Für vegane Labore

Aus dem Print-Magazin

Für vegane Labore

Im Laboralltag sind aus Tieren gewonnene Materialien wie Antikörper und Nährstofflösungen allgegenwärtig. Oftmals ist ihre Produktion für Kälber, Ratten und Co. tödlich. Dabei sind vegane Produkte, die das verhindern könnten, längst wissenschaftlich anerkannt.

  • Autor: Joscha Duhme, Redakteur DU UND DAS TIER

Wenige Krankheiten sind so angsteinflößend wie Krebs. Die Diagnose stellt das Leben der Betroffenen komplett auf den Kopf. Man muss die Ungewissheitund Sorge, eventuelle Schmerzen, gravierende operative Eingriffe oder belastende Chemotherapien und Bestrahlungen nicht selbst erlebt haben, um dies nachempfinden zu können und sich davor zu fürchten. Wie perfide erscheint da die Vorstellung, Krebs absichtlich „gespritzt“ zu bekommen? Den Mäusen, die zur Herstellung von Matrigel™ genutzt werden, passiert jedoch genau das. Denn dieses medizinische, sehr proteinreiche Hydrogel, auf dem Körperzellen im Labor organähnliche Mikrostrukturen bilden können, wird aus Krebszellen gewonnen. Um möglichst viele dieser Tumorzellen zu züchten, werden diese zuvor lebenden Nagern injiziert. Die gesundheitlichen Auswirkungen sind verstörend. „Die Tumore wachsen in ihnen unaufhörlich heran und machen bereits nach einigen Wochen bis zu 20 Prozent des Körpergewichts der Tiere aus“, berichtet Tilo Weber, Referent für tierversuchsfreie Wissenschaft beim Deutsche Tierschutzbund. Diese Prozedur bedeutet für die Mäuse langwieriges und großes Leid, bevor sie zur Entnahmegetötet werden.

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Serum stammt aus Blut ungeborener Kälber

Andere Tiere sind noch nicht einmal auf der Welt und werden bereits Teil des Produktionsprozesses von Labormaterialien. So ergeht es ungeborenen Kälbern. Ihr Blut dient als Grundstoff für die Herstellung von fötalem Kälberserum (FKS). Dieses nutzen Forscher*innen als Nährstoff für Zell- und Gewebekulturen in Petrischalen. Um es zu produzieren, wird den Kälberföten nach der Schlachtung der trächtigen Muttertiere ohne Betäubungeine Injektionsnadel ins Herz geschoben. Darüber bluten sie aus. „Dabei gibt es deutliche Hinweise darauf, dass die Föten zu diesem Zeitpunkt bereits leidensfähig sind“, sagt Weber.

Kaninchen und Ratten sterben bei der Produktion

Viele weitere Materialien, die in Laboren auf der ganzen Welt als Standard gelten, sind tierischen Ursprungs. Dazu gehören Kuhmilch und Gelatine, für die Tiere in der Landwirtschaft leiden. Aber auch Proteine aus der Bauchspeicheldrüse von Schweinen oder Antikörper, die in Tieren wie Kaninchen angereichert und mit ihrem Blut entnommen werden, sind im wissenschaftlichen Umfeldsehr präsent. Ebenso wie der S9-Mix. Dieser dient in der Forschung unter anderem dazu, Leberfunktionen zu simulieren, um giftige Stoffe zu untersuchen, ohne Tierversuche durchzuführen. Doch für seine Gewinnung injizieren Menschen Ratten spezielle Wirkstoffe, die die Aktivität ihrer Enzyme erhöhen. Wenige Tage später werden die Tiere getötet und ihre Leber entnommen, um daraus den S9-Mix herzustellen.

Längst gibt es wissenschaftlich anerkannte tierfreie Labormaterialien wie abgelaufene Blutspenden.

Aufklärung ist dringend notwendig

„Welche schmerzhaften und tödlichen Verfahren hinter solchen Labormaterialien stecken, ist vielen Wissenschaftler* innen, Student*innen oder Labormitarbeiter*innen gar nicht bekannt. Anderen, die davon wissen,ist hingegen nicht bewusst, dass es längst auch wissenschaftlich anerkannte tierfreie Produkte gibt“, erläutert Weber. Darum setzt sich der Deutsche Tierschutzbund federführend dafür ein, das zu ändern. Damit Labore künftig vegan arbeiten, informiert Weber seine wissenschaftlichen Kolleg*innen auf internationalen Kongressen über das Thema. Zuletzt berichtete er den fachkundigen Zuhörer*innen bei Vorträgen in Italien und Kanada von den Tierschutzproblemen hinter den Labormaterialien und den Vorteilen von solchen ohne tierische Inhaltsstoffe. Dazu gehören Medien, die nur chemische Bestandteile enthalten oder mithilfe von Mikroorganismen hergestellt werden. „Doch auch menschliche Produkte wie abgelaufene Blutspenden oder gespendete Plazenten und Substanzen aus Pflanzen oder Pilzen können tierische Labormaterialien ersetzen“, berichtet Weber. Das zeigt auch eine weltweite Umfrage, die der Deutsche Tierschutzbund mit der Gemeinsamen Forschungsstelle der Europäischen Kommission und internationalen Tierschutzorganisationen durchgeführt und in einem wissenschaftlichen Journal veröffentlicht hat. Darin berichten über 500 Wissenschaftler*innen aus der ganzen Welt, welche tierischen Laborprodukte sie verwenden und wie der Umstieg auf tierfreie Produkte besser gelingen kann.

Auch Substanzen, die etwa aus Hefepilzen hergestellt werden, sind wertvolle Alternativen. Sie sind nicht nur im Sinne des Tierschutzes, sondern ermöglichen auch exaktere Ergebnisse.

Tierfreies ist wissenschaftlich genauer

„Es wäre nicht nur aus Tierschutzperspektive wünschenswert, dass tierfreie Materialien Teil der Laborroutinen werden“, sagt Weber. „Sie ermöglichen auch exaktere Ergebnisse und erhöhen die Sicherheit der Stoffe, die mithilfe der tierischen Produkte entwickelt werden.“ Denn deren Bestandteile können je nach Jahreszeit, Tierrasse oder auch Futter stark variieren. Wissenschaftliche Versuche, die mit solchen Stoffen durchgeführt werden, sind kaum vergleichbar oder produzieren falsche Ergebnisse. Das sehen auch 57 Prozent der Umfrageteilnehmer*innen als größtes Problem bei der Verwendung tierischer Komponenten. Zusätzlich besteht die Gefahr, dass Krankheitserreger oder andere Verunreinigungen in die Probe gelangen. Dann könnten sie die Ergebnisse verfälschen oder – etwa bei Medizinprodukten – sogar Patient*innen gefährden. Darum setzen sich Weber und seine Kolleg*innen so vehement für vegane Labore ein: „Die Vorteile liegen auf der Hand und würden ethisch im Sinne des Tierschutzes und auch medizinisch einen riesigen Fortschritt bedeuten.“