Für den Luxus gequält

Aus dem Print-Magazin

Für den Luxus gequält

Mit bis zu 600 Euro für 100 Gramm zählt Kaviar zu den teuersten Lebensmitteln der Welt. So schillernd und luxuriös das Image der Delikatesse ist, so dunkel und tierquälerisch läuft ihre Produktion ab. Die Störe, die ihre Eier für den Menschen hergeben müssen, sterben nach einem traurigen Leben einen qualvollen Tod.

  • Autor: Verena Jungbluth, Chefredakteurin DU UND DAS TIER

Einem Störweibchen werden mit einer Pinzette durch den geöffneten Bauch schwarze Eier entnommen

Bei der Schlachtung der Störweibchen werden zwischen 800.000 und drei Millionen Eier gewonnen.

Tagein, tagaus drehen sie ihre Runden und starren auf die leeren Wände der dunklen Tanks. Die Fische, genauer gesagt die Störe, deren auferlegte Aufgabe es ist, Kaviar für den Menschen zu liefern, führen ein unfassbar trauriges Leben. Die Tiere vegetieren Jahre, zum Teil Jahrzehnte in meist unstrukturierten, reizarmen Becken mit oft minderwertiger Wasserqualität vor sich hin und sind dort zu einem Leben in Monotonie gezwungen. Die Langeweile der scheinbar niemals endenden Tage und Nächte wird zu Lebzeiten „nur“ durch Rangkämpfe unterbrochen – die Belastung für die Störe ist enorm. Denn die faszinierenden Tiere, die seit über 200 Millionen Jahren die Meere, Flüsse und Seen unseres Planeten bevölkern, sind in der Natur überwiegend als Einzelgänger unterwegs. In den Becken von intensiv geführten Aquakulturen sind sie hingegen mit viel zu vielen Tieren auf viel zu kleinem Raum untergebracht. Der unvermeidbare Kontakt zu den Artgenossen stresst die intelligenten Störe immens. In der Natur würden die Knochenfische zudem Strecken von tausenden Kilometern zurücklegen.

Deutschland bei Produktion weit vorn

Viele Arten kommen im Süßwasser zur Welt, wandern in ihrer Jugend in die Weiten der Meere und schwimmen zur Fortpflanzung wieder zurück zu ihrem Geburtsort. „In den Aquakulturen können sie nicht mal die wesentlichsten arteigenen Bedürfnisse und Verhaltensweisen ausleben“, kritisiert Katrin Pichl, Referentin für Wildtiere beim Deutschen Tierschutzbund. Da der Mensch die frei lebenden Störe bereits nahezu ausgerottet hat, stammt Kaviar heute fast ausschließlich aus solchen Zuchtfarmen. „Seit 1998 stehen alle Störarten der Ordnung Acipenseriformes spp. weltweit unter dem Schutz des Washingtoner Artenschutzabkommens (CITES), ihr Fang ist seit 2008 verboten und auch der Handel mit Kaviar aus Wildfang ist heute bis auf wenige Ausnahmen nicht mehr legal möglich“, so Pichl. So hat allein Deutschland 2023 laut Statistischem Bundesamt in 36 Aquakulturbetrieben 104.655 Kilogramm Kaviar erzeugt. Damit gehört die Bundesrepublik innerhalb der EU mit Italien, Frankreich und Polen zu den Hauptproduzent*innen. Auch was den Konsum angeht, haben die Deutschen die Nase in Europa weit vorn: Nach Frankreich liegen sie auf Platz zwei.

2023 hat allein Deutschland 104.655 Kilogramm Kaviar erzeugt. Damit gehört die Bundesrepublik innerhalb der EU mit Italien, Frankreich und Polen zu den Hauptproduzent*innen.

