Autor: Joscha Duhme, Redakteur DU UND DAS TIER
Als die Ampelkoalition im November zerbrach, hätte dies für Tierschützer*innen zu keinem schlechteren Zeitpunkt kommen können. Weil die damalige Regierung kurz davorstand, ein neues Tierschutzgesetz zu verabschieden, scheiterte mit ihrem Aus auch der Versuch, millionenfaches Tierleid zu verringern und das hart erkämpfte Staatsziel Tierschutz endlich politisch mit Leben zu füllen. Stattdessen: alles auf neu, alles auf Anfang. Am Ende eines kurzen Wahlkampfes, in dem Tierschutz keine nennenswerte Rolle spielte, traten Union und SPD in die Koalitionsverhandlungen ein. Sie versprachen zu liefern und legten letztlich einen Koalitionsvertrag vor, der dieses markige Versprechen nicht erfüllt. „Bis auf minimale Verbesserungen sind die Zusagen zum Tierschutz zu dünn. Vieles bleibt unkonkret, ist schwach formuliert oder lässt zu viel Spielraum“, sagt Thomas Schröder, Präsident des Deutschen Tierschutzbundes.
„Wir stellen die notwendigen Mittel für den tierwohlgerechten Stallbau auf Grundlage staatlicher Verträge dauerhaft bereit“, formulieren CDU, CSU und SPD im Koalitionsvertrag. Das ist grundsätzlich positiv zu bewerten. Denn die Gelder sind dringend nötig, damit mehr Landwirtinnen und Landwirte dem gesellschaftlichen Wunsch nach mehr Tierschutz nachkommen und den Schritt zu einer tiergerechteren Haltung gehen können. „Aber es ist noch nicht geklärt, woher das Geld kommen soll“, erklärt Schröder. In den Verhandlungspapieren steht eine Summe von 1,5 Milliarden Euro pro Jahr im Raum – aber eigentlich ist das Geld nicht für die Landwirtschaft gedacht. „Mit dem Sondervermögen für Infrastruktur, das der Bundestag aufgelegt hat, sollen nur Investitionen getätigt und keine laufenden Mehrkosten gedeckt werden. Daher bleibt ein großes Fragezeichen.“ Der Deutsche Tierschutzbund befürchtet zudem, dass Politik und Branchenverbände beim „Tierwohl“ in der landwirtschaftlichen Tierhaltung und den Kriterien dafür große Spielräume zulassen könnten. Dass die Regierung laut Vertrag lediglich prüfen will, ob die Videoüberwachung auf Schlachthöfen möglich ist, scheint dies zu bestätigen. „Die neue Regierung muss ein wirkliches Mehr an Tierschutz in den Ställen sicherstellen und Zeiträume und Kriterien für die Förderung definieren, damit die Betriebe Planungssicherheit haben“, so Schröder. Aus Tierschutzsicht geht das nicht, ohne die Tierzahlen auf den Höfen zu reduzieren.
Auch im Bereich der Heimtiere hat die Koalition einen auf den ersten Blick begrüßenswerten Plan in den Vertrag aufgenommen, der allerdings Fragen offenlässt: „Wir (…) verbieten den Handel mit Haus- und Heimtieren im öffentlichen Raum (unbeschadet Tierbörsen und -märkten) sowie anonym online.” Das geplante Verbot bewertet der Deutsche Tierschutzbund im Prinzip positiv. „Unklar ist jedoch, welche Art des Handels gemeint ist und welche Tiere genau unter dieses Verbot fallen sollen“, erklärt Schröder. Aus Tierschutzsicht darf es keine Ausnahmen umfassen – unabhängig davon, ob Verkäufer*innen gewerblich oder privat tätig sind. Und es muss für alle Arten gelten, auch für exotische Wildtiere, die nicht ausdrücklich erwähnt sind. „Nicht nachvollziehbar erscheint auch die Ausnahme für Tierbörsen und -märkte.“ Wenn sich das Verbot des Onlinehandels lediglich auf „anonyme“ Geschäfte bezieht, befürchtet der Verband nach wie vor Angebote durch Fake-Accounts. „Darum sollte die Bundesregierung den Handel von lebenden Tieren im Internet, mit Ausnahme von Tierschutztieren, grundsätzlich verbieten“, fordert Schröder. Die gesetzliche Regulierung müsse aber mindestens gewährleisten, dass sich Händler*innen verpflichtend und sicher identifizieren und dabei zum Beispiel nur gekennzeichnete und registrierte Hunde und Katzen anbieten dürfen. Auch der Verkauf von Wildtieren, Qualzuchten oder tierschutzwidrig amputierten Tieren darf nicht gestattet sein.
„Ausdrücklich anzuerkennen ist das Bekenntnis zu Investitionen in den praktischen Tierschutz“, hebt Schröder hervor. Denn die Regierung kündigt an, Tierheime zu unterstützen. Tierheime übernehmen immer mehr gesellschaftliche Aufgaben und sind vielerorts am Limit. Sie gehören zur kritischen Infrastruktur. „Hier braucht es mindestens die 80 Millionen Euro, die laut der Verhandlungsgruppen-Papiere der Verhandler*innen vorgesehen waren“, appelliert Schröder an die Verantwortlichen.
Größer als die Zahl der Themen, die es in den Koalitionsvertrag geschafft haben, ist die derer, die das Dokument außen vor lässt. „Dazu gehören drängende Themen wie etwa eine Kastrationspflicht für Freigängerkatzen aus Privathaushalten oder eine Kennzeichnungs- und Registrierungspflicht von Hunden und Katzen“, sagt Schröder. Zu einem Verbot der Anbindehaltung von Rindern oder von Tiertransporten in Drittstaaten außerhalb Europas bekennt sich die Bundesregierung ebenso wenig wie zu einer Reduktionsstrategie für Tierversuche, die die Ampelregierung in der vorigen Legislaturperiode angestoßen hatte.
„Es wird jetzt ein Kraftakt, eine Dynamik hin zu mehr Tierschutz zu entwickeln“, ist sich Schröder angesichts dieses Koalitionsvertrags bewusst. Sowohl für die Tiere in der Landwirtschaft und der Forschung als auch für Heim- und Wildtiere wird sich der Deutsche Tierschutzbund auch in dieser Legislaturperiode starkmachen. Alois Rainer, neuer Bundesminister für Landwirtschaft, Ernährung und Heimat, sowie seinen Staatssekretärinnen Silvia Breher und Martina Englhardt-Kopf hat der Verband bereits zum Einstieg viel Glück im Amt gewünscht und „das kritisch-konstruktive Gespräch“ angeboten, um im Tierschutz voranzukommen. Denn eines, so Schröder, ist im Sinne der Millionen Tiere klar: „Es darf keine Zeit verloren gehen.“