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Interview zum illegalen Welpenhandel mit Andreas Brucker

„Lob macht kein Tier satt“

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Interview zum illegalen Welpenhandel mit Andreas Brucker

„Lob macht kein Tier satt“

Der illegale Welpenhandel und Transport von Tieren bedeutet unvorstellbare Qualen – und stellt Tierschützer*innen vor riesige Herausforderungen. In Bayern werden besonders viele Transporte entdeckt. Andreas Brucker ist Regionalbeauftragter Oberfranken und Koordinator Notfallmanagement beim Deutscher Tierschutzbund Landesverband Bayern. Im Interview berichtet er, wie schwierig es ist, mitten in der Nacht plötzlich Hunderte Tiere zu versorgen, warum Zusammenarbeit dabei so wesentlich ist und wie es ihm gelingt, mit dem unsäglichen Tierleid fertigzuwerden.

  • Autor: Joscha Duhme, Redakteur DU UND DAS TIER

Andreas Brucker, Regionalbeauftragter Oberfranken und Koordinator Notfallmanagement beim Deutscher Tierschutzbund Landesverband Bayern.

Andreas Brucker, Regionalbeauftragter Oberfranken und Koordinator Notfallmanagement beim Deutscher Tierschutzbund Landesverband Bayern.

Herr Brucker, wie oft sind Sie im Einsatz, wenn illegale Tiertransporte von den Behörden gestoppt werden?

Das lässt sich pauschal kaum beantworten. Manchmal drei- bis viermal die Woche, dann haben wir aber vereinzelt auch schon mal vier Wochen Ruhe. Auf das Jahr gerechnet, fahre ich jede Woche los.

Was genau ist Ihre Rolle, wenn es zu Beschlagnahmungen kommt?

Die Veterinärämter sind in der Nacht und am Wochenende nur schwer erreichbar. Darum bin ich oft der erste Kontakt für Zoll, Bundes- oder Landespolizei, wenn sie einen verdächtigen Transport in Bayern anhalten. Je nachdem, wie weit weg der Kontrollort ist, fahre ich meistens hin, anderenfalls versuche ich, die Amtstierärztin oder den Amtstierarzt zu verständigen, kann teilweise aber auch aus der Ferne digital unterstützen. Meine Rolle ist neben der Koordination und Versorgung der Tiere nämlich auch die Begutachtung des Transports und die Prüfung der Papiere. Mittlerweile sind viele Polizist*innen selbst sehr gut geschult und erkennen, ob ein Transport illegal ist. Oft ist dies ohnehin ersichtlich, sodass selbst Lai*innen dies erkennen können. Auch, dass die Angaben in den Papieren nicht stimmen, wird meist schnell offensichtlich.

Wenn die Tiere beschlagnahmt werden, müssen Sie oft viele Tiere auf einmal unterbringen. Wie läuft dies ab?

In fast allen Fällen weiß ich, welche Tierheime in der Nähe des gestoppten Transports eine Quarantänestation haben. Ohne sie wäre es viel zu gefährlich, dass sich andere Tiere mit Krankheiten infizieren, unter denen ein Großteil der Tiere aus dem illegalen Handel leidet. In vielen Fällen kenne ich auch die Kapazitäten der Tierheime und weiß zudem, ob sie sich eignen, bevor ich sie kontaktiere. Wenn wir etwa Hunde und Katzen versorgen müssen, ist das leichter als bei Exoten wie Reptilien. Da wird es schon dünn mit den Plätzen. Im Tierheim Breitenbrunn kann ich etwa einige Schlangen und Schildkröten unterbringen, aber, wenn wir es mit Chamäleons oder Nasenbären zu tun bekommen, dann fallen wir ebenso wie die meisten anderen Tierheime weg.

Sie bekommen es auf der Autobahn mit Nasenbären zu tun?

Ja, am häufigsten werden Hunde und Katzen gehandelt, aber zuletzt war es sogar mal ein Puma, den die Landespolizei in einer Kiste entdeckt hat. Vor einiger Zeit hatten wir einen Transport mit 320 Tieren in einem Kleintransporter. Darunter befanden sich unter anderem ein Lisztaffe, eine streng geschützte und gefährdete Art, aber auch Weißwedelhirsche, russische Kampfgänse und 120 Singvögel, vermutlich Wildfänge. Es war schnell klar, dass die Papiere gefälscht waren. Ich habe noch im Transporter versucht, vorsichtig den Chip einer Hirschkuh auszulesen. Dabei hat sie sich aber erschreckt und mir eine mit dem Huf verpasst. Die Tiere, die Fluchttiere sind, standen nicht nur durch den Transport an sich, sondern auch durch den Geruch der mittransportierten Hunde in ihrer direkten Nähe komplett unter Stress. In solchen Fällen ist eine Vielzahl von Expert*innen gefragt, um die Tiere unterzubringen. Die Reptilienauffangstation in München beispielsweise hat den Affen und die Hirsche aufgenommen, von denen ein Tier sogar trächtig war und wenige Tage später gekalbt hat. Dort rufe ich auch zuerst an, wenn wir Nasenbären zu versorgen haben.

