Queere Tiere – So bunt wie das Leben

Aus dem Print-Magazin

Queere Tiere – So bunt wie das Leben

Ob Löwen, Albatrosse, Schafe oder Delfine – diese und viele weitere Tiere leben in den verschiedensten Formen von Partnerschaft und Nähe. Vorurteile sind ihnen genauso fremd wie normative Zwänge. So zeigt uns die Tierwelt auf eindrucksvolle Weise, wie natürlich Diversität ist.

  • Autor: Verena Jungbluth, Chefredakteurin DU UND DAS TIER

Wie schön ist die Vorstellung von einer Welt, in der Menschen andere Menschen einfach so akzeptieren, wie sie sind. Eine Welt, in der alle Farben und Formen von Liebe respektiert werden und einfach wertgeschätzt wird, dass das Leben bunt ist. Ein Blick in die Tierwelt reicht, um zu erkennen, dass Queerfeindlichkeit, Homophobie und Intoleranz im Hinblick auf verschiedene Lebensentwürfe ein menschengemachtes Problem sind. Jeden Tag werden Menschen, die in gleichgeschlechtlichen oder polyamoren Beziehungen leben, sich als bisexuell oder transgender outen, in unserer Gesellschaft angefeindet und ausgegrenzt. Tiere hingegen kennen keine Vorurteile oder normativen Zwänge – was ihre Welt echt, einzigartig und lebendig macht.

Bonobos sind nicht nur für ihr tolerantes Zusammenleben, sondern auch für ihr vielfältiges und ausgeprägtes Sexualverhalten bekannt.

Bonobos sind nicht nur für ihr tolerantes Zusammenleben, sondern auch für ihr vielfältiges und ausgeprägtes Sexualverhalten bekannt.

Gleichgeschlechtliche Liebe unter Tieren ist völlig normal

Ein Beispiel für queere Liebe sind ganz besondere Partnerschaften auf Hawaii. Dort leben weibliche Laysan-Albatrosse als Paare zusammen und bauen, nach einer einmaligen Befruchtung durch einen männlichen Artgenossen, gemeinsam Nester und ziehen ihre Küken liebevoll groß. Manchmal lassen sich auch beide befruchten und ziehen zwei Jungtiere gleichzeitig auf. Jedes Jahr finden sie sich wieder zusammen, um diese enge Beziehung einzugehen, und bleiben ihr Leben lang Teil dieser stabilen, emotionalen Partnerschaft. „Diese Bindungen brechen mit der traditionalistischen Vorstellung von ‚natürlichen‘ Verbindungen im Tierreich, die rein auf dem Konstrukt von Sexualität zwischen Weibchen und Männchen mit dem Ziel der Fortpflanzung fußen“, sagt Melanie Thill, Referentin für EU-Politik beim Deutschen Tierschutzbund. „Das Beispiel zeigt außerdem, dass emotionale Bindungen und die daraus entstehenden sozialen Strukturen im Tierreich ebenfalls wichtig sind – und relativiert die Bedeutung des sexuellen Aktes für langfristige und bedeutsame Beziehungen.“

„Die Argumentation von Evolutionsbiolog*innen ist oftmals sexistisch, patriarchal und imperialistisch. Sie klammern alle intergeschlechtlichen, homo- und asexuellen Menschen genauso aus wie Geschlechtsidentitäten.“

– Luca Secker

Auch männliche Königspinguine in der Antarktis gehen gleichgeschlechtliche Partnerschaften ein, tanzen gemeinsam, suchen unter tausenden Artgenossen genau nach diesem einen Partner, brüten verlassene Eier aus, ziehen Küken groß und leisten so einen wichtigen Teil zum Erhalt der Art. Zur gleichen Zeit kuscheln, schmusen und lecken sich männliche Löwen in Afrika über das Fell und führen Beziehungen, die über ein rein freundschaftliches Verhältnis hinausgehen. In Junggesellengruppen erfahren die jungen Löwen nicht nur Schutz, Freundschaft und Bindung, sie können darin auch vielfältige sexuelle Verhaltensweisen ausleben und erhöhen durch den Gruppenzusammenhalt ihre Überlebenschance in der Wildnis. Tatsächlich verbringen die meisten männlichen Löwen auf diese Art und Weise den größten Teil ihres Lebens. „Bis heute wird das oft als reines Dominanzverhalten, als Rangordnungskampf oder Aggressionsabbau ausgelegt“, sagt Katrin Pichl, Referentin für Wildtiere beim Deutschen Tierschutzbund. „Viel zu selten wird darüber gesprochen, dass Löwen dieses Verhalten auch aus Freude, Erregung und Zuneigung zu gleichgeschlechtlichen Tieren zeigen.“

Nordamerikanische Dickhornschafe gelten als die queeren Tiere schlechthin. Etwa 70 Prozent der frei lebenden dominanten Widder decken zwar weibliche Tiere, haben aber auch regelmäßig gleichgeschlechtlichen Sex.