Weibliche Störe sterben auf Raten

Allen Aquakulturen ist gemein, dass die Fische darin auf irgendeine Art und Weise leiden – durch das nicht erfüllte Bewegungsbedürfnis, den Stress oder den schmerzvollen Transport und Tod am Ende ihres Lebens. Beim Stör kommen die Schritte der Produktion des Kaviars hinzu. Als Kaviar werden hauptsächlich die unbefruchteten, unreifen Eier, der sogenannte Rogen, verschiedener Störarten bezeichnet. Es landen auch Eier anderer Fischarten auf den Tellern, zum Beispiel der „Deutsche Kaviar“ von Seehasen oder der „Isländische Kaviar“ von Kapelanen. Doch lediglich die Störeier dürfen als „Echter Kaviar“ vermarktet werden, die des Beluga-Störs sind die teuersten. Da nur die unreifen Eier wegen der sie umgebenden Blutgefäße und Follikelzellen stabil genug sind, um durch den Prozess der Reinigung und Verarbeitung nicht zerdrückt zu werden, wird Kaviar fast ausschließlich durch die Schlachtung weiblicher Tiere gewonnen. „Die Tiere werden normalerweise durch einen Schlag auf den Kopf betäubt, durch Blutentzug getötet und die Rogensäcke anschließend entnommen“, erklärt Pichl. Gerade erst hat ein Whistleblower von Animal Justice inkognito bei einer Kaviarfarm in Kanada gearbeitet, die zertifizierten biologischen sowie nachhaltigen weißen Stör- und Lachskaviar produziert – und mithilfe einer versteckten Kamera erschreckende Bilder an die Öffentlichkeit gebracht. So beobachtete er unter anderem Fische, die zur Betäubung in Eiswasser gelegt wurden. Dies führt jedoch nicht zu einer Betäubung, sondern zu einem qualvollen Sterbeprozess, der sich über Stunden hinweg ziehen kann. Viele Fische versuchten demnach verzweifelt, dem kalten Wasser zu entfliehen. Anderen Tieren wurden bei lebendigem Leib die Bäuche aufgeschnitten.

Ein Raum voller großer blauer Becken in sehr industriellem Ambiente mit Kachelboden, verschiedenen Leitungen und einem kleinen Fenster

Da der Mensch die frei lebenden Störe bereits nahezu ausgerottet hat, stammt Kaviar heute fast ausschließlich aus Zuchtfarmen.

Das Leben in der Aquakultur ist von Leid geprägt

Weibliche Störe werden erst geschlechtsreif, wenn sie acht bis 20 Jahre alt sind. Das bedeutet, bis zum Start der Kaviargewinnung können über zehn Jahre und mehr vergehen, währenddessen die Tiere die Umstände der Aquakultur ertragen müssen. Nicht nur ihr Wanderverhalten wird ihnen in Gefangenschaft verwehrt, auch ihrem natürlichen Fressverhalten können die Tiere nicht nachgehen. Störe sind Grundfische. In Freiheit würden sie im Kiesgrund und Schlamm nach Würmern, Schnecken, Muscheln, Krebstieren und kleineren Fischen wühlen. In den Tanks der Aquakulturen werden sie vor allem mit Fischfutterpellets gefüttert, die hauptsächlich aus Soja bestehen und mit Fischöl und Fischmehl versehen wurden – mit einer artgerechten Ernährung hat das nichts zu tun. Berichten zufolge werden sie zudem immer wieder langen Fastenzeiten ausgesetzt, damit der Kaviar einen besseren Geschmack erhält. Hinzu kommen die Maßnahmen, die ergriffen werden, um die Geschlechter und die Reife der Eier der Tiere zu bestimmen. „Die Ultraschalluntersuchungen, die die Fische oft mehrfach in ihrem Leben über sich ergehen lassen müssen, sind für die Störe durch das Fangen und Handling mit großem Stress verbunden“, sagt Pichl.

„Biopsien bedeuten für die Fische viel Stress, Atemnot und Schmerzen, die die Tiere kurzfristig, aber auch langfristig stark belasten.“

