Interview: „Zuversichtlich, dass unser Modell viele Tierversuche ersetzt“

Hinter den Kulissen

Interview: „Zuversichtlich, dass unser Modell viele Tierversuche ersetzt“

Professor Dr. Dirk Jäger ist geschäftsführender und ärztlicher Direktor des Nationalen Centrums für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg. Er schildert, warum ein am Menschen orientiertes Modell im Bereich der Immuntherapien hilfreichere Erkenntnisse bringen kann als Tierversuche.

  • Autor: Nadine Carstens, Redakteurin DU UND DAS TIER

geschäftsführender und ärztlicher Direktor des Nationalen Centrums für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg.

Prof. Dr. Dirk Jäger, geschäftsführender und ärztlicher Direktor des Nationalen Centrums für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg.

Herr Prof. Dr. Jäger, was hat Sie dazu bewogen, das angeborene Immunsystem genauer zu erforschen?
Prof. Dr. Dirk Jäger: Schon seit langer Zeit bin ich begeistert von dem Potenzial des Immunsystems: Es kann von selbst gefährliche Erreger identifizieren und hochspezifische Abwehrmechanismen generieren. Wenn zum Beispiel ein neues Organ wie etwa eine Leber transplantiert wird, kann es zu einer Abwehrreaktion des Körpers kommen: Das Immunsystem betrachtet eine neue Leber in manchen Fällen als Fremdkörper und kann sie innerhalb kurzer Zeit vernichten. Diese Power wollen wir sehr zielgerichtet nutzen, indem wir künstliche Immunreaktionen erzeugen. Das Immunsystem kann nämlich auch Tumorzellen als Fremdkörper erkennen und bekämpfen – diesen Effekt wollen wir verstärken, indem wir die zuständigen Zellen genetisch manipulieren. Denn eine Chemotherapie ist bei der Bekämpfung von Krebs in einigen Fällen nicht so effizient wie unser eigener Körper.

Welche Erkenntnisse bringt diese neue Immuntherapie, in der Sie erstmals mit einem vollhumanen Modell arbeiten, im Vergleich zu Forschungen an Tiermodellen? Welche Bedeutung hat dieser Therapieansatz für die Krebsforschung und für den Tierschutz?
Prof. Dr. Jäger: Das vollhumane Modell kommt der menschlichen Situation natürlich am nächsten – viel näher als zum Beispiel ein Mausmodell. Hier könnten wir die komplexen Mechanismen und Signalwege des Immunsystems nicht erforschen, da Mäuse ein anders strukturiertes Immunsystem haben als Menschen. Wir haben uns schon vor längerer Zeit entschlossen, Tierversuche weitestgehend zu reduzieren. Mit unserem Forschungsansatz haben wir auch erkannt, dass das HIV-Medikament einen klaren Anti-Tumor-Effekt hat und dass dessen Wirkung in der Krebstherapie sogar noch verstärkt wird. Unsere Studie hat das klar gezeigt, trotzdem ist es noch schwer zu beurteilen, in wie weit wir das Leben der Studienteilnehmer verlängern konnten – das müssen wir in den jetzt folgenden Studien näher untersuchen. Ich bin sehr zuversichtlich, dass unser Modell viele Tierversuche ersetzt. Dass Alternativen zu Tierversuchen sinnvoller sein können, haben inzwischen auch manche Pharmaunternehmen erkannt.

Auch wenn die Alternativmethoden-Forschung große Fortschritte verzeichnet, halten viele Wissenschaftler nach wie vor an Tierversuchen fest. Welche Herausforderungen sehen Sie in diesem Forschungsbereich?
Prof. Dr. Jäger: Wann genau Tierversuche vorgeschrieben werden sollten, ist eine andauernde Diskussion in der Wissenschaft. Wenn Wissenschaftler zum Beispiel einen neuen Antikörper oder eine bestimmte Substanz klinisch entwickeln wollen, sind in der Regel Tierversuche vorgeschrieben. Die sollen belegen, dass die Substanz nicht toxisch ist. Nur in Ausnahmefällen erteilt das zuständige Paul-Ehrlich-Institut, das Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel, die Genehmigung, auf Tierversuche zu verzichten und stattdessen mit einer alternativen Forschungsmethode zu arbeiten. Dafür müssen Wissenschaftler aber das Institut überzeugen können, dass die Alternative in diesem Fall geeigneter ist als Tierversuche.

Was ist Ihr nächstes Ziel?
Prof. Dr. Jäger: Als nächstes folgen drei große Studien, in denen wir mehr als 100 Patienten mit Maraviroc und vergleichbaren Immuntherapien behandeln. Wir denken sogar über klinische Studien nach, um eine behördliche Zulassung für diese Behandlung zu erreichen. Auf der einen Seite wollen wir also unsere Therapie validieren, auf der anderen Seite sind wir dabei, ein Computersystem zu bauen, um individuelle Tumorsituationen und individuelle Therapieverfahren zu simulieren – je mehr Patientendaten wir hierfür haben, desto präziser wird dieses System.

Denken Sie, dass die Krebsforschung in naher Zukunft ohne Tierversuche auskommt?
Prof. Dr. Jäger: Daran sollten wir zumindest zukünftig verstärkt arbeiten. Es gibt inzwischen viele andere Wissenschaftler, die die grundlegenden Mechanismen des Körpers an Human- und nicht an Tiermodellen erforschen. Daher wünsche ich mir, dass es zukünftig möglich ist, weitestgehend auf Tierversuche zu verzichten.

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