Autor: Nadine Carstens, Redakteurin DU UND DAS TIER
Wenn auf dem Messegelände in Berlin rund 1.400 Aussteller*innen aus 60 Ländern mit ihren kulinarischen Spezialitäten locken, Hunderttausende Besucher*innen sich über die neuesten Food-Trends informieren und Expert*innen sich auf Podiumsdiskussionen über agrarpolitische und wirtschaftliche Herausforderungen austauschen, ist klar: Es ist Grüne Woche. Sie gilt als wichtigste internationale Messe für Ernährung, Landwirtschaft und Gartenbau und ist für die Lebensmittel- und Agrarbranche ein Muss. Rund 300.000 Besucher*innen zählte die Messe in diesem Jahr. Seit 2013 ist auch der Deutsche Tierschutzbund regelmäßig bei der Grünen Woche vertreten. Schließlich ist der Verband aus der politischen Debatte nicht mehr wegzudenken und bei Fragen rund um die Tierhaltung in der Landwirtschaft ein unverzichtbarer Gesprächspartner für Vertreter*innen aus Politik, Landwirtschaft, Handel, Wissenschaft und anderen Verbänden. So informierte der Deutsche Tierschutzbund auch bei der 89. Ausgabe der Messe im Januar zehn Tage lang an einem eigenen Stand über sein zweistufiges Tierschutzlabel „Für Mehr Tierschutz“ – dessen strenge Kriterien heben sich auch heute noch von anderen Labeln auf dem Markt ab und garantieren ein deutliches „Mehr“ an Tierschutz. Um zudem die jüngsten Generationen für die Bedürfnisse von Tieren in der Landwirtschaft zu sensibilisieren, bot der Verband ein Programm speziell für Schulklassen an. So erfuhren rund 120 Schüler*innen zum Beispiel auf anschauliche und altersgerechte Art und Weise, wie sich die konventionelle Landwirtschaft von besseren Haltungsbedingungen unterscheidet und worauf sie beim Einkauf von Produkten achten sollten, wenn sie Wert auf bessere Haltungsbedingungen legen.
Das Tierschutzlabel „Für Mehr Tierschutz“ ist 2025 nach wie vor das einzige auf dem Markt befindliche Label, „das über die Produktionskette des Tieres mit intensiver Kontrolldichte und Zertifizierung Vertrauen verdient“ – dies betonte Thomas Schröder, Präsident des Deutschen Tierschutzbundes, in seiner Begrüßungsrede bei dem traditionellen Stehempfang seines Verbandes. Mehr als 150 Besucher*innen aus Politik, Landwirtschaft, Handel, Verbraucher*innenschutz und Wissenschaft folgten der Einladung, um sich mit Schröder und weiteren Expert*innen des Verbandes und der Agrarbranche auszutauschen. Mit dabei waren zum Beispiel Bundestierschutzbeauftragte Ariane Kari und Björn Fromm, Präsident des Bundesverbandes des Deutschen Lebensmittelhandels, ebenso wie Abgeordnete aus der Europäischen Union und dem Bundestag sowie verschiedene Landestierschutzbeauftragte. Außerdem kamen Judith Schönenstein, Vizepräsidentin, und Vertreter*innen mehrerer Landesverbände des Deutschen Tierschutzbundes, aber auch der Eurogroup for Animals, dem Dachverband der europäischen Tierschutzorganisationen, und weiterer Tierschutz- und Umweltverbände. Nicht zuletzt nutzten auch Landwirtinnen und Landwirte, die sich dem Tierschutzlabel „Für Mehr Tierschutz“ aus Überzeugung angeschlossen haben, die Einladung, um sich vor Ort mit anderen Expert*innen über ihre Erfahrungen auszutauschen. 570 Betriebe und 47 Lizenzpartner*innen gehören mittlerweile dem Tierschutzlabel an, seit der Deutsche Tierschutzbund es 2013 bei der Grünen Woche erstmals der breiten Öffentlichkeit präsentierte.