– Katrin Pichl

Zur Bestimmung des Reifegrads der Eier werden zudem Biopsien durchgeführt, vermutlich mehrere Durchgänge im Laufe der Eiproduktion. „Biopsien bedeuten für die Fische viel Stress, Atemnot und Schmerzen, die die Tiere kurzfristig, aber auch langfristig stark belasten.“ Die Whistlebloweraufnahmen aus Kanada zeigen außerdem, wie Arbeiter*innen lebenden, nicht betäubten Fischen wiederholte Male mit strohhalmartigen Instrumenten in den Leib stechen, um die Eireife zu überprüfen. Auch Fluchtversuche von Stören, die verzweifelt versuchen, aus den Becken zu springen, sind darin dokumentiert. Darüber hinaus zeigen viele der gefilmten Störe deutliche Missbildungen, Verletzungen und Verhaltensänderungen. „Die Aufnahmen sind schockierend“, so Pichl. Ein besonders trauriger Fall ist der über 30 Jahre alte Brutfisch Gracie, der in der beobachteten Farm bereits seit 1999 Eier zur Nachzucht liefert. „Es gibt circa 38 weitere Fische wie Gracie, die dort seit Jahrzehnten in dunklen, kargen Tanks leben und denen ein störartiges, reiches und komplexes Leben in freier Wildbahn verwehrt bleibt.“ Die in Kanada dokumentierten Zustände sind in Deutschland laut Tierschutzgesetz und auch laut der Tierschutz-Schlachtverordnung zwar verboten. „Wir gehen aber davon aus, dass das kein Einzelfall in Kaviarproduktionen in Kanada und weltweit ist“, so Pichl. So hat 2006 etwa das deutsche Unternehmen Caviar Creator insbesondere wegen diverser Verstöße gegen tierschutzrechtliche Bestimmungen schließen müssen. Erst ein Jahr zuvor hatte der Deutsche Tierschutzbund es um die schriftliche Beantwortung von Fragen zum Ablauf der Kaviargewinnung gebeten. „Abgesehen davon ist kanadischer Kaviar auch in Deutschland erhältlich.“

Die Störe vegetieren in meist reizarmen Becken mit oft minderwertiger Wasserqualität vor sich hin. Das Handling, um unter anderem die Eireife zu bestimmen, stresst sie zudem enorm.

Illegaler Handel und Etikettenschwindel

Die Nachfrage nach Kaviar ist weltweit so hoch, dass gerade in diesem Moment Millionen Störe in Aquakulturen dafür leiden und sterben müssen. Doch selbst diese hohe Anzahl an Tieren reicht nicht aus, um die Nachfrage vollständig zu decken. Hinzu kommt, dass der illegale Handel mit der sündhaft teuren Delikatesse ein florierendes Geschäft ist. Immer wieder decken Tier- und Artenschützer*innen Fälle von Wilderei auf – immer wieder machen illegaler Handel und Etikettenschummel Schlagzeilen. Einem Bericht zufolge erwies sich 2023 rund die Hälfte der getesteten Kaviarprodukte aus Europa nach Gen- und Isotopenanalysen als illegal. „Eigentlich tragen Kaviarprodukte CITES-Etiketten, damit unter anderem nachvollziehbar ist, dass es sich um eine legale Produktion handelt. Aber es finden sich immer wieder Schlupflöcher, sodass Wildkaviar in Aquakulturanlagen gelangt, zum Beispiel zum Lagern oder Waschen, dann ‚umgewidmet‘ wird und das Etikett der Produktionsstätte erhält“, so Pichl. Der illegale Fang von Stören ist durch das grausame Töten der Tiere nicht nur tierschutzrelevant, sondern auch ein Riesenproblem für den Artenschutz. Von den weltweit 27 Arten sind rund 80 Prozent gefährdet oder vom Aussterben bedroht.

Kaviar ist und bleibt eine tierquälerische Delikatesse

Inzwischen ist es dem Alfred-Wegener-Institut gelungen, ein Verfahren zu entwickeln, mit dem unreife Eier aus lebenden, betäubten Tieren abgestreift werden können. Dieses macht es möglich, den Rogen zu gewinnen, ohne dass die Tiere dafür getötet werden müssen. „Aus Tierschutzsicht ist das aber höchst kritisch zu sehen. Denn die Tiere müssen diese Prozedur in ihrem Leben viele Male über sich ergehen lassen. Auch an den miserablen Haltungsbedingungen ändert das nichts“, sagt Pichl. Ob aus Aquakultur oder illegalem Wildfang – Kaviar ist und bleibt eine tierquälerische Delikatesse.

Die Tiere brauchen Sie

  • Unterstützen Sie die Arbeit des Deutschen Tierschutzbundes: Werden Sie Fördermitglied und erhalten Sie das Magazin DU UND DAS TIER frei Haus. Wir informieren Sie über alle tierschutzrelevanten Entwicklungen mit Berichten, Reportagen und spannenden Hintergrundberichten und Sie helfen uns dabei, den Tieren zu helfen.
    duunddastier.de/mitgliedschaft