Autor: Joscha Duhme, Redakteur DU UND DAS TIER
Als die Ziege Lucy im Frühjahr zwei Zicklein auf die Welt bringt, erinnert nichts mehr an ihren schweren Weg. Mit sieben erwachsenen und acht jungen Ziegen ist sie im Spätsommer 2023 ins Tierschutzzentrum Weidefeld des Deutschen Tierschutzbundes an der Ostsee gekommen. Behörden hatten die bis auf die Knochen abgemagerten Tiere aus schlechter Haltung beschlagnahmt. Das erfahrene Team umsorgte sie umgehend und ausdauernd. Für zwei Jungtiere kam die Hilfe jedoch leider zu spät. Eines musste der Tierarzt einschläfern, weil es zu schwach angekommen war. Ein weiteres verstarb wenige Tage später trotz des intensiven Einsatzes. „Solche Momente gehen uns allen an die Nieren“, sagt Dr. Katrin Umlauf, Leiterin des Tierschutzzentrums.
Doch das Team ließ sich nicht unterkriegen und half den anderen Ziegen, sich nach und nach zu erholen. „Und bei Lucy, deren Rippen wie die der anderen Tiere hervortraten, fiel uns schnell ins Auge, dass ihr Bauch trotz allem rund war“, berichtet Umlauf. Die typische Bauchform verriet den Mitarbeiter*innen sofort, was auf sie zukommen würde, wenn es ihnen gelänge, Lucy durch den Winter zu bringen. Und das taten sie.
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Dank ihrer Pflege erholte sie sich von den Strapazen der früheren Haltung und die Geburt zweier männlicher Ziegenkitze verlief komplikationsfrei. „Lucy ist eine gute Mutter, die ihre Jungen fürsorglich betreut“, erklärt Umlauf. Die anderen beschlagnahmten Ziegen, die auf einer großen Koppel mit einem eigens für sie angeschafften Weidezelt leben, schauten immer wieder nach den Dreien in ihrem separaten Abteil des Ziegenzeltes. „So war Lucy nicht allein, musste aber auch nicht aufpassen, dass die neugierigen Herdenmitglieder ihrem Nachwuchs zu nahe kamen“, erläutert die Leiterin. Mittlerweile tollen Bibo und Tino mit ihrer Mutter und den anderen gemeinsam über die Wiesen auf dem ehemaligen Militärgelände. Fünf der Ziegen haben zudem ein neues Zuhause gefunden.
Das Tierschutzzentrum wird einerseits dann zum Zufluchtsort, wenn Tierheime wie bei den Ziegen Tieren schon aufgrund ihrer Anzahl keinen Platz bieten können. Es gibt ihnen und anderen Tieren zudem eine zweite Chance, wenn sie schwer vermittelbar sind, aus nicht artgerechter Haltung stammen und deren spezielle Haltungsansprüche in Gefangenschaft nur schwer zu erfüllen sind – etwa bei Reptilien, Affen, Papageien und Bären. Auch Hunde, Pferde, Waschbären und Schweine leben dort. Etwa 300 bis 400 Tiere sind es durchschnittlich. Thomas Schröder, Präsident des Deutschen Tierschutzbundes, ist stolz und bestürzt zugleich: „Jedes der Tiere steht für die Ignoranz der Menschen, sie ungeachtet ihrer arteigenen Bedürfnisse wie lebende Einrichtungsgegenstände zu halten. Und solange sich die Politik davor drückt, das Problem präventiv anzugehen, wird es eher größer als kleiner.“