– Thomas Schröder
Solange Tiere hierzulande noch immer für den menschlichen Nutzen und für unsere Ernährung in den Ställen stehen, ist es das Ziel des Verbandes, ihre Lebens- und Haltungsbedingungen sofort zu verbessern. „Es gibt kein Recht auf Fleisch, schon gar nicht auf Billigfleisch. Es gibt ein Recht auf Ernährung“, so Schröder in seiner Rede. „Und es gibt ein Recht der Tiere auf tiergerechte Haltung. Und die Tiere, die das Recht bisher nicht haben, die dürfen und wollen wir nicht im Stich lassen.“ Der Verband ging also mit gutem Beispiel voran, während die Politik den Weg für das lange angekündigte staatliche Tierhaltungskennzeichen erst 2023 freimachte. Anstatt aber die Erfahrungen der Tierschützer*innen und die erfolgreichen, wissenschaftlich und auch marktpolitisch belastbaren Prozesse zu nutzen, habe Cem Özdemir, Bundeslandwirtschaftsminister der Ampelregierung, diese bewusst ignoriert, „um etwas Eigenes zu schaffen“, so Schröder. Vielmehr habe der Bundesminister ein Zeichen initiiert, „das keinem einzigen Tier jetzt und sofort und langfristig hilft.“
Schröder übte generell scharfe Kritik an den gravierenden Missständen in der Tierhaltung, die auch heute noch bestehen. Ein Beispiel sei der Umgang mit Rindern: „Jedwede Anbindehaltung von Rindern ist eine Straftat, ein Verstoß gegen die Grundsätze des Tierschutzgesetzes.“ Ebenso bemängelte er, dass es bis heute keine Haltungsverordnung für Puten und Rinder gibt. „Selbst das Tierschutzgesetz gilt es dahingehend zu überprüfen, ob es denn überhaupt noch dem Anspruch des Grundgesetzes entspricht.“ Mehr als 20 Jahre nach Einführung des Staatsziels Tierschutz seien jetzt die Rechtsprechung und Rechtssetzung gefragt, wenn der Gesetzgeber nicht endlich handele, sagte Schröder und resümierte: „Der Ton wird schärfer.“ Das liege aber nicht am tobenden Wahlkampf, sondern an dem Umstand, dass bei einem Teil der Funktionär*innen und Tiernutzer*innen „die Offenheit für neue Wege rückläufig ist.“ Denn inzwischen gehe es immer weniger noch um das „Wie“, sondern wieder zunehmend mehr um das „Ob“. „Dafür trägt auch die Politik eine Verantwortung“, so Schröder. Am Ende appellierte er an ebenjene und an die Besucher*innen: „Wenn wir vorankommen wollen, dann müssen wir einander zuhören.“ Zudem müsse die*der neue Bundeslandwirtschaftsminister*in begreifen, dass wir eine*n Bundestierschutzminister*in brauchen, keine*n Bundestierwohlminister*in. Während der Begriff „Tierwohl“ oft von der Industrie für Werbezwecke genutzt wird und unzureichende Standards aufwerten soll, bedeutet „Tierschutz“ eine tatsächliche Verbesserung der Lebensbedingungen von Tieren.