Nordamerikanische Dickhornschafe gelten als die queeren Tiere schlechthin. Etwa 70 Prozent der frei lebenden dominanten Widder decken zwar weibliche Tiere, haben aber auch regelmäßig gleichgeschlechtlichen Sex.

Von Liebe und Familie in all ihren Formen

Während weibliche Javaner-Affen in Japan in stabilen gleichgeschlechtlichen Beziehungen leben, den Tag mit ihren Partnerinnen verbringen und so zahlreiche Orgasmen genießen, gelten nordamerikanische Dickhornschafe als die queeren Tiere schlechthin. Etwa 70 Prozent der frei lebenden dominanten Widder decken zwar weibliche Tiere, haben aber auch regelmäßig gleichgeschlechtlichen Sex. Zusätzlich gibt es in den Herden unterwürfige Widder, die zwar männliche Geschlechtsausprägungen aufweisen, im Gegensatz zu den dominanten Tieren aber kaum Kampf- und Balzverhalten zeigen, sich genau wie die Weibchen nur an drei Tagen im Jahr mit männlichen Tieren paaren und hockend statt stehend urinieren – sich also grundsätzlich weiblich verhalten und nicht dem Bild von einem klassischen männlichen Schaf entsprechen. Mindestens acht Prozent der Böcke haben ausschließlich Interesse an männlichen Artgenossen. Wiederkäuer wie Ziegen und Rinder zeigen ein ähnliches Verhalten. In allen Sozialverbänden gibt es Bisexualität und gleichgeschlechtliche sexuelle Verhaltensweisen. So ist es völlig normal, dass weibliche Rinder sich während der Brunst gegenseitig besteigen. Zusätzlich gibt es rein homosexuelle Widder, Bullen und Bisons sowie intersexuelle Schafe und Bergziegen. Eine weitere Seite von Sexualität können wir bei unseren nächsten Verwandten, den Bonobos beobachten. Denn sie sind nicht nur für ihr tolerantes Zusammenleben, sondern auch für ihr vielfältiges und ausgeprägtes Sexualverhalten bekannt – zwei Dinge, die aller wissenschaftlichen Erkenntnis nach eng zusammenhängen. Bonobos haben mehrfach am Tag Sex mit verschiedenen Partnern unterschiedlicher Geschlechter. „Diese (bi)sexuellen Interaktionen dienen als Komfortverhalten, aber auch als Lösung bei Konflikten und stellen die Rangordnung her“, sagt Pichl. Dabei haben die Weibchen den häufigsten Sex und reiben auch ihre Geschlechtsregionen aneinander, was dem Abbau von Spannungen und einer stabilen Gruppendynamik dient. „Durch dieses Verhalten verbinden sie sich stärker miteinander und können sich dadurch gemeinschaftlich als Einheit gegen die Männchen wehren.“ Außerdem wird vermutet, dass der häufige Sex der Bonobos der Grund dafür ist, dass die Gruppen stabiler, friedlicher und konflikttoleranter sind als bei anderen Affenarten.

Delfine führen enge Freundschaften, die auch bisexueller Natur sein können.

Delfine führen enge Freundschaften, die auch bisexueller Natur sein können.

Queerness unter Wasser

Auch das Sexual- und Liebesverhalten unter Wasser ist bunt. Delfine, genauer gesagt Große Tümmler, haben ein ausgeprägtes Sozialleben, kümmern sich um Familienangehörige und kranke Artgenossen, ziehen ihren Nachwuchs gemeinsam groß und führen enge Freundschaften. Letztere können auch bisexueller Natur sein. Oft schließen sich zwei bis drei männliche Tiere zusammen, paaren sich zwar ab und an mit Weibchen, ziehen aber hauptsächlich als gleichgeschlechtliche Gruppe durch das Meer. Auch homosexuelle Paare, die ein Leben lang zusammenbleiben, sind keine Seltenheit. Die Weibchen der Großen Tümmler führen in ihren Familienverbänden nicht nur sehr enge Bindungen zu ihren Kälbern, sondern auch sexuelle Verbindungen zu ihren Artgenossinnen. „Bei Delfinen dient Sex nicht nur der Fortpflanzung, sondern ist oft ein vergnügliches, akrobatisches Spielverhalten“, so Nina Brakebusch, Referentin für Interdisziplinäre Themen beim Deutschen Tierschutzbund. Dass im Tierreich auch Geschlechter eine große Vielfalt aufweisen, zeigen Fische besonders eindrucksvoll. Hunderte Fischarten tragen beide Geschlechtsmerkmale in sich, können ihr Geschlecht wechseln, asexuell leben oder sich selbst befruchten. Von Putzerlippfischen, Aalen und Snooks über Wolfsbarsche und Grundeln bis hin zu Papageien- oder Clownfischen: Die Geschlechtsumkehr bei Fischen ist absolut üblich und ein wesentlicher Bestandteil der sozialen Dynamik der Gruppen sowie ein Merkmal der Anpassung an äußere Faktoren. „Von Fischen können wir lernen, wie normal es sein kann, das Geschlecht zu wechseln, flexibel in der Partnerwahl zu sein, gar keine Präferenz oder eben eine Existenz zu haben, die außerhalb von männlich und weiblich liegt.“

Auf Hawaii leben weibliche Laysan-Albatrosse als Paare zusammen und bauen, nach einer einmaligen Befruchtung durch einen männlichen Artgenossen, gemeinsam Nester und ziehen ihre Küken liebevoll groß.

Auf Hawaii leben weibliche Laysan-Albatrosse als Paare zusammen und bauen, nach einer einmaligen Befruchtung durch einen männlichen Artgenossen, gemeinsam Nester und ziehen ihre Küken liebevoll groß.

Es ist Zeit, umzudenken und alte Denkweisen zu hinterfragen

Maikäfer, Taufliegen und verschiedene Schmetterlingsarten beweisen darüber hinaus, dass die Aktivitäten zwischen gleichgeschlechtlichen Tieren nicht auf Wirbeltiere beschränkt ist. Auch wenn die meisten Tierdokus sie aufgrund menschengemachter Zwänge in der Regel nicht
zeigen. Es gibt unzählige weitere Beispiele aus dem Tierreich, die uns verdeutlichen: Liebe, Sexualität und Geschlechtsidentität sind so vielfältig wie die Arten selbst. Doch trotz all dieser Erkenntnisse geht die Evolutionsbiologie bis heute davon aus, dass es eine strenge Zweiteilung von nur zwei Geschlechtern gibt, die ausschließlich der Fortpflanzung dient. Sie versucht nach wie vor, hochkomplexe Verhaltensweisen einzig und allein auf Grundlage der Biologie zu erklären – auch bei uns Menschen. „Dabei wird völlig verkannt, dass wir soziale Kulturwesen sind, die nicht nur durch ihre Biologie gesteuert werden“, sagt Luca Secker, Referentin für Heimtiere beim Deutschen Tierschutzbund. „Die Argumentation von Evolutionsbiolog*innen ist oftmals sexistisch, patriarchal und imperialistisch. Sie klammern alle intergeschlechtlichen, homo- und asexuellen Menschen genauso aus wie Geschlechtsidentitäten.“ Dabei beweist die Natur jeden Tag aufs Neue, dass Diversität nicht nur Ausdruck von Liebe und Nähe, sondern auch eine erfolgreiche Strategie ist, die das Überleben ganzer Arten sichert. „Es ist an der Zeit, dass wir nicht mehr zulassen, dass starre, binäre Rollenbilder genutzt werden, um queerfeindliche, rassistische oder antifeministische Ideologien zu verbreiten.“ Die Welt des Tierreichs ist extrem komplex und vielfältig – die Welt ist queer und das ist gut so. Anstatt an altem Wissen, Mythen und diskriminierenden Fakten festzuhalten, sollten wir lernen, die Vielfalt der Lebewesen als das wahrzunehmen, was sie ist: eine Bereicherung. Und wenn wir uns gegenseitig akzeptieren, wird unsere Welt ein Ort sein, der nicht nur bunter, sondern auch freundlicher und friedlicher ist. Davon werden wir am Ende alle profitieren – die Tiere und wir.

Tipp
Wer mehr über das Thema erfahren möchte, der*dem empfehlen wir Eliot Schrefers Buch „Queer Ducks (and Other Animals): The Natural World of Animal Sexuality“ und die Arte-Doku „Queere Tiere – Mehr als Männchen und Weibchen“.

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