halter*innen ihre Schafe vernachlässigen, sie leiden und qualvoll sterben.

Verhungerte Schafe, erfrorene Lämmer

Schlagzeilen machte beispielsweise ein schrecklicher Fall in der hessischen Kleinstadt Witzenhausen. Am Neujahrstag 2024 fanden Zeug*innen dort 17 tote Schafe auf einer Weide. 30 weitere verstorbene Tiere hatte ihr Halter offenbar im näheren Umfeld entlang von Bahngleisen versteckt, wie sich herausstellte. All diese 47 Tiere waren allem Anschein nach elendig verhungert. Die übrigen Schafe des Mannes brachten die Polizei und das Veterinäramt im ausgehungerten Zustand in die Obhut eines anderen Schäfers, doch für zehn dieser Tiere kam die Hilfe zu spät – sie starben ebenfalls kurze Zeit später. Der Halter war dem Veterinäramt zwar bereits bekannt. Aber die Weide, auf der seine verendeten Schafe gefunden wurden, hatte er der Behörde anscheinend verheimlicht. Was auch immer der Grund für sein Verhalten war – die Konsequenzen mussten die Schafe tragen. Es handelt sich dabei keineswegs um einen Einzelfall. Im Kreis Sömmerda in Thüringen zum Beispiel rettete die Polizei im Januar 2024 rund 200 Schafe von einer Weide, darunter zahlreiche Lämmchen. Zuvor hatte das örtliche Veterinäramt bei einer Kontrolle bereits mehrere Lämmer auf der Weide vorgefunden, die während des tagelang anhaltenden Frostes gestorben waren. Der zuständige Landwirt weigerte sich dennoch, seine restliche Herde in den Stall zu bringen, sodass die Polizei einschreiten musste.

Besondere Anforderungen im Winter

„Keine bedarfsgerechte Fütterung und ein nicht ausreichender Witterungsschutz sind häufig Gründe für Missstände in der Schafhaltung – diese treten vor allem im Winter zu Tage“, erläutert Kathrin Zvonek, Referentin für Interdisziplinäre Themen beim Deutschen Tierschutzbund. „Grundsätzlich kommt die ganzjährige Weidehaltung den Bedürfnissen von Schafen sehr entgegen, allerdings müssen die Halter*innen dann auch besondere Anforderungen erfüllen.“ Je nach Witterung bietet die Winterweide zum Beispiel keine ausreichende Nahrungsgrundlage mehr. Schäfer*innen müssen ihren Tieren dann rechtzeitig zusätzliches Futter anbieten, so die Expertin. Viele von ihnen kämen dieser Verantwortung jedoch nicht nach, sagt Zvonek. „Auch das Zufüttern auf der Weide sollte nur unter hygienischen Bedingungen, am besten in überdachten Heuraufen, erfolgen.“ Häufig fehlt den Tieren zudem der lebensnotwendige Zugang zu sauberem Trinkwasser. „Auf der Weide ist es schwierig, die Schafe jederzeit mit Wasser zu versorgen – oft ist das nur mithilfe von Wasserkanistern oder -eimern möglich, die unter Umständen aber einfrieren oder verschmutzen“, berichtet Zvonek. Halter*innen müssen daher größeren Aufwand betreiben, um solche Probleme zu verhindern.

„Vor allem für neugeborene Lämmer sind winterliche Temperaturen gefährlich – sie haben noch nicht genug Wolle und zu wenig Fettreserven.“

– Kathrin Zvonek

Eine weitere Herausforderung stellt auch der Witterungsschutz dar. Im Sommer benötigen Schafe Schatten und Schutz vor länger anhaltendem Regen. Bäume und Büsche reichen dafür in viele Fällen nicht aus, so Zvonek. „Um ihre Schafe zu schützen, müssen Halter*innen unter anderem auch die Größe der Herde, einen Wechsel der Windrichtung und Veränderungen des Sonnenstandes im Laufe des Tages berücksichtigen.“ Im Winter ist wiederum die nasskalte Witterung häufig ein Problem – wird ihr Vlies, wie die dichte Wolle der Schafe genannt wird, zu nass, isoliert es sie nicht mehr ausreichend, sodass die Kälte durchdringt und die Tiere schnell frieren. „Vor allem für neugeborene Lämmer sind winterliche Temperaturen gefährlich – sie haben noch nicht genug Wolle und zu wenig Fettreserven“, schildert Zvonek. Die Kälte wird den Kleinen dann schnell zum Verhängnis – genau wie im beschriebenen Fall im Kreis Sömmerda. Die Situation ließe sich jedoch vermeiden: „Schäfer*innen müssten die Trächtigkeiten der Mütter so planen, dass ihre Lämmer nicht genau in den Wintermonaten zur Welt kommen“, so Zvonek. Außerdem benötigen die Herden einen Stall oder zumindest mobile Unterstände, damit sie sich bei Kälte zurückziehen können.

Keine bindenden Gesetzesvorgaben

Besonders ausschlaggebend für zahlreiche Missstände in der Schafhaltung sind die fehlenden gesetzlichen Vorgaben. Auch wenn die Schafe uns Menschen seit etwa 11.000 Jahren als erste domestizierte Tiere begleiten, gibt es in Deutschland bis heute keine gesetzlichen Grundlagen für diese Tierart – und somit auch keine ausreichende Orientierung und Regelungen für Halter*innen und Veterinärbehörden. Es existieren lediglich allgemeine Vorschriften des Tierschutzgesetzes sowie der sogenannten Tierschutznutztierhaltungsverordnung, verschiedene Merkblätter und Empfehlungen zur Schafhaltung – etwa von dem niedersächsischen Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, von der Deutschen Veterinärmedizinischen Gesellschaft und der Tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz – sowie die Europaratsempfehlungen zur Schafhaltung. „Diese Empfehlungen widersprechen sich allerdings teilweise und beinhalten schwammige Formulierungen, die jede Menge Interpretationsspielraum lassen“, kritisiert Zvonek. Die Tierschutznutztierhaltungsverordnung verpflichtet die Schafhalter*innen zwar dazu, den Zustand ihrer Tiere mindestens einmal täglich zu kontrollieren. „Spätestens in diesem Rahmen müssten Tierschutzprobleme wie Kältestress, mangelhafte Futtergrundlage oder Verletzungen auffallen“, so die Expertin. „Viele Schafhalter*innen besitzen jedoch mehrere Herden an verschiedenen, teilweise schwer zugänglichen Standorten, weshalb die regelmäßige Kontrolle ihrer Tiere mit mehr Aufwand verbunden ist.“ Während also bei der früher üblichen Wanderschäferei die Halter*innen ihre Tiere ständig begleiteten und beobachteten, somit also auch Hinweise auf Erkrankungen oder Verletzungen schneller erkennen konnten, können Schäfer*innen heute meist nicht mehr ganztägig in der Nähe ihrer Tiere sein.

Auch wenn die Schafe uns Menschen seit etwa 11.000 Jahren als erste domestizierte Tiere begleiten, gibt es in Deutschland bis heute keine gesetzlichen Grundlagen für diese Tierart.

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Ohnehin haben sich die Bedingungen für Halter*innen erschwert. Tatsächlich ist die Zahl der in Deutschland gehaltenen Schafe seit Jahren rückläufig. Während sie im Jahr 2000 bei noch rund 2,7 Millionen Schafen lag, waren es 2023 nur noch etwa 1,6 Millionen – die meisten von ihnen leben in Bayern, Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein. Der Grund für den Rückgang ist, dass sich die wirtschaftliche Situation von Schafhalter*innen verschlechtert hat. „Früher war Wolle noch eine wichtige Einnahmequelle: Die Tiere wurden lange Zeit darauf gezüchtet, möglichst viel Wolle zu tragen“, berichtet Zvonek. Heutzutage spiele Wolle jedoch keine Rolle mehr als Einnahmequelle, da die Kosten für die Schur mittlerweile meistens höher sind als der Erlös durch den Verkauf der einst so begehrten Tierfaser. Inzwischen verdienen Schäfer*innen am meisten mit dem Fleisch ihrer Lämmer. „Es handelt sich dabei um ein saisonales Geschäft mit Vermarktungsspitzen zu Ostern und Weihnachten – allein 2023 wurden in Deutschland mehr als eine Million Schafe geschlachtet“, so Zvonek.

Unsere Forderungen

Heute ist es noch immer gesellschaftlich akzeptiert, dass der Mensch Schafe für ihr Fleisch, ihre Wolle und zur Landschaftspflege hält. Solange das der Fall ist, sollten die Schafe in unserer Obhut wenigstens so artgerecht wie möglich leben. Die meisten Schafhalter*innen möchten durch die ganzjährige Weidehaltung sicherstellen, dass sie den natürlichen Bedürfnissen ihrer Tiere nachkommen und es ihnen gut geht. Die Politik sollte sie dabei unterstützen und ihnen mithilfe konkreter Gesetzesvorgaben Sicherheit und Orientierung geben. Es wäre daher ein wichtiger Schritt, die Tierschutznutztierhaltungsverordnung zu aktualisieren und tierschutzgerechte Anforderungen an die Schafhaltung auszuarbeiten.

 

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