Während der Grünen Woche hat das AgrarBündnis den kritischen Agrarbericht 2025 unter dem Titel „Wertschöpfung & Wertschätzung“ vorgestellt. Das Bündnis verschiedener Verbände, dem auch der Deutsche Tierschutzbund angehört, fordert darin von der Politik mehr Mut und Unterstützung bei der Transformation der Landwirtschaft. Der Bericht enthält fundierte Kritik am derzeitigen Agrarsystem, benennt aber auch Konzepte, Ideen und gelungene Praxisbeispiele, wie es anders gehen könnte. Weitere Infos unter:
Wie wichtig ein respektvoller Umgang trotz mitunter unterschiedlicher Herangehensweisen ist, betonte auch Björn Fromm, Präsident des Bundesverbandes des Lebensmittelhandels, in seinem Grußwort beim Empfang. „Gemeinsam mit Ihnen haben wir viel erreicht“, sagte er an Schröder gerichtet. Als er ihn vor etwa einem Jahr kennenlernte, habe er ihn als in der Sache harten Partner erlebt, der aber freundschaftlich im Miteinander sei. „Der Deutsche Tierschutzbund ist ein unverzichtbarer Akteur, wenn es darum geht, den Tierschutz in Deutschland substanziell voranzubringen“, so Fromm. „Mit seinem Label hat der Verband echte Pionierarbeit geleistet.“ Dass die Tiere in der Landwirtschaft deutlich besser behandelt werden, sei auch ein Anliegen des Lebensmittelhandels, sagte Fromm. Zugleich sei aber auch die breite Akzeptanz der Verbraucher*innen wichtig, unabhängig davon, wie groß etwa ihr Geldbeutel ist. „Wir möchten gemeinsam mit Ihnen dazu beitragen, dass Tierschutz Wahrnehmung findet und in die Breite getragen wird“, so Fromm. „Wir stehen als Partner weiterhin bereit und freuen uns auf Diskussionen.“
Als „die einzige Ankündigung, die die Ampelkoalition durchgebracht hat“, begrüßte Schröder im Anschluss Bundestierschutzbeauftragte Ariane Kari. Diese fasste in ihrem Grußwort ähnlich wie Schröder die nach wie vor prekäre Lage der Tiere in der Landwirtschaft zusammen. Obwohl das Staatsziel Tierschutz seit mehr als 20 Jahren in unserer Verfassung steht und nahezu alle aktuellen Umfragen eindeutig belegen, dass es den Deutschen ein großes Anliegen ist, landwirtschaftliche Tierhaltung und deren rechtliche Rahmenbedingungen deutlich zu verbessern, gehe es den Tieren in der Landwirtschaft hierzulande häufig alles andere als gut. Als Beispiele nannte sie unter anderem die rund eine Million Rinder in Süddeutschland, die in tierschutzwidriger Anbindehaltung leben, Schweine, die in reizarmen Ställen auf Beton-Vollspaltenböden gehalten werden und dabei keine Möglichkeit haben, ihre Toilette von ihrem Schlafplatz zu trennen, sowie Amputationen an Rindern, Schweinen und Puten. Besonders scharf kritisierte sie zudem die Tatsache, dass „noch immer Rinder aus Deutschland heraus in Hochrisikostaaten transportiert werden“. Gemeint sind damit Drittstaaten außerhalb der Europäischen Union, in denen keinerlei Tierschutzvorgaben gelten und Tiere zum Beispiel ohne Betäubung geschlachtet werden. Aber auch bei Tiertransporten innerhalb Deutschlands werden regelmäßig „Überladungen festgestellt oder zu geringe Deckenhöhen bei Rindertransporten“, so Kari.
– Ariane Kari
Ebenso wie ihre beiden Vorredner mahnte sie zu einer besseren Zusammenarbeit aller Beteiligten: „Tierschutz ist mehr als bloße Parteipolitik. Er ist ein gesamtgesellschaftliches Anliegen, an dem wir alle gemeinsam über politische und gesellschaftliche Grenzen hinaus arbeiten müssen.“ Dies sei nicht nur erforderlich, um das Staatsziel Tierschutz endlich zu erfüllen, sondern auch, um „den Erhalt der Landwirtschaft für die uns folgenden Generationen zu garantieren.“ Es sei daher wichtig, dass die Folgeregierung die Novellierung des Tierschutzgesetzes erneut aufgreife, so die Bundestierschutzbeauftragte. „Ich bin davon überzeugt, dass eine tiergerechte Tierhaltung nur durch solch einen Blumenstrauß an Maßnahmen, der alle relevanten Gruppen umfasst und alle mit an den Tisch holt, gelingen kann.“ Eine Forderung, die auch der Deutsche Tierschutzbund voll und ganz unterstützt. Denn eine zukunftsfähige Landwirtschaft ist nur möglich, wenn die grausamen Missstände in der Tierhaltung endlich ein Ende haben und wir gemeinsam den Tieren in der Landwirtschaft mehr Wertschätzung entgegenbringen. Und so gab Schröder den Gästen zum Abschied noch einen weiteren Gedanken mit auf den Weg: „Selbst wenn es neue Gesetze und Verordnungen geben sollte, bleibt die Frage: Darf alles erlaubt sein, was nicht explizit verboten ist?“