Inwiefern spielt die Vernetzung der Mitgliedsvereine über den Deutscher Tierschutzbund Landesverband Bayern und den Dachverband eine Rolle bei solchen Fällen?

Die spielt eine große und wichtige Rolle. Ohne Vernetzung geht nichts. Der gesamte Tierschutz funktioniert nur, wenn alle zusammenarbeiten, von den Tierpfleger*innen bis zur Behördenspitze. Auf die Tierheime kann ich mich verlassen, wir brauchen uns alle gegenseitig. Das sicherlich extremste Beispiel dafür war der Transport von 7.000 Tieren in einem Laster. Dies hätten wir ohne die Mitgliedsvereine, den Landesverband und den Deutschen Tierschutzbund niemals bewältigen können. Wir hatten es mit 5.000 Mäusen, 1.000 Ratten und zig Hamstern, Degus, Chinchillas, Kaninchen, Meerschweinchen und anderen Kleintieren zu tun, die bei einer Routinekontrolle der Polizei aufgegriffen wurden. Wir haben den Transporter ins Tierheim Amberg gebracht und Mitarbeiter*innen aus sechs weiteren Tierheimen sind nachts um Zwölf dazu gekommen. Dann haben wir ausgeladen und sortiert, nach Tierarten und nach Geschlecht. Dann kam noch der Tierschutzverein Nürnberg-Fürth und Umgebung mit einem Tierarzt dazu, und ich habe ebenfalls Tierärzte geschickt, um alles zu dokumentieren. Das ging wirklich rund um die Uhr, weil die Zeit tagsüber einfach nicht ausgereicht hat. Das waren drei schlimme Tage inklusive jeder Menge Austausch mit den Behörden. Der zuständige Amtstierarzt hat beispielsweise angerufen und mitgeteilt, dass es einen Abnehmer für 500 Mäuse gäbe – allerdings als Futtertiere. Aber wenn Tiere bei uns in den Tierheimen sind, haben sie einen Schutzstatus, da werde ich den Teufel tun und sie zur Tötung rausgeben. Sie haben hier Asyl. Wo ist der Unterschied von einer Maus zu einer Katze oder zu einem Affen? Das sind alles Lebewesen, die leben wollen. Daher würden wir sie nie zum Töten freigeben, wenn es nicht medizinisch notwendig ist, um ihnen Leid zu ersparen. Zudem würde mich niemals mehr jemand anrufen und mir Tiere anvertrauen, wenn ich so entschieden hätte. Letztlich sind die Tiere mithilfe des Deutschen Tierschutzbundes über ganz Deutschland verteilt worden. Der Verband hat bei der Koordination geholfen und die Logistik mit den Fahrer*innen geklärt, das hätten wir alleine nicht gepackt.

Nicht immer handelt es sich um exotische oder derart viele Tiere. Auch ein einzelner Welpe kann eine große Herausforderung bedeuten. Warum?

Wenn Einzeltiere zu uns kommen, die sehr jung sind – die jüngsten waren nur sieben bis zehn Tage alt–, fehlt ihnen der soziale Umgang. Die Tiere müssen in Quarantäne, doch wir erleben es, dass sich Welpen und Kitten oft in kürzester Zeit aufgeben, wenn sie ganz allein im Zimmer sind. Hier haben wir eine Diskrepanz zwischen der notwendigen Quarantäne und der Gefahr der Isolation. Wenn ich sie in Quarantäne lasse, habe ich die Sicherheit, dass das Tier keine Krankheiten einschleppt, aber es besteht die Gefahr, dass es seelisch zugrunde geht. Darum nehmen die Mitarbeiter*innen oder ich solche Tiere nach Abstimmung mit den Behörden auch mit nach Hause, um sie dort besser versorgen zu können.

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Wie bewerten Sie die Zusammenarbeit mit den Behörden?

Früher waren die Amtstierärztinnen und -ärzte uns gegenüber sehr skeptisch, so nach dem Motto „Da kommen die verrückten Tierschützer*innen“. Jetzt wissen sie, dass es ohne uns nicht geht und sie ihre Arbeit nicht machen können. Wenn sie uns brauchen, sind wir da, aber im Umkehrschluss verlange ich auch, dass sie da sind, wenn wir sie brauchen. Das funktioniert ganz gut und unsere Meinung hat mittlerweile Gewicht. Auch bei den Polizist*innen habe ich einen guten Stand, da ich früher als Vollzugsbeamter gearbeitet habe. So kann ich als Bindeglied zwischen Behörden und Tierschutz dienen, weil ich die Gesetze kenne und meinen Mitstreiter*innen das rechtliche Vorgehen erklären kann, während ich den Beamt*innen näherbringe, wie der Tierschutz auszulegen ist. So kann ich sie auch dabei unterstützen, Anzeigen so zu formulieren, dass die Staatsanwaltschaft wenig Arbeit damit hat und sich ihnen eher widmet. Die Erstattung der Kosten für die Versorgung der beschlagnahmten Tiere läuft hingegen manchmal etwas schwieriger. Gerade bei Welpen versuchen die Kommunen unsere Preise zu drücken, aber von etwas müssen wir die Kosten, die für Pflege und Versorgung anfallen, ja bezahlen. In vielen Fällen klappt aber auch das.

Sie sind oft vor Ort, wenn illegale Transporte kontrolliert werden. Wie erleben Sie die Menschen, die dabei erwischt werden?

Meist sind sie gleichgültig oder aggressiv. Das sind oft Leute, die kein Gewissen haben und denen die Tiere völlig egal sind. Die scheren sich nicht darum, ob sie Mehl oder Tiere auf der Ladefläche haben, solange das Geld stimmt.

Welcher Fall hat über die Jahre besonders nachhaltig Eindruck hinterlassen?

Viele. Aber einer hat besonders lange nachgewirkt. Früh morgens um halb sieben erhielt ich einen Anruf zu einem Transport mit über 60 Welpen, der in Bad Reichenhall sichergestellt wurde. Wir waren mit vielen Helfer*innen fast den ganzen Tag beschäftigt, bis wir alle Tiere verteilen konnten. Als ich mich um halb neun auf die Couch gesetzt habe, das Abendessen vor der Nase, hat wieder die Kollegin aus Bad Reichenhall angerufen. Sie fragte, ob ich gerade sitze, denn sie konnte es selbst kaum glauben. Wir hatten schon wieder einen Transport, am Ende des Tages waren es in 24 Stunden insgesamt 249 Welpen. Im Umfeld gab es kein Tierheim mit Quarantänestation, das keine Tiere genommen hätte. Leider waren auch hier, wie immer, viele Tiere krank und wir hatten es teilweise mit Staupe zu tun. So kam es – die Fälle ereigneten sich im Dezember – dass ich Heiligabend mehrere Tierheime in der Leitung hatte, die sagten, sie können nicht mehr. Ihnen würden die Tiere wegsterben. Das war mein Weihnachten: Gut zureden und Mut machen. An den Feiertagen bin ich dann zu ihnen gefahren. Letztlich lag die Todesrate bei diesen beiden Fällen bei knapp 25 Prozent. Angesichts der Staupe hatten wir sogar 50 Prozent befürchtet, weshalb die Pfleger*innen eine immense Leistung vollbracht haben.

Das ist beachtlich und tragisch zugleich. Wie verkraften Sie den regelmäßigen Umgang mit so viel Leid und Tod?

Ehrlich gesagt, muss man viel verdrängen. Dennoch werde ich keines der Tiere je vergessen. Wenn Sie einen kleinen Chihuahua halten, der komplett auf die Hand passt und Sie wissen, dass er die Nacht nicht überleben wird, braucht man Zeit, um das zu verdauen. Das ist sicherlich in vielen Berufen so, wie etwa in Krankenhäusern oder bei der Feuerwehr. Das geht nicht spurlos an einem vorbei. Und manchmal muss man notfalls in den Wald gehen und weinen.

Und doch sind Sie immer wieder im Einsatz und stehen nachts binnen kürzester Zeit bereit, um Tieren zu helfen. Was ist Ihre größte Motivation?

Das Leid nimmt einen mit und gleichzeitig frustriert es, dass wir gerade vom Bund keine Unterstützung erfahren. Im Gegenteil, wir Tierheime selbst müssen für den wirtschaftlichen Betrieb oder die gemeinnützig genutzten Autos sogar noch die vollen Steuern zahlen. Stattdessen gibt es von der Politik oft nur Lob für den „unvergleichlichen Einsatz“, aber Lob macht kein Tier satt. Darum versuche ich, den Tieren zu helfen. Ich bin damit aufgewachsen, Respekt vor jedem Tier zu haben. Und trotz vieler tragischer Fälle gibt es ja auch viele Erfolge, aus denen ich Motivation ziehe – und aus dem Einsatz der vielen anderen: Man glaubt nicht, wie viele im Verborgenen Gutes tun. Es gibt leider so viele Menschen, die Tieren Leid zufügen, da braucht es auch einen Gegenpol.

Bildrechte: Artikelheader: Deutscher Tierschutzbund Landesverband Bayern e.V.; Fotos: Deutscher Tierschutzbund Landesverband Bayern e.V. (Porträt, 2 Welpen, Pflege von Welpen); Andreas Brucker (geöffneter Laster mit Tieren)