Blutige Wolle

Hinter den Kulissen

Blutige Wolle

Warm, gemütlich und ziemlich edel, ideal für die kalte Jahreszeit: Bei vielen Menschen genießen Kleidungsstücke aus Kaschmir oder Mohair einen guten Ruf. Dabei werden die damit verbundenen Tierschutzprobleme leider ignoriert.

  • Autor: Bernd Pieper, Geschäftsführer Kommunikation beim Deutschen Tierschutzbund

Lange Jahre waren Pullover oder Jacken aus Kaschmirwolle Statussymbole, stand die noch ein wenig snobistischer daherkommende Bezeichnung „Cashmere“ als ein Symbol für Luxus und guten Geschmack. Unabhängig davon, dass sich über Geschmack streiten lässt – von Luxus und der Anmutung von etwas Besonderem kann schon lange keine Rede mehr sein. Cashmere ist zur Massenware geworden, Pullover unter 70 Euro mittlerweile eher die Regel als die Ausnahme. Mit verheerenden Konsequenzen für die Tiere und die Natur, in der sie leben. Kaschmirwolle wird aus dem Unterfell der Kaschmirziege gewonnen. Das schützt die Tiere in den kalten Wintermonaten, wenn es in ihren Lebensräumen in der Mongolei und in China mit minus 30 Grad Celsius bitterkalt werden kann. Im Frühjahr, wenn die Tiere das Unterfell nicht mehr benötigen, wird es innerhalb von fünf bis sechs Stunden ausgekämmt.

Brutalität im Akkord

So weit die Theorie. Die Realität sieht anders aus, das belegen nicht zuletzt Undercover-Filmaufnahmen von Peta Asia: „Die verstörenden Bilder zeigen verängstigte und vor Schmerzen schreiende Ziegen, denen ihr Unterfell mit Metallkämmen regelrecht herausgerissen wird – im Akkord, rund 50 Minuten pro Tier“, sagt Dr. Anna Kirchner, Referentin für Interdisziplinäre Themen beim Deutschen Tierschutzbund. Ebenfalls dokumentiert seien blutende Verletzungen nach der brutalen Prozedur, die nur unzureichend versorgt werden. Wie so oft bei tierfeindlichen Verhaltensweisen liegen auch hier die Gründe in vermeintlichen wirtschaftlichen Zwängen: Um die rapide gewachsene Nachfrage der Verbraucher zu befriedigen – Deutschland gehört zu den vier größten Abnehmern mongolischer Kaschmirwolle weltweit –, ist eine schonende und tierfreundliche Behandlung der Ziegen kaum möglich. Da pro Tier und Schur maximal 200 Gramm Unterwolle gewonnen werden, lässt sich der Profit vor allem über das Tempo und große Tierzahlen erzielen. Und über Betrug: Immer häufiger wird angeblich reinen Kaschmirprodukten Schafswolle beigemischt, oder es werden kurze Wollfasern verwendet, die zum unerwünschten Effekt der Knötchenbildung führen, dem sogenannten „Pilling“. Und die Massenproduktion hat noch einen weiteren gravierenden Nachteil: Wo 1990 noch rund 4,5 Millionen Kaschmirziegen auf den Weideflächen der Mongolei unterwegs waren, gehen Experten heute von mehr als 27 Millionen Exemplaren aus. Da die Ziegen das Gras mitsamt der Wurzel ausreißen, wächst dort nicht mehr viel. Nach UN-Angaben sind bis zu 70 Prozent der Weidegründe in der Mongolei bereits massiv überweidet. „Der Boden degradiert, die Steppe wird zur Wüste“, so Kirchner.

Alternativen

Sehr langsam, aber immerhin entwickeln sich bei uns Alternativen, die auf nachhaltige Kaschmirproduktion setzen. Eine davon kommt von der Hamburger Stiftung „Aid by Trade Foundation“. Die 2005 von dem Hamburger Unternehmer Michael Otto gegründete Organisation will mit dem Qualitätssiegel „The Good Cashmere Standard“ sicherstellen, dass bei der Produktion von Kaschmirwolle eine artgerechte Haltung der Tiere und eine tierfreundliche Schur, aber auch der Schutz der Umwelt und faire Arbeitsbedingungen für die Arbeiter gewährleistet werden. „Das ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung, aber auch mit diesem Siegel ist eine tiergerechte Kaschmir gewinnung nicht automatisch garantiert“, sagt Kirchner. Das Prinzip ähnelt dem der Initiative „Cotton made in Africa“, mit der sich die „Aid by Trade Foundation“ seit 2005 für nachhaltigen Baumwoll anbau in der Subsahara-Region engagiert. Die Händler kaufen eine Lizenz und erwerben die Wolle von den lokalen Produzenten, die den neuen Standard erfüllen. Unternehmen wie H&M oder Lacoste haben sich „The Good Cashmere Standard“ angeschlossen, im Weihnachtsgeschäft 2020 sollen die ersten mit dem Qualitätssiegel ausgezeichneten Kleidungsstücke auf den Markt kommen.

Kaschmirziegen im Himalaja

Kaschmirziegen, hier frei lebende Exemplare im Himalaja, sind dank ihres Fells perfekt gegen eisige Temperaturen geschützt. Dies wird ihnen zum Verhängnis. Für die Massenproduktion reißt man ihnen die begehrten Haare brutal vom Körper.

Konsequenzen

Auch Kleidungsstücke aus oder mit Mohair gelten als Luxusprodukte. Die Wolle wird aus den feinen, langen und gewellten Haaren der Angoraziege gewonnen. Über 50 Prozent der globalen Produktion kommen aus Südafrika, weitere wichtige Produzenten sind die Türkei und Lesotho. Auch hier dokumentierte ein Peta-Video die Grausamkeiten, denen die Ziegen bei der zweimal pro Jahr durchgeführten Schur ausgesetzt sind: Sie werden mit zusammengebundenen Beinen auf den Boden gedrückt und hastig geschoren, Verletzungen werden in Kauf genommen und nur ungenügend versorgt. Ohne Wolle fehlt den Tieren für einige Wochen der natürliche Kälteschutz, was zu einer verstärkten Anfälligkeit für Krankheiten führt. Und auch hier entstehen durch zu hohe Bestandsgrößen und Überbeweidung Umweltprobleme, vor allem in Lesotho.

Produkte ohne Tierquälerei

Als Reaktion auf das 2018 veröffentlichte Video haben die Textilunternehmen H&M, Gap und Arcadia, zu Arcadia gehören Topshop und Miss Selfridge, sowie Inditex, dazu gehören Zara, Pull&Bear und Massimo Dutti, erklärt, ab 2020 kein Mohair mehr in ihren Kleidern und Stoffen einzusetzen. Ein wichtiger Schritt, der sich mit der Position des Deutschen Tierschutzbundes deckt, so Kirchner: „Eine tiergerechte Gewinnung von Mohair und Kaschmir kann nicht sichergestellt werden, deshalb sollten Verbraucher von Produkten mit Mohair und Kaschmir Abstand nehmen.“ Grundsätzlich könne man nur mit Produkten ohne tierische Bestandteile sicher sein, keine Tierquälerei zu unterstützen